Regierungsbefragung:Die Stunde der Kanzlerin

Angela Merkel bei einer Regierungsbefragung im Deutschen Bundestag

Tief in den Themen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht am 13. Mai 2020 bei der Regierungsbefragung im Bundestag.

(Foto: dpa)

Noch vor ein paar Monaten galt Angela Merkel als politisches Auslaufmodell. Das hat sich mit Corona geändert. Die CDU kann froh sein, dass sie noch keinen neuen Chef hat. Er müsste sich bereits jetzt mit Merkel messen lassen.

Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

Tony Blair hat in seiner Autobiografie den Weg zu den Fragestunden im britischen Parlament als Gang "zum Schafott" beschrieben. Die Prime Minister's Questions seien die nervenaufreibendsten Momente in seiner Zeit als Regierungschef gewesen, fand Blair. Noch heute laufe ihm jeden Mittwoch um 11.57 Uhr "ein Schauer über den Rücken". Zu der Zeit sei er immer zur Fragestunde abgeholt worden. An diesem Mittwochmittag musste sich nun Angela Merkel der Befragung durch den Bundestag stellen. Man weiß zwar wenig darüber, wann der Kanzlerin mal ein Schauer über den Rücken läuft. Sicher ist aber, dass das wegen dieser Fragestunde nicht nötig gewesen wäre.

Nach fast 15 Jahren im Kanzleramt steckt Merkel so tief in den Themen, dass sie zu fast allen sprechfähig ist. Und wegen des Formats der Befragung - jeder Abgeordnete ruft ein neues Thema auf, es wird kaum nachgehakt - kommt die Kanzlerin auch da leicht davon, wo sie es eigentlich schwer haben müsste. Waren wirklich alle Maßnahmen zur Corona-Eindämmung verhältnismäßig? Warum verzögert sich die Tracing App? Werden die Kosten der Krise gerecht verteilt? Haben die Ministerpräsidenten die Kanzlerin an den Katzentisch gesetzt? Bei all diesen Themen hätte Merkel in die Bredouille kommen können. Doch die Abgeordneten ließen sie davonkommen. Das lag natürlich auch am Format der Befragung, aber genau deshalb müssen deren Regeln dringend geändert werden.

In gewisser Weise war die Befragung aber auch sinnbildlich für die Lage, in der Merkel gerade ist. Noch vor ein paar Monaten galt sie vielen als Auslaufmodell. Die Unionsparteien lagen in den Umfragen deutlich unter 30 Prozent, die Grünen waren fast gleichauf. Und CSU-Chef Markus Söder verlangte nach neuen Ministerinnen und Ministern, auf dass wenigstens Merkels Mannschaft etwas Frische verströme. Jetzt gilt Merkel auf einmal wieder als Kanzlerin der Stunde. Am Ende der Fragestunde im Bundestag gab es sogar Applaus. Und selbst Horst Seehofer und Markus Söder, Merkels härteste Gegner im Flüchtlingsstreit, preisen inzwischen die Arbeit der Kanzlerin.

In wenigen Wochen beginnt die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, das beschert Merkel weitere Gelegenheiten zu glänzen. Und mit dem Ende der Ratspräsidentschaft an Silvester geht es schon ins Wahljahr. Nach allem, was man derzeit sagen kann, wird Merkel also ihr Ziel erreichen und das Ende der Legislaturperiode im Kanzleramt erleben. Eine zweite Infektionswelle oder eine gewaltig steigende Arbeitslosenquote könnte zwar vieles noch einmal durcheinanderwirbeln. Aber die Sozialdemokraten sind staatstragend genug, um in derartigen Ausnahmesituationen nicht die Regierung platzen zu lassen.

In der CDU können sie jedenfalls froh sein, dass Annegret Kramp-Karrenbauer nicht zwei Monate früher als Parteichefin aufgegeben hat. Dann wäre der neue CDU-Vorsitzende noch vor dem Shutdown gewählt worden - und müsste schon jetzt im Schatten der wiedererstarkten Kanzlerin um Aufmerksamkeit kämpfen. Wegen der Corona-Auflagen wird die Nachfolge Kramp-Karrenbauers nun erst im Dezember entschieden. Auch die Verständigung von CDU und CSU auf einen Kanzlerkandidaten ist mindestens bis dahin vertagt. Der Neue, Frauen sind ja keine im Rennen, wird sich also nur ein paar Monate mit Merkel messen lassen müssen.

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