Coronavirus:Magenschutzmittel könnte Covid-19-Symptome lindern

Coronavirus: Patienten, die das Mittel bekommen hatten, mussten nur halb so oft intubiert werden wie andere Covid-19-Patienten.

Patienten, die das Mittel bekommen hatten, mussten nur halb so oft intubiert werden wie andere Covid-19-Patienten.

(Foto: AFP)

Ein unscheinbares Medikament gegen Sodbrennen scheint den Verlauf der Krankheit günstig zu beeinflussen. Für eine Therapieempfehlung ist es aber noch zu früh.

Von Werner Bartens

Während der Pandemie über aussichtsreiche Kandidaten für eine Therapie oder Impfung zu berichten, ist heikel. Neue Studien erscheinen zwar gerade in großer Zahl, doch die meisten können nur erste Hinweise und vorläufige Ergebnisse liefern, die nicht von Fachleuten begutachtet wurden. Zudem fehlen naturgemäß noch die Langzeitbeobachtungen und aussagekräftige Vergleiche. Manches Medikament, das anfangs als Hoffnungsträger gefeiert wurde, ist gerade auf dem besten Weg zum Rohrkrepierer - das passiert übrigens nicht nur Mitteln, die Donald Trump empfohlen hat.

Unter diesem Vorbehalt ist es dennoch erstaunlich, wie ein altbekanntes, unspektakuläres Magenmittel derzeit von sich reden macht. Über das Medikament Famotidin liegt eine neue klinische Studie von Ärzten und Wissenschaftlern aus New York auf einem Preprint-Server vor, die aufhorchen lässt.

Das Mittel gegen Reflux und Sodbrennen trägt offenbar dazu bei, dass Patienten bessere Aussichten haben, wenn ein schwerer Verlauf von Covid-19 eine Behandlung im Krankenhaus erforderlich macht. Ihr Risiko, in der Klinik intubiert und beatmet werden zu müssen, war in der Untersuchung nur halb so groß wie bei jenen Kranken, die das Medikament nicht bekamen. Auch zu Todesfällen kam es unter dem Magenschutz nur halb so oft wie in der Gruppe der anderen Kranken. "Auch wenn wir den genauen Mechanismus noch nicht kennen, ist das ein bemerkenswerter Unterschied zu unseren übrigen Patienten", erklärten die Autoren in einer Stellungnahme.

Möglicherweise bremst das Mittel die Überreaktion des Immunsystems

Das Ärzteteam um Daniel Freedberg hatte mehr als 1600 Patienten im Presbyterian Hospital in New York betreut. Von ihnen bekamen 84 Famotidin, ein günstiges Medikament, das normalerweise gegeben wird, um Magensäure zu neutralisieren und auf diese Weise lästige Verdauungsbeschwerden lindert.

Die Mediziner aus den USA, dem Land, das besonders schwer von der Pandemie betroffen ist, hatten beobachtet, dass etliche Patienten relativ stabil in die Klinik kamen, sich ihr Zustand dort aber rapide verschlechterte, sie intubiert werden mussten und starben. Ein starker Anstieg der Virusreplikation, während es den Patienten noch halbwegs gut ging, sowie der folgende Zytokinsturm, eine Art Überreaktion des Immunsystems, werden dafür verantwortlich gemacht.

"Das richtige Timing scheint sehr wichtig zu sein", schreiben die Forscher. In ihrer Studie gaben sie einem Teil der Patienten Famotidin, sobald sie in die Klinik kamen, auch wenn es ihnen noch gut ging. Als möglicher Wirkmechanismus wird diskutiert, dass der Zytokinsturm mit dem Medikament gebremst wird. Diese körpereigene Immunreaktion und das nachfolgende Entzündungsgeschehen machen vielen Patienten zu schaffen. Aus Laborstudien gibt es zudem Hinweise, dass Famotidin die Virusvermehrung hemmen könnte.

Die Geschichte hinter dem Medikament ist bemerkenswert und könnte erklären, warum andere Magensäure-Blocker den Verlauf von Covid-19 nicht ähnlich günstig beeinflussen wie Famotidin. Chinesischen Ärzten in Wuhan und einem Harvard-Mediziner war bereits im Februar aufgefallen, dass in China ärmere Patienten die Krankheit besser überstanden als wohlhabende. Nach der Analyse von 6000 Krankenakten blieb als wesentlicher Unterschied, dass die chinesischen Bauern mit geringerem Einkommen aber besserer Prognose ein günstigeres Mittel gegen Sodbrennen und Reflux genommen hatten als die anderen - Famotidin eben.

Parallel dazu hatten Chemiker und IT-Spezialisten nach Angriffspunkten gesucht, an denen Sars-CoV-2 unschädlich gemacht werden könnte. Sie spielten Tausende Modellierungen und Simulationen am Computer durch auf der Suche nach Medikamenten, die das Virus an entscheidender Stelle attackieren könnten, wie das Fachmagazin Science berichtete. Nur wenige Kandidaten blieben übrig, darunter Famotidin. Mit der erfreulichen klinischen Studie aus New York kommen nun weitere Bausteine zu der bisher eher anekdotischen Evidenz hinzu, die eine Therapie plausibler machen. Forschungsleiter Kevin Tracey hatte nach Beginn der Studie Anfang April angekündigt, man werde "in wenigen Wochen" wissen, ob die Behandlungsstrategie Aussicht auf Erfolg hat.

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Die New Yorker Ärzte sind angenehm zurückhaltend und finden ihre Befunde zwar "ermutigend", betonen aber auch, dass es für eine Behandlungsempfehlung zu früh sei, "dazu bräuchten wir mehr klinische Daten". Schließlich beruhen ihre Ergebnisse auf einer Beobachtungsstudie und sind nicht im randomisierten Doppelblindversuch entstanden, wie es dem höchstem Standard zur Beurteilung von Medikamenten entspricht. Genau diese Art von Studie wollen die Wissenschaftler nun als nächsten Schritt angehen.

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