Dachauer Suchtberatungsstelle:"Die Rückfallquoten werden wohl steigen"

Dachauer Suchtberatungsstelle: Felicitas Dahlmann leitet die Klientenzentrierte Problemberatung.

Felicitas Dahlmann leitet die Klientenzentrierte Problemberatung.

(Foto: oh)

Felicitas Dahlmann ist ärztliche Leiterin der Beratungsstelle, die Suchtkranken eine ambulante Therapie anbietet. Ein Gespräch über das Betäuben von Gefühlen, Co-Abhängigkeit und die Möglichkeit, sich Hilfe zu suchen

Von Interview von Johanna Hintermeier, Dachau

Felicitas Dahlmann ist die ärztliche Leiterin der Klientenzentrierten Problemberatung (KPB) Dachau und der Zweigstelle in München. Vor dreißig Jahren wurde die KPB als erste Fachambulanz für Suchterkrankungen in Deutschland gegründet. Ambulante Suchtberatung ermöglicht Erkrankten eine Therapie, ohne dabei ihr häusliches Umfeld verlassen zu müssen. Laut Bundesgesundheitsministeriums leben in Deutschland heute etwa 1,6 Millionen Menschen mit einer Alkoholsucht; 2,3 Millionen Menschen sind von Medikamenten abhängig. Dahlmann erklärt, wie eine ambulante Therapie für Suchterkrankte in der Regel abläuft und vor welchen besonderen Herausforderungen die Corona-Pandemie Patienten ihrer Einrichtung stellt.

SZ: Frau Dahlmann, wie hat sich Ihre Arbeit durch die Corona-Pandemie verändert?

Felicitas Dahlmann: Wir bieten weiterhin unser gesamtes Behandlungsspektrum bei Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit sowie pathologischen Glücksspielen an. Bei einem Erstgespräch wird geprüft, ob eine der Abhängigkeiten vorliegt und ob ein Entzug stattfinden muss. Danach folgt die Therapie. Die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen.

Wie verläuft die Therapie genau?

Die Entzugsbehandlung dauert in der Regel sieben Tage mit täglichem Arztkontakt. Bei Bedarf kann eine stationäre Einweisung erfolgen. Das war in der letzten Zeit sehr schwer, es gab Aufnahmestopps, teilweise wurden ganze Krankenhausstationen geschlossen und für die Behandlung von an Corona-Erkrankten eingerichtet. Der nächste Schritt bei uns ist eine Motivationsbehandlung. Die Patienten haben hier zwei Gruppensitzungen, drei therapeutische und eine ärztliche Sitzung. Die Gruppen haben wir corona-bedingt reduziert und halten die Abstandsregelungen ein. In der Folgezeit findet die ambulante medizinische Rehabilitation in unserer Einrichtung statt.

Um welche Themen geht es denn in den therapeutischen Gesprächen?

Das ist sehr vielfältig: Wir erarbeiten mit den Patienten deren Therapieziele, rückfallgefährdende Situationen werden durchgespielt, um die Patienten entsprechend zu wappnen. Die Co-Abhängigkeit von Angehörigen wird besprochen.

Was bedeutet das genau?

Co-Abhängigkeit bedeutet, dass das Verhalten von Angehörigen oder Nahestehenden die Sucht aufrechterhalten kann, zum Beispiel durch Verharmlosung oder Entschuldigung des Konsums. Depressionen oder Angststörungen sind häufig Begleiterkrankungen von Sucht. Wir arbeiten am Selbstwertgefühl der Patienten und versuchen mit diesen eine gute Alltagsstruktur sowie eine ausgeglichene Lebensweise für sie zu finden. Dabei ist Achtsamkeit sehr wichtig, so soll zum Beispiel das bewusste Wahrnehmen von Gefühlen oder auch das Genießen alltäglicher Dinge wie des Geschmacks einer Erdbeere trainiert werden.

Der Alkoholkonsum soll laut der Gesellschaft für Konsumforschung corona-bedingt gestiegen sein - befürchten Sie einen Anstieg an Suchterkrankungen?

Ja. Menschen mit Suchterkrankungen sind psychisch labiler. Genau wie Erkrankte plagen aber auch alle anderen Menschen gerade existenzielle Ängste, Unsicherheiten. Man erlebt Druck durch die gegenwärtigen Auflagen und Einschränkungen, mit denen man nicht zurechtkommt. Einige möchten diese Ängste und unangenehmen Gefühle nicht wahrnehmen. Da betäubt dann das Suchtmittel oder das Suchtverhalten die Emotionen, die man dann nicht zulassen muss. Es fehlen Möglichkeiten, sich abzulenken. Die Hemmschwelle, zur Flasche zu greifen oder sich medikamentös zu beruhigen, ist viel niedriger, wenn man zu Hause ist. Auch die Rückfallquoten werden wohl steigen.

Auch Casinos sind geschlossen, online geht Glücksspiel weiter. Wie ergeht es spielsüchtigen Menschen?

Das ist ganz interessant, nach der Casinoschließung kamen Patienten zu uns mit den Worten: "Jetzt habe ich Zeit, eine Therapie zu machen". Es kann aber auch zu einer Verlagerung zum Online-Glücksspiel kommen. Bei den Glücksspielern sind die Rückfallquoten hoch. Dadurch dass die körperlichen Beschwerden der Sucht meistens geringer sind als bei Alkoholabhängigen, wiegen sich Patienten oft in einer falschen Hoffnung, alleine mit der Sucht umgehen zu können.

Was würden Sie Betroffenen und Angehörigen in der jetzigen Situation raten?

Sich professionellen Rat und Unterstützung zu holen. Eine professionale Beratung und Therapie stabilisieren nachhaltiger. Wir haben nach dreißig Jahren einen großen Erfahrungsschatz und bieten Ratsuchenden schnelle Unterstützung; diese können sich jederzeit - gerne telefonisch - an uns wenden.

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