Soko Ibiza:"Liebe Grüße, Niko"

Soko Ibiza: Im Zentrum der Affäre: der damalige FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache in dem auf der Ferieninsel Ibiza heimlich aufgenommenen Video.

Im Zentrum der Affäre: der damalige FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache in dem auf der Ferieninsel Ibiza heimlich aufgenommenen Video.

Seit Monaten leuchtet eine Sonderkommission die Hintergründe der Ibiza-Affäre um den Wiener Rechtspopulisten Strache aus. Eine Auswertung der geheimen Ermittlungsakten zeigt: Vorwürfe gegen angebliche Hintermänner sind vage, die Beweisführung ist wacklig - es gibt etliche Merkwürdigkeiten.

Von Frederik Obermaier und Bastian Obermayer

Vor einem Jahr endete Heinz-Christian Straches Amtszeit als österreichischer Vizekanzler vorzeitig: Er trat zurück, nachdem die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel über ein heimlich aufgenommenes Video berichtet hatten. Darauf ist dokumentiert, wie Strache im Sommer 2017 auf Ibiza eine vermeintliche russische Oligarchennichte getroffen und mit ihr über offenkundig korrupte Geschäfte verhandelt und über illegale Parteispenden gesprochen hatte.

Nach der Veröffentlichung nahm die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue Ermittlungen gegen Strache und seinen früheren Parteifreund Johann Gudenus auf.

Gegen die Personen, die das Treffen auf Ibiza heimlich gefilmt haben sollen, leitete die Staatsanwaltschaft Wien auch Verfahren ein. Die SZ konnte Hunderte Seiten der Ermittlungsakten einsehen. Sie belegen, dass die Vorwürfe gegen die angeblichen Hintermänner des Ibiza-Videos auf wackeligen Füßen stehen. Ein Überblick über die auffälligsten Merkwürdigkeiten.

Ermittler und Fan

Nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos war schnell klar: Heinz-Christian Strache, genannt HC, kann sich auf seine Fans verlassen, jedenfalls auf die besonders treuen. Einer von ihnen, Niko R., schreibt Strache noch am Tag von dessen Rücktritt, dem 18. Mai 2019, eine SMS: "Lieber HC, ich hoffe auf einen Rücktritt vom Rücktritt ... die Politik braucht dich! Alles Gute für alles Weitere! LG Niko." Strache bedankt sich noch am selben Tag per SMS.

Der Absender - jener Niko R. - ist nicht nur Fan des ehemaligen Vizekanzlers, sondern auch Polizist. Ein ziemlich hochrangiger sogar, Abteilungsinspektor, vielfach ausgezeichnet. Und er wird wenige Tage nach seiner SMS an Strache in die Sonderkommission "Tape" berufen. Die "Soko Tape", im Volksmund "Soko Ibiza" genannt, soll aufklären, was in jener Villa auf Ibiza geschehen ist - und ob Strache dort gegen Gesetze verstieß.

Unklar ist, ob Niko R. seine SMS an Strache vor seiner Berufung in die Soko dem Innenministerium tatsächlich selbst offen gelegt hat, wie Medien berichten. Im September 2019 muss Niko R. jedenfalls die Soko verlassen - das österreichischem Innenministerium erklärte damals, "einer der Ermittler" sei wegen einer SMS abgezogen worden, um den Anschein von Befangenheit zu vermeiden. Bis dahin vernimmt R. etliche Zeugen, unter anderem jene drei, die in der Ibiza-Villa gefilmt worden waren: Strache, Gudenus und dessen Frau Tajana. Auf Anfrage wollten sich dazu weder die Soko Tape noch die Staatsanwaltschaft äußern. Auch Niko R. ließ eine E-Mail der SZ unbeantwortet.

Der Vorwurf heimlicher Aufnahmen

Heinz-Christian Strache wurde 2017 auf Ibiza in eine Falle gelockt, so viel ist unumstritten. Als maßgebliche Fallensteller meint die Soko Ibiza inzwischen zwei Männer ausgemacht zu haben: einen Detektiv namens Julian H. und einen Anwalt aus Wien, der sich schon im Mai 2019 zu seiner Involvierung in die Sache bekannt hatte.

Auf Anfrage lässt der Anwalt mitteilen, er habe sich nicht strafbar verhalten und habe an strafbarem Verhalten auch nicht mitgewirkt. Der Anwalt von Julian H. erklärt, sein Mandant werde sich weiterhin nicht zu der behaupteten Beteiligung an dem Vorgang äußern. Die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel nehmen aus Gründen des Quellenschutzes keine Stellung dazu, ob einer der beiden oder beide Männer den Medienhäusern das Ibiza-Video überlassen haben.

Die österreichischen Ermittler werfen dem Detektiv und dem Anwalt unter anderem "Missbrauch von Tonaufnahme oder Abhörgeräten" vor, also die Video-Falle. Dazu gehört maßgeblich das Erstellen, sowie das Verbreiten und Veröffentlichen der Aufnahmen. Tatort war allerdings Ibiza, und in Spanien dürfen Gespräche heimlich mitgeschnitten werden, solange die mitschneidende Partei ebenfalls anwesend ist - und das war der Detektiv Julian H. laut Aussagen von Gudenus und Strache.

Sollten die österreichischen Behörden nicht den Tatort nach Österreich verlegen - weil dort die Falle möglicherweise geplant wurde -, könnte das Erstellen möglicherweise straflos bleiben und damit der gesamte Video-Vorwurf. Denn zur Verbreitung des Videos, wie es an die Medien kam, haben die Ermittler nach SZ-Informationen kaum Erkenntnisse. Und die Veröffentlichung des Ibiza-Videos, entschieden zwei deutsche Staatsanwaltschaften, sei wegen des immensen öffentlichen Interesses rechtmäßig gewesen. Auch der Oberste Gerichtshof Österreichs formulierte inzwischen, dass das Video einen "außergewöhnlich großen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse" darstelle.

Der Vorwurf der Urkundenfälschung

Ein weiterer Vorwurf gegen die angeblichen Hintermänner lautet "Fälschung besonders geschützter Urkunden". Johann Gudenus berichtet den Ermittlern nämlich, der erwähnte Wiener Anwalt habe ihm in dessen Kanzlei die Farbkopie eines Personalausweises gezeigt, der angeblich der Ausweis der vermeintlichen Oligarchennichte war und auf den erfundenen Namen "Alyona Makarow" ausgestellt war.

Bei diesem Treffen war auch eine mit Gudenus befreundete Maklerin anwesend, sie erklärt der Polizei, die Passkopie sei auf einem A4-Blatt ausgedruckt gewesen. Die Maklerin erinnert sich außerdem daran, dass der Anwalt ihr einen Kontoauszug vorgelegt habe, der die Millionen der angeblichen Oligarchennichte glaubhaft machen sollte. Was die Soko jedoch bislang offenbar nicht gefunden hat, ist ein gefälschter Pass - oder auch nur ein Hinweis darauf. Von beidem ist in den hunderten von Aktenseiten keine Rede.

Aber nur wenn tatsächlich ein Originaldokument - in diesem Fall: der Pass - gefälscht wurde, liegt nach Einschätzung des Innsbrucker Strafrechtsprofessors Klaus Schwaighofer eine Urkundenfälschung vor. Es ist gut möglich, dass im Ibiza-Fall jemand schlicht einen Personalausweis eingescannt, am Computer bearbeitet und ausdruckt hat. "Das wäre laut der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs keine Urkundenfälschung", so Schwaighofer. Weder die Soko noch die Staatsanwaltschaft wollten sich auf SZ-Anfrage dazu äußern.

Soko Ibiza: Strache war auf Ibiza in Begleitung seines damaligen politischen Vertrauten Johann Gudenus (links).

Strache war auf Ibiza in Begleitung seines damaligen politischen Vertrauten Johann Gudenus (links).

Fragwürdiger Kronzeuge

Der Ibiza-Skandal ist gerade erst ein paar Tage in der Welt, da meldet sich ein Mann in den Medien zu Wort, der fortan in einigen Publikationen eine Art Kronzeugenstatus bekommen wird: Sascha Wandl, ein ehemaliger Detektiv. Kaugummikauend und unter vollem Namen erklärt er live im österreichischen Fernsehen, sein ehemaliger Mitarbeiter Julian H. stecke hinter dem Ibiza-Video - er habe ihn auf dem Video "sofort erkannt".

Wandl und Julian H. haben, bis sie 2016 im Streit auseinandergingen, einige Jahre zusammengearbeitet. Auch die Soko Ibiza interessiert sich für Wandls Wissen: Mindestens zwei Mal wird er vernommen, Ende Mai und Anfang Juni 2019. Beide Vernehmungen leitet Abteilungsinspektor Niko R., der Strache-Fan.

In diesen Vernehmungen behauptet Wandl, der von einer Verurteilung von Julian H. wegen "Vorbereitung von Suchtgifthandel" Kenntnis hat, dieser habe "regelmäßig von 2013 bis 2015" Kokain an drei Bekannte verkauft. Bei einigen Übergaben sei Wandl sogar selbst dabei gewesen, in einem Restaurant etwa, und in Julian H.s Wohnung. Belege für seine Behauptungen bringt Wandl nicht, die Beamten rechnen aber einen "wöchentlichen Mindestumsatz" von etwa 1000 Euro hoch. Julian H. wird jetzt von der Polizei auch wegen "illegalen Handels mit Drogen" verfolgt.

Nur ist Sascha Wandl als Zeuge der Alptraum jedes Staatsanwalts: 2012 wird er in Linz wegen schweren Betrugs verurteilt, 2016 erhebt er in einem Verfahren eine Reihe von Anschuldigungen, unter anderem gegen Julian H., die nach Ansicht des Bundesamts für Verfassungsschutz der Republik Österreich schlicht "nicht der Wahrheit" entsprechen.

In der Folge wird Wandl Mitte 2019 gerichtlich verurteilt, etliche dieser "unwahren Behauptungen" zu widerrufen. Zu einem Ende Juni 2019 angesetzten Gerichtstermin, bei dem er sich wegen Betrug sowie Verleumdung von zwölf Personen verantworten soll, erscheint Wandl nicht - er lässt sich kurzfristig wegen Verhandlungsunfähigkeit entschuldigen. Eine von der Richterin geschickte Polizeistreife stellt fest, dass er fast drei Promille Alkohol im Blut hat. Die Verhandlung wird auf unbestimmte Zeit verschoben, Wandl begibt sich vorübergehend in eine Klinik und gilt dem Gericht noch immer als verhandlungsunfähig. Auf eine SZ-Anfrage antwortete er bis Redaktionsschluss nicht.

Der Vorwurf des Drogenhandels

Der Vorwurf des Drogenhandels ist schwerwiegend, besonders im Vergleich zu den beiden Vorwürfen im Zusammenhang mit dem Ibiza-Video: dem Erstellen heimlicher Aufnahmen und der Fälschung. Dennoch bleibt Sascha Wandl monatelang der einzige Belastungszeuge. Die SZ hat die drei Personen kontaktiert, denen Julian H. laut Wandl zwischen 2013 und 2015 angeblich regelmäßig Kokain verkauft hat, sowie einen angeblichen Augenzeugen einer Drogen-Übergabe.

Alle vier bestreiten die Aussage von Wandl vehement: Die drei angeblichen Drogenkäufer erklären, sie hätten noch nie in ihrem Leben Drogen von Julian H. gekauft; der angebliche Augenzeuge sagt, er sei keineswegs Zeuge einer Drogenübergabe gewesen. Zwei der angeblichen Käufer bestehen sogar darauf, Julian H. vor 2015 nicht einmal gekannt zu haben. Die beiden, denen Detektiv Julian H. laut Sascha Wandl Drogen in seiner Wohnung übergeben hat, erklären, in dieser Wohnung noch nie gewesen zu sein.

Ein gutes halbes Jahr nach den Vorwürfen Wandls meldet sich aus der Untersuchungshaft eine zweite Zeugin zu Wort. Die Frau, der wegen Drogenverkaufs selbst eine Gefängnisstrafe droht, behauptet, Detektiv Julian H. habe in ihrem Beisein Kokain in Blöcke gepresst, und er habe ihr und einem ihrer Freunde drei Mal größere Mengen Kokain zum Weiterverkauf übergeben, was sie dann auch getan hätten. Außerdem habe Julian H. sie mit einer Waffe bedroht und eingeschüchtert.

Die Zeugin ändert in den Vernehmungen mehrmals ihre Version der Vorgänge. Der erwähnte Freund, Slaven K., ist ein langjähriger Bekannter von Detektiv Julian H. Slaven K., dem ebenfalls Haft droht, bestreitet in seiner Vernehmung ihre Aussage: Er habe nie größere Mengen Kokain besessen, nicht von Julian H. erhalten und auch nicht verkauft. Weder die Zeugin noch Slaven K. waren bis Redaktionsschluss nicht für eine SZ-Anfrage zu erreichen.

Der Vorwurf der Erpressung

Es ist eine seltsame Runde, die sich Anfang Juni 2019 - also etwa drei Wochen nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos - in einem Wiener Anwaltsbüro zusammenfindet: Heinz-Christian Strache und seine Frau Philippa, ein mit Strache befreundeter Soldat, zwei Anwälte und ein Mann mit langen, schwarzen Haaren, die er sich zum Pferdeschwanz gebunden hat. Der Mann mit dem Pferdeschwanz ist Slaven K., der Bekannte des Detektivs, und dieses Treffen wird Julian H. eine Anzeige wegen Erpressung einbringen.

Strache könne für 400 000 Euro die vollen sieben Stunden des Ibiza-Videos kaufen, habe Julian H. laut Strache und dessen Anwälten über den angeblichen Mittelsmann K., den Mann mit dem Pferdeschwanz, ausrichten lassen. Slaven K. habe implizit damit gedroht, dass man es anderen Interessenten verkaufen würde, sollte Strache es nicht vom Markt kaufen. Das ist die Version, die die Soko zu den Akten nimmt und der sie bis heute nachgeht.

Nur: Es gibt kaum Anhaltspunkte, die für diese Version sprechen - dafür aber einiges, was dagegen spricht. Etwa, dass zum Zeitpunkt des Treffens niemand das Video "vom Markt kaufen" kann, weil es längst SZ und Spiegel vorliegt. Oder dass Strache stets behauptet, das gesamte Video würde ihn entlasten. Warum sollte er dann weitere Veröffentlichungen fürchten? Vor allem aber steht durch die Befragungen der Soko fest, dass die Initiative zu diesem Treffen keineswegs von dem angeblichen Mittelsmann oder gar Julian H. selbst ausgeht.

Die treibende Kraft ist laut der Ermittlungen ein merkwürdiges Duo mit einer Mission: der mit Strache befreundete Soldat und ein Salzburger Polizist. Beide sind aktive FPÖ-Mitglieder und wollen das Ibiza-Video für Strache beschaffen - in enger Abstimmung mit ihm selbst übrigens. Laut Aktenlage hat Strache dem Soldaten bestätigt, das Video haben zu wollen. Als Verbindungsmann zu Julian H. hat der Salzburger Polizist einen seiner ehemaligen Informanten im Sinn, jenen Slaven K., den Zopfträger, dessen Nähe zu Julian H. ihm bekannt ist. Tatsächlich verspricht Slaven K., ihnen zu helfen, zu vermitteln. Der Soldat eröffnet eine Chatgruppe namens "Gruppe Gerechtigkeit" und meldet an Heinz-Christian Strache zurück: Ein Treffen mit dem angeblichen Mittelsmann zu Julian H. könne arrangiert werden.

In den von der SZ durchgesehenen Unterlagen findet sich nun aber kein Beleg, wonach Julian H. den angeblichen Mittelsmann zu einer Erpressung angestiftet hätte. Die einzige Person, die eine direkte Verbindung behauptet haben soll, war Slaven K. selbst - der möglicherweise auf eine Bezahlung für seine Dienste gehofft hatte. Auf einer ähnlichen Basis arbeitete der Mann damals für eine österreichische Internetplattform: Er gab tatsächliche und frei erfundene Informationen über Julian H. weiter und kassierte dafür eine fünfstellige Summe.

In seiner polizeilichen Vernehmung in Sachen Erpressung - die er bestreitet - erklärte Slaven K. dann, er habe im Juni 2019, als das Treffen mit Strache stattfand, keine Kontaktmöglichkeit zu Julian H. mehr gehabt. Dieser habe ihn da schon auf den digitalen Kommunikationskanälen "blockiert". Auf Anfrage wollten sich die österreichischen Ermittler nicht dazu äußern, K. war bis Redaktionsschluss nicht erreichbar.

Hilferuf nach Deutschland

Früh im Verfahren kommen die österreichischen Ermittler auf die Idee, in Deutschland Rechtshilfe zu erbitten - sie hatten Hinweise darauf, dass sich mindestens einer der beiden mutmaßlichen Fallensteller in Berlin oder München aufhielt. Also bitten sie die Münchner Staatsanwaltschaft im Rahmen einer sogenannten Europäischen Ermittlungsanordnung (EEA) um Rechtshilfe. Sie wollen Durchsuchungen, Übermittlungen von Bankdaten und anderes mehr - darunter auch eine Funkzellenabfrage, um den Mann zu orten und herauszufinden, wo er sich aufhält und wen er trifft. Eine massive Maßnahme, die kein Staatsanwalt leichtfertig anordnet, auch weil sie Tausende Telefonverbindungen von Unbeteiligten betreffen kann.

Und tatsächlich teilt die Münchner Staatsanwaltschaft den österreichischen Ermittlern Anfang Juli 2019 mit, die Vorwürfe "Missbrauch von Tonaufnahme oder Abhörgeräten" und "Fälschung besonders geschützter Urkunden" reichen "leider" nicht aus, um in Deutschland die Daten von Tausenden von Telefonen zu erfassen und nach Österreich zu übermitteln. Das gilt jedoch nicht für die schwerer wiegenden Vorwürfe des Drogenhandels und der Erpressung, die von den österreichischen Ermittlern ebenfalls angeführt wurden. Die deutschen Staatsanwälte kommen schlussendlich allen Wünschen nach.

Eines tun die deutschen Ermittler derweil dezidiert nicht, weil es in den Regeln der Europäischen Ermittlungsanordnung nicht vorgesehen ist: Sie überprüfen die Vorwürfe der Österreicher nicht. Ob der Zeuge Sascha Wandl also glaubwürdig ist, und ob Detektiv Julian H. überhaupt von einem Erpressungsversuch weiß - all das spielt keine Rolle. Man vertraut der Soko Ibiza. Auf SZ-Anfrage wollte sich die Münchner Staatsanwaltschaft nicht zu dem Vorgang äußern. Nur so viel: Ein eigenes Ermittlungsverfahren gegen Julian H. sei bereits im Januar 2020 eingestellt worden.

Erkaufte Falschinformationen

In den Akten der Soko Ibiza ist immer wieder vermerkt, dass neue Ermittlungsschritte auf Informationen basieren, die von einem gewissen Gert Schmidt stammen - einem Wiener Unternehmer, der für den Glücksspielkonzern Novomatic tätig ist, ein Luxushotel in Thailand und eine Detektei in Wien führt und nebenher für seine Webseite namens EU-Infothek  schreibt.

Schmidt recherchiert in Sachen Ibiza vornehmlich mit dem Scheckbuch: Er bezahlt, das ergeben die Ermittlungen der Soko Ibiza, allein zwei Bekannten von Julian H. einige zehntausend Euro für deren Informationen. Einer der beiden ist wieder Zopfträger Slaven K., der angebliche Mittelsmann in der Erpressungssache und Zeuge in der Drogensache. Was Schmidt - den Tajana Gudenus in ihrer Vernehmung als "unseren Detektiv" bezeichnet - sich an Informationen zusammenkauft, landet oft anschließend direkt bei der Soko Ibiza. Allerdings stellt sich dort heraus, dass Schmidts "Insider" vieles nur vermuten, oder irgendwann irgendwo gehört haben wollen.

Aber solange Schmidt Geld zahlt, füttern ihn die beiden Informanten. Allerdings irgendwann nur mehr mit Geschichten, die sie - so glauben die Polizisten - eigens für ihn erfinden. Schmidt wiederum leitet das ihm Zugetragene als "Sachverhaltsdarstellung" an die Soko Ibiza weiter, vornehmlich persönlich, aber auch schriftlich, an Strache-Fan Niko R.: Demnach betreibe Julian H. eine umfangreiche Produktion von Haschisch in einer Lagerhalle bei Salzburg, er handele mit Waffen, er habe außerdem reihenweise Personen mit geheimen Videos erpresst - nicht nur Strache.

Julian H. habe zudem eine größere Anzahl von Prostituierten an der Hand für diese Einsätze, erklärt Schmidt und überreicht eine Liste von 351 Namen, offenbar aus Facebook. Für solche Frauen lasse Julian H. in einer Fälscherwerkstatt Personalausweise erstellen für Einsätze. Schmidts Informanten liefern ihm sogar einen dieser angeblich falschen Pässe. Alles aus anonymer Quelle, behauptet Schmidt.

Wenig später haben seine beiden Informanten ein Verfahren wegen "schwerem Betrug" am Hals. Denn so gut wie nichts von den neuesten Vorwürfen stimmt, so das Fazit der Ermittler: Ein Foto der Hanfplantage stamme aus dem Internet, eine Plantage habe es in der Lagerhalle nie gegeben, der angeblich gefälschte Pass sei echt, die Liste der Frauen sei "wahllos" aus Facebook zusammengestellt, zu den Waffen gibt es keine Belege, das angeblich weitere Erpressungsopfer wurde offenbar nie erpresst.

Gert Schmidt antwortete auf eine SZ-Anfrage in einem offenen Brief. Darin heißt es, die beiden Informanten hätten "absolut wichtige und richtige Hinweise" gegeben. Es stehe Beschuldigten zu, Aussagen zu machen "die nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen, um sich selbst zu schützen".

Soko Ibiza: Heinz-Christian Strache - hier mit Johann Gudenus (links) - nannte das Treffen auf Ibiza später eine „b’soffene G’schicht“.

Heinz-Christian Strache - hier mit Johann Gudenus (links) - nannte das Treffen auf Ibiza später eine „b’soffene G’schicht“.

Der Ermittler, der längst davon wusste

Und dann gibt es noch etwas, das diese Ermittlungen prägt: Der Leiter der Soko Ibiza, Andreas Holzer, ist ausgerechnet ein Mann, dem manche Vorwürfe gegen Heinz-Christian Strache laut polizeilichem Amtsvermerk schon seit Frühjahr 2015 bekannt waren. Damals meldete sich der involvierte Wiener Anwalt - einer der beiden angeblichen Fallensteller - bei ihm und schilderte detailliert Vorwürfe, die ein Klient angeblich gegen den damaligen FPÖ-Chef erhob: fingierte Rechnungen, die als Parteispesen abgerechnet würden, der angebliche Mandatskauf eines Parlamentariers, eine Scheinanstellung einer Mitarbeiterin und angeblichen Drogenkonsum Straches.

Der Klient des Anwalts habe jedoch die Sorge, dass die Polizei zu FPÖ-nah sei - auch deswegen zögere er zur Polizei zu gehen. Der heutige Soko-Chef, damals schon hoher Beamter, stellte laut Amtsvermerk klar, dass grundsätzlich "parteiunabhängig und objektiv" ermittelt werde - und dass er den Klienten des Anwalts sprechen müsse. Am Ende leitet Holzer keine Ermittlungen ein, nachdem er den Anwalt wiederholt telefonisch nicht erreichen konnte.

In seinem Abschlussbericht notiert Holzer, die Vorwürfe gegen Strache seien "noch zu vage, um Ermittlungen umgehend einzuleiten". Eine Anfrage der SZ, ob er dies heute anders beurteilt, ließ er unbeantwortet. Bereits am 16. Juli wird er die Frage vermutlich beantworten müssen - für diesen Tag ist er in den Ibiza-Untersuchungsausschuss des österreichischen Parlaments geladen.

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