Hackerangriff:Merkels Mail und der Kreml

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Fünf Jahre nach dem Cyberangriff auf den Bundestag gibt es einen Haftbefehl gegen einen russischen Hacker. Sanktionen gegen Moskau sind aber unklar.

Von Florian Flade und Georg Mascolo, Berlin

Man sah Angela Merkel ihren Unmut an, als sie am Mittwoch im Plenum des Deutschen Bundestages auf den Cyberangriff angesprochen wurde, der im Frühjahr 2015 auf das Parlament verübt wurde - und bei dem auch ihr E-Mail-Postfach betroffen war. "Mich schmerzt das", sagte die Kanzlerin sichtlich angefasst. Sie sei stets um ein besseres Verhältnis zu Russland bemüht. Jetzt aber gebe es "harte Evidenzen", dass "russische Kräfte" für den Hack verantwortlich seien. Merkel sprach von einem "ungeheuerlichen Vorgang", man behalte sich Reaktionen gegen Russland vor.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow wies Merkels Vorwürfe zurück. Es gebe keine konkreten Beweise, sagte er der russischen Zeitung RBK.

In der vergangenen Woche hatte der Generalbundesanwalt einen Haftbefehl im Fall des Bundestags-Hacks erwirkt. Er ist ausgestellt auf Dmitrij Badin, einen 29 Jahre alten Russen, der dem russischen Militärgeheimdienst GRU angehören soll, genauer: Der Cybereinheit 26165, auch bekannt als "Fancy Bear" oder APT28. Badin soll eine Schadsoftware in das Bundestagsnetz eingesetzt haben - das Programm war auch auf Computern im Büro der Kanzlerin entdeckt worden.

Mit einem solchen Fall musste sich die deutsche Justiz bislang noch nicht befassen: Ein ausländischer Spion - noch dazu ein Angehöriger eines fremden Militärs - soll einen Angriff auf das Parlament verübt haben. So hat es das Bundeskriminalamt (BKA) in fünf Jahren mühevoller Kleinarbeit ermittelt und viele Beweise zusammengetragen. Und so sieht es offenbar auch der Richter am Bundesgerichtshof, der den Haftbefehl gegen Badin unterzeichnet hat.

Mehr als 50 Seiten lang ist der Haftbefehl - und von ungewöhnlicher Schärfe. Aufgelistet sind darin die Belege gegen den Hacker und für dessen Zugehörigkeit zum Militärgeheimdienst. Am Schluss geht es um die Dimension des Falls - und die rechtliche Bewertung. Es handele sich um einen "besonders schweren Fall" von Spionage, so der Richter. Um einen Angriff auf das Parlament, und damit auf den Vertreter des Souveräns der Bundesrepublik Deutschland, des Volkes, und den Kernbereich der Demokratie - ausgeführt vom militärischen Nachrichtendienst Russlands. Ein Fall, für den es kein "Regelbeispiel" gebe. Zudem glaubt der Richter, das gehackte Material habe sich der GRU für Zwecke der "Desinformation" beschafft.

Logo der Hackergruppe „Fancy Bear“, die zum russischen Geheimdienst gehören soll. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Und nun? In der Bundesregierung scheint man ratlos zu sein, wie man mit den Ermittlungsergebnissen umgehen soll. Merkel hat mit ihren Worten im Bundestag zumindest die Richtung vorgegeben: Die Regierung ist empört, eine heftige diplomatische Reaktion nicht ausgeschlossen. Aber noch ist nichts entschieden. Es gibt Bedenken. Immerhin sei der Haftbefehl schon ein starker Fingerzeig nach Moskau. Und das Verhältnis zu Russland sei ohnehin angespannt genug, heißt es. Andererseits will man ein deutliches Signal senden, dass nun Schluss sein muss. In der russischen Botschaft gibt man sich diplomatisch. Auf Anfrage von SZ, NDR und WDR heißt es, dass der Vertretung "keine offiziellen Dokumente, Informationen oder Anfragen zu dem von Ihnen genannten Fall zur Verfügung" stehen.

In Regierungskreisen wird darauf verwiesen, dass es nicht nur um den Bundestags-Hack gehe, der an sich schon eine "gigantische Qualität" habe. Es gehe darum, dass sich Russlands Dienste ganz offensichtlich längst nicht mehr an die Spielregeln halten - neben Cyberattacken geht es inzwischen auch um Mordanschläge.

Am 23. August 2019 war ein Tschetschene mit georgischer Staatsangehörigkeit, der einst im Kaukasus gegen die Russen gekämpft hatte, von einem Auftragskiller im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen worden. Um die Mittagszeit, am helllichten Tag, nur wenige Kilometer vom Kanzleramt entfernt. Durch Zeugenhinweise konnte der Schütze von der Polizei gefasst werden - es soll sich um einen ehemaligen Häftling aus Russland handeln, der unter einer falschen Identität eingereist war. Der Mann schweigt eisern, die Ermittler glauben, dass er von einem russischen Geheimdienst nach Deutschland geschickt wurde. In den kommenden Wochen will der Generalbundesanwalt entscheiden, ob in der Anklage zum Tiergarten-Mord staatliche Stellen in Russland als Auftraggeber genannt werden. Dann würde nicht nur ein Mord verhandelt - sondern auch Staatsterrorismus.

Man dürfe nicht jeden Fall einzeln betrachten und stillschweigend abhaken, heißt es inzwischen in der Regierung. Man müsse vor allem die dahinterstehende, zunehmende Aggressivität sehen. Russland, so erinnerte die Kanzlerin in dieser Woche im Bundestag, verfolge eine "Strategie der hybriden Kriegsführung".

Im Kanzleramt, im Auswärtigen Amt, bei Bundesnachrichtendienst (BND) und Verfassungsschutz grübelt man nun über mögliche Optionen für eine Reaktion. Als übliches Mittel gelten Ausweisungen von Geheimdienstlern, die in Deutschland als Diplomaten stationiert sind. Jedoch wird befürchtet, dass der Kreml auch deutsche Diplomaten nach Hause schicken und man sich so selbst schaden könnte.

"Die Attacke auf den Bundestag war ein Angriff auf unser Land. Ich erwarte deshalb von Außenminister Maas mindestens, dass er den russischen Botschafter einbestellt", fordert der FDP-Politiker Manuel Höferlin, Vorsitzender des Ausschusses für Digitale Agenda. Dieser wurde jüngst von den Sicherheitsbehörden in geheimer Sitzung über die Ermittlungen gegen Badin informiert. "Seit Guillaume ist kein ausländischer Spion mehr so nahe an einen deutschen Bundeskanzler herangekommen. Dieser Vorfall muss deshalb mit aller Konsequenz beantwortet werden - rechtlich und politisch." Der DDR-Agent Günter Guillaume war Anfang der Siebzigerjahre persönlicher Referent von Kanzler Willy Brandt. Seine Enttarnung war ein Grund für den Rücktritt Brandts.

Beim Generalbundesanwalt ist man derweil mit ganz anderen Überlegungen beschäftigt: Soll der russische Cyberspion europaweit oder gar international zur Fahndung ausgeschrieben werden? Eine weltweite Suche gestaltet sich schwierig, da über Interpol nicht nach Personen gefahndet werden darf, denen politische Taten vorgeworfen werden. So soll verhindert werden, dass autoritäre Regime auf diesem Wege Kritiker jagen.

© SZ vom 16.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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