Flüchtlinge:Dem Virus ausgeliefert

In einem Heim bei Bonn haben sich 130 Asylbewerber infiziert. Helfer bemängeln, dass es in Sammelunterkünften nicht möglich ist, Abstand zu halten.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

In einem Flüchtlingsheim in Sankt Augustin bei Bonn haben sich mindestens 130 Bewohner mit dem Coronavirus infiziert. Die zuständige Bezirksregierung Köln bemüht sich nun, die bislang etwa 320 Insassen zu trennen und negativ getestete Asylsuchende in alternativen Unterkünften zu beherbergen. Eine Sprecherin der Behörde räumte ein, es sei "eine Herausforderung", in der Anlage den vom Robert-Koch-Institut empfohlenen Mindestabstand von 1,5 Metern zu wahren.

Die "Zentrale Unterbringungs-Einrichtung" (ZUE) des Landes Nordrhein-Westfalen hat eine Kapazität von 600 Betten. Ein Sprecher der privaten Betreiberfirma ORS Deutschland GmbH sagte der Süddeutschen Zeitung, seit Beginn der Corona-Krise würden maximal sechs Personen auf einem Zimmer untergebracht. Sämtliche Insassen seien angehalten, im Haus Mundschutz zu tragen. Weder die Bezirksregierung noch ORS konnten auf SZ-Nachfrage eine Mindestvorgabe nennen, wie viele Quadratmeter jedem Einwohner zustehen. Seit Sonntag bemüht sich ORS, die positiv und negativ getesteten Bewohner zu verlegen. Trotz psychologischer Betreuung hätten sich verunsicherte Flüchtlinge zum Teil massiv dagegen gewehrt.

In seinen fünf Erstaufnahme-Einrichtungen und den 29 ZUEs hat das Land NRW derzeit 11 348 Asylsuchende untergebracht. Hilfsorganisationen kritisieren die Zustände in den Sammelunterkünften seit Beginn der Covid-19-Pandemie. "Wir haben gewarnt, dass dies Brutstätten für Corona sind", sagte am Montag Birgit Naujoks, die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates NRW. Das Bundesland verletze gegenüber den Flüchtlingen exakt die Vorgaben, die für den Rest der Bevölkerung zum Schutz vor einer Infektion gelten würden. Naujoks bemängelte, dass das Ministerium für Flüchtlinge und Integration seit Mitte März keine Asylsuchenden mehr in kleinere Unterkünfte in die Städte und Gemeinden überstelle. Dadurch steige die Auslastung in den zentralen Lagern und erhöhe so das Gesundheitsrisiko. Am Montag erklärte eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung, man wolle "nun schrittweise mit den Zuweisungen von Asylsuchenden beginnen" und vorab die Kommunen besser informieren.

Gegen die Zustände hatten zuletzt zwei Geflüchtete geklagt. Das Verwaltungsgericht Münster sprach einer schwangeren Frau und einem an Hepatitis-B erkrankten Mann das Recht auf eine besser geschützte Unterkunft zu. Auch in Flüchtlingsheimen anderer Bundesländer kam es schon zu Corona-Ausbrüchen.

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