Neuer Tiktok-Chef:Ein Erdbeben in der Unterhaltungsbranche

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Kevin Mayer verantwortete die Zukäufe von Pixar, Lucasfilm und 21st Century Fox sowie den erfolgreichen Start des Streamingportals Disney+. (Foto: REUTERS)

Er wurde nicht Chef, nun geht er: Der hochrangige Manager Kevin Mayer verlässt Disney und wird Chef des chinesischen Social-Media-Unternehmens TikTok. Ein aufsehenerregender Seitenwechsel.

Von Jürgen Schmieder

Was ist TikTok? Die nachfliegende Antwort: ein soziales Netzwerk, bei dem Leute Videos mit ulkigen Tänzen einstellen; einfach zu bedienen und dennoch kompliziert genug, dass sich Jugendliche damit von Erwachsenen abgrenzen. Eine andere Lesart, präsentiert vom US-Kongress: ein Spionage-Instrument der chinesischen Regierung, das in der Pandemie immens an Beliebtheit und Bedeutung gewonnen hat. Knapp zwei Milliarden Mal ist TikTok weltweit heruntergeladen worden, 307 Millionen Mal dieses Jahr - laut Analysefirma Sensor Tower mehr als jede andere App.

Das ist wichtig zu wissen, um das Erdbeben in der Unterhaltungsbranche zu verstehen: Der hochrangige Disney-Manager Kevin Mayer wird den Konzern verlassen, er wird Chef von TikTok und gleichzeitig beim Mutterkonzern ByteDance das operative Geschäft leiten. Der ist auf den Cayman Islands angesiedelt und deshalb offiziell kein chinesisches Unternehmen. Das spielt ebenso eine Rolle wie der Fakt, dass Mayer seine Stelle im Juni in Los Angeles und damit in den USA antreten wird.

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"Ich war glücklich bei Disney", sagte Mayer am Montag zur New York Times. Er hatte nach dem Studium an der Harvard Business School im Jahr 1993 dort angeheuert und eine beeindruckende Karriere hingelegt: Er verantwortete die Zukäufe von Pixar, Lucasfilm und 21st Century Fox sowie den erfolgreichen Start des Streamingportals Disney+ mit 55 Millionen Abonnenten in den ersten sechs Monaten.

"Ich konnte eine Gelegenheit dieser Größenordnung nicht auslassen", sagte er

Mayer, 58, hatte als aussichtsreichster Kandidat auf die Nachfolge von Disney-Chef Bob Iger gegolten - als der jedoch Ende Februar seinen sofortigen Rückzug aus dem Tagesgeschäft verkündete, übergab er überraschend an Bob Chapek. Der hatte davor zwar den größten Konzernbereich (Freizeitparks und Konsumgüter) verantwortet, jedoch im Vergleich zu Mayer als eher blass gegolten. Das führte zur Frage: Wie würde Mayer auf die Nicht-Beförderung reagieren? Nun gibt es die Antwort.

"Ich konnte eine Gelegenheit dieser Größenordnung nicht auslassen", sagte er über den Wechsel. Tatsächlich gelten TikTok und ByteDance als schillernde, als geheimnisvolle und mächtige Unternehmen: Gründer Zhang Yiming, 37, ist eine der einflussreichsten Personen in China, er besitzt auch die chinesische TikTok-Version Douyin, die Foto-App FaceU und das soziale Netzwerk Helo. ByteDance wird mit 78 Milliarden Dollar bewertet und gilt damit als das wertvollste Startup weltweit.

Der Großteil der Inhalte auf den ByteDance-Plattformen stammt von den Kunden, die sich von ihrer Kreativität Reichtum und Prominenz oder wenigstens Beliebtheit bei Freunden versprechen. Mayer kommt von einem Konzern, dessen Alleinstellungsmerkmale hochwertig produzierte Inhalte (im vergangenen Jahr etwa Avengers: Endgame, Toy Story 4, Lion King") und ihre ausgebuffte Vermarktung über Freizeitparks, Spielzeug oder Klamotten sind. Es wird darüber spekuliert, ob Mayer bei ByteDance eine ähnliche Strategie verfolgen und das Erstellen eigener Inhalte vorantreiben wird.

Mayer wird das Gesicht des Unternehmens - nicht nur für knapp zwei Milliarden TikTok-Nutzer, sondern auch für den US-Kongress. TikTok ist in den Vereinigten Staaten mehr als 172 Millionen Mal heruntergeladen worden, Mitglieder beider Parteien hatten im Herbst eine Untersuchung von Datensammelei und möglicher Zensur durch die chinesische Regierung angeordnet. Mehrere Behörden, darunter fast alle Sparten des Militärs, haben ihren Mitarbeitern verboten, die App zu nutzen.

Bislang entzog sich ByteDance einer Befragung, indem es keine Manager aus China (oder von den Cayman Islands) nach Washington schickte - das dürfte bei einem Chef, der in Los Angeles arbeitet, kaum noch möglich sein. Senator Josh Harley, einer der schärfsten TikTok-Kritiker, schrieb dazu bei Twitter: "Ich freue mich, von ihm zu hören. Unter Eid." Mayer wird dabei vor allem beantworten müssen: Was genau ist TikTok?

© SZ vom 20.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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