Deal mit der Justiz im Abgasskandal:VW bleibt moralisch zweifelhaft

Herbert Diess und Hans Dieter Pötsch

Deal fürs Image: Hans Dieter Pötsch und Herbert Diess müssen im Abgasskandal nicht auf die Anklagebank.

(Foto: dpa)

Der Autobauer kauft seine beiden wichtigsten Manager aus den Ermittlungen rund um den Dieselskandal frei. Das zeigt überdeutlich: In Wolfsburg hat man nichts verstanden.

Kommentar von Angelika Slavik

Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was juristisch zulässig ist und dem, was moralisch angemessen ist. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit - aber die Entscheidung, den Vorstandschef Herbert Diess und den Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch aus den Ermittlungen wegen der Dieselaffäre faktisch freizukaufen, zeigt einmal mehr: Volkswagen scheint diesen Unterschied partout nicht zu verstehen.

Der Konzern ist verantwortlich für den wohl größten Industriebetrug der Nachkriegsgeschichte. Er hat Kunden und Anleger getäuscht und Behörden ausgetrickst. Aber VW hat sich auch gegenüber der Gesellschaft insgesamt schuldig gemacht: Weil die Autos des Konzerns die Umwelt weit mehr belastet haben als behauptet. Und weil VW auf fatale Weise das Klischee der skrupellosen Manager bestätigt hat, die völlig moralbefreit auf nichts anderes achten als auf Gewinnmaximierung.

Es wäre das Mindeste, dass VW nach diesem historischen Betrug wenigstens alles Denkbare dazu beiträgt, aufzuklären, wie es dazu kommen konnte: Wer die Manipulationen an den Dieselmotoren von Millionen Fahrzeugen initiiert hat, wer davon gewusst hat, wer sie womöglich stillschweigend geduldet hat. Aber seit dem Bekanntwerden der Dieselaffäre im September 2015 tut Volkswagen genau das Gegenteil: Erst wurden die eigenen Verfehlungen immer nur gerade soweit zugegeben, wie sie sich nicht mehr bestreiten ließen. Dann wurde ein interner Untersuchungsbericht angekündigt - dessen Veröffentlichung erst mehrfach verschoben und schließlich endgültig abgesagt wurde.

Gleich zwei Vorstandschefs haben eine "neue Unternehmenskultur" ausgerufen. Man wolle weniger hierarchisch und vor allem weniger abgehoben werden, war die Botschaft. Sogar von neuer "Demut" war die Rede. Doch es ist nie gelungen, diesen Schlagworten auch wirklich eine Bedeutung zu geben und eine neue moralische Haltung in Wolfsburg zu etablieren.

Verweis auf die turbulenten Zeiten

Dass man sich für die Zahlung von insgesamt neun Millionen Euro entschieden hat, um die beiden wichtigsten Konzernmanager nicht auf einer Anklagebank sehen zu müssen, begründet VW sinngemäß damit, dass sich beide in den ohnehin turbulenten Zeiten auf ihre Kernaufgaben im Unternehmen konzentrieren sollen. Dieses Argument aber übersieht vollkommen, dass jeder Beitrag zur Aufklärung - und den hätte ein Prozess leisten können - eben auch zur Führung eines Konzerns gehört, der sich ein solches moralisches Desaster geleistet hat.

Es ist nachvollziehbar, dass VW auch Sorge vor den Bildern hatte, die dann entstanden wären: Die Führungsriege des wichtigsten Autoherstellers der Welt auf der Anklagebank in einem muffigen Gerichtssaal in Niedersachsen, das passt so gar nicht zu der Hochglanz-Inszenierung, mit der das Unternehmen sonst seine Autos verkauft. Aber es wäre eine Chance gewesen, Haltung zu demonstrieren, Verantwortung zu übernehmen, Schluss zu machen mit den verdrucksten Halbwahrheiten. Und zumindest der heutige Konzernchef Diess, der ja beim Auffliegen der Manipulationen erst wenige Wochen Vorstandsmitglied bei Volkswagen war, durfte sich berechtigte Chancen auf einen Freispruch ausrechnen. Aufsichtsratschef Pötsch war in einer ungünstigeren Ausgangslage, schließlich war er lange Finanzvorstand.

Für beide gilt: Die Entscheidung für den Deal mit der Justiz war falsch.

Es war falsch gegenüber Aktionären und Mitarbeitern, denn so bleibt VW auch fast fünf Jahre nach dem Bekanntwerden des Skandals ein Unternehmen, an dessen Grundwerten man zweifeln muss. Das ist nicht nur schlecht fürs Image, sondern auch ein Wettbewerbsfaktor: Entscheidend für die Mobilität der Zukunft sind nicht mehr nur Ingenieure, sondern vor allem junge Softwareexperten, die sich ihre Arbeitgeber aussuchen können - und von denen die Mehrheit, das ist ein Kennzeichen dieser Generation, für eine gute Sache arbeiten will. Also nicht für VW. Schon jetzt ist ein Großteil der Probleme mit dem Elektroauto ID.3 darauf zurückzuführen: VW hat massive Schwierigkeiten, die richtigen Leute zu bekommen. Das wird jetzt nicht besser werden.

Schlimmer noch: Durch die Millionenzahlung entsteht der Eindruck, wer nur genug Geld habe, komme mit allem davon - sogar mit millionenfachem Betrug. Damit hat VW der Gesellschaft schweren Schaden zugefügt. Schon wieder.

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