Medizin:"Lukas kennt die Klinik besser als sein Zuhause"

Der zehn Monate alte Lukas und sein Vater Konrad im Uni-Klinikum Erlangen.

Lukas' Eltern - hier sein Vater Konrad - stehen ihrem Buben bei, wo immer sie nur können. Bedingt durch die Corona-Krise und die damit verbundenen Sicherheitsauflagen kann aber immer nur ein Elternteil bei dem kleinen Patienten sein.

(Foto: Franziska Männel/Uni-Klinikum Erlangen)

Der zehn Monate alte Junge leidet an einem gravierenden Gendefekt, der weltweit nur bei neun Patienten dokumentiert ist. Ein Kunstherz soll ihm nun das Weiterleben ermöglichen, bis sich ein Organspender findet.

Von Dietrich Mittler, München/Erlangen

Papa trägt einen blauen Mundschutz, und Lukas stört das überhaupt nicht. Im Gegenteil. Menschen in weißen Kitteln, die findet Lukas so richtig cool. In seinem Gitterbettchen ist ihm Abwechslung immer willkommen. Selbst wenn manche Leute nur kurz reinschauen, um den Boden zu wischen. Lukas strahlt. Der mittlerweile zehn Monate alte Bub ist ein sehr geduldiger Patient. Sogar, was die Sonde zu seiner Nase betrifft, die ihn mit Nahrung versorgt. Und den Pulsoximeter, der an seiner linken Hand oder am Bein die Sauerstoffsättigung im Blut misst, der gehört für ihn einfach zum Leben dazu - ein Leben im Krankenhaus. "Lukas kennt die Klinik besser als sein Zuhause", sagt Konrad Huber am Telefon. Der 34-Jährige ist der Vater des Buben.

Sofort nach der Geburt am 9. Juli 2019 kam Lukas im Klinikum Nürnberg auf die Intensivstation. "Nach der Ultraschalluntersuchung haben uns die Ärzte gesagt, dass irgendetwas mit seinem Herzen nicht stimmt", erinnert sich Huber. Aber damals, da wussten weder die Ärztinnen und Ärzte noch er und seine Frau Daniela um die Hintergründe von Lukas' Beschwerden. "Als diese klar wurden, war das für uns ein extremer Schock", sagt Huber.

"Die Krankheit ist genetisch bedingt. Bei Lukas wurde eine Spontanmutation entdeckt, die bisher weltweit nur bei neun Patienten beschrieben wurde", erklärt Sven Dittrich, der Leiter der Kinderkardiologischen Abteilung des Universitätsklinikums Erlangen. Für den Buben bedeutet das: Sein Herz ist zu schwach, um ihn aus eigener Kraft am Leben zu halten - der Herzmuskel ist von Narbengewebe durchzogen, die Herzfunktion stark eingeschränkt. "All die anderen Kinder, bei denen auch die bei Lukas gefundene Genmutation festgestellt wurde, haben irgendetwas mit dem Herzen", weiß das Ehepaar Huber inzwischen.

Lukas ist seine lebensbedrohliche Erkrankung indes nicht mehr anzusehen. Nach Beschreibungen seines Vaters brabbelt er inzwischen zufrieden vor sich hin, kann bereits aus eigener Kraft sitzen, beobachtet aufmerksam seine Umgebung - das alles dank eines im Universitätsklinikum Erlangen implantierten Kunstherzens, das seine linke Herzkammer unterstützt. "Der linke Herzmuskel hatte nur noch eine Leistung von 18 Prozent", erinnert sich Konrad Huber an die ersten Messergebnisse.

Erinnerungen kommen hoch, der Moment, als Lukas nach einer Hochzeitsfeier auf der Heimfahrt nach Postbauer-Heng in der Oberpfalz plötzlich laut schrie, dann im Gesicht blau anlief, schließlich ganz bleich wurde und kaum mehr atmete. "Wir fuhren sofort zur Klinik nach Nürnberg, und das war dann die erste Nacht, wo wir nicht wussten, ob er am nächsten Tag noch aufwacht", sagt Huber.

Lukas wurde auf Beschluss der Nürnberger Ärzte nach Erlangen verlegt. Dort erfolgte die Implantation des Kunstherzens. Bei diesem handelt es sich um ein mechanisches Pumpsystem, das parallel zum kranken Herzen das Blut im Kreislauf zirkulieren lässt. Robert Cesnjevar, in Erlangen der Leiter der Kinderherzchirurgischen Abteilung, hatte Lukas das Kunstherz eingesetzt. Dem Buben, so sagt er, sei von der nach wie vor bestehenden Herzschwäche nicht mehr viel anzumerken - auf den ersten Blick wohlgemerkt. Doch die Umgebung erkunden, mit anderen Kindern herumkrabbeln, unbeschwert groß werden, das bleibt Lukas vorerst versagt.

Verantwortlich dafür ist die Konstruktion, die den Buben so lange am Leben erhalten soll, bis sich für ihn ein Spenderherz gefunden hat. Das Herzkammer-Unterstützungssystem in seinem kleinen Körper ist nämlich über Antriebsschläuche mit einem sogenannten Kunstherzantrieb verbunden. Bis vor kurzem handelte es sich dabei um einen mehr als 90 Kilogramm schweren stationären Antriebsmechanismus, der Lukas nur einen Bewegungsradius von wenigen Metern erlaubte. "Der ist sehr laut und heizt den Raum auf", beschreibt Konrad Huber die aus Laiensicht monströse Apparatur.

Doch dank einer neuen und viel kleineren Antriebseinheit der Firma Berlin Heart GmbH können Lukas und seine Eltern bald schon ihren Bewegungsspielraum ausbauen. Das neue Gerät, nur 15 Kilogramm schwer, kann an einen Kinderwagen angekoppelt werden. Kinderherzchirurg Cesnjevar blickt optimistisch in die Zukunft: "Körperlich hat Lukas den Umstieg nicht gespürt und wird es auch in Zukunft nicht tun", sagt er. Neben Lukas hätten weltweit bislang nur wenige kleine Patienten diesen neuen mobilen Antrieb bekommen.

Cesnjevar weiß aber auch um die Risiken eines Kunstherzens - und damit auch das Ehepaar Huber aus dem Kreis Neumarkt in der Oberpfalz. "Da können auch Komplikationen auftreten", wissen sie. Heißt: "Die schwerste Komplikation wäre ein Schlaganfall, dann stirbt er, dann ist es vorbei", sagt Konrad Huber tonlos. Aber auch Blutungen seien möglich. "So eine Maschine ist halt kein Wunderwerk", schiebt er nachdenklich hinterher.

Doch trotz allem, die Hubers sind dankbar, in absehbarer Zukunft endlich mit ihrem Sohn nach Hause zurückkehren zu können. Die Corona-Krise hat auch in ihrem Inneren Narben hinterlassen. Nur jeweils ein Elternteil durfte in der Klinik bei Lukas sein. "Faktisch habe ich meine Frau deshalb sieben Wochen lang nicht sehen können", sagt Konrad Huber. Und das sei hart, gerade in dieser Situation. Doch schon warten neue Herausforderungen. In die Hoffnung, bald für Lukas ein Spenderherz zu finden, mischen sich Skrupel. Huber spricht von einem moralischen Dilemma. "Wenn wir die Nachricht kriegen, dass ein Herz da ist, dann erlebt gerade eine andere Familie die Hölle", sagt er.

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