Zweite Bundesliga:Warten auf den Torschrei

Die Erkenntnisse des ersten Geisterspiels beim 1. FC Nürnberg: Ein Fan auf der Haupttribüne ist noch erlaubt, der Club trifft trotzdem nicht selbst - und der Kampf gegen den Abstieg in die dritte Liga bleibt für den Bundesliga-Absteiger nach einem 1:1 gegen Aue weiterhin bedrohlich.

Von Sebastian Fischer, Nürnberg

Es liefen die letzten Minuten im Max-Morlock-Stadion, der 1. FC Nürnberg versuchte gerade irgendwie, ein Unentschieden gegen den FC Erzgebirge Aue abzuwenden, als laut und deutlich etwas vermeintlich Verbotenes zu hören war. Es ist ja bekanntlich die wichtigste Bedingung, unter der dem Profifußball die Fortsetzung der Saison gestattet wird, dass sich keine Fans in den Stadien aufhalten dürfen. Doch die Rufe vom Oberrang der Haupttribüne waren unmissverständlich: "FCN, FCN!" Allerdings war es Thomas Grethlein, der da schrie. Dem Aufsichtsratsvorsitzenden des 1. FC Nürnberg ist es auch bei Spielen ohne Zuschauer weiterhin gestattet, im Stadion auf der Tribüne zu sitzen.

Es gehört zu den Erkenntnissen des zweiten Geisterspieltags der zweiten Bundesliga, dass Grethlein, 61, der Chef des Nürnberger Clubs, die Spiele seines Vereins sehr emotional zu verfolgen pflegt - ein wenig wie ein sehr motivierter Spielervater in der Bezirksliga. Die Anfeuerungen in den Schlussminuten waren keine Ausnahme. Er rief zum Beispiel auch dem Schiedsrichter Felix Brych zu, wenn dieser eine gelbe Karte zeigen sollte. Er feuerte die Spieler mit deren Kosenamen an. Er rief: "Weiter, weiter, weiter!" Und nach dem Spiel verließ er die Tribüne in einer kleinen Nürnberger Funktionärsdelegation sichtlich enttäuscht und abgekämpft. Denn auch das gehört zu den Erkenntnissen des zweiten Geisterspieltags: Für Nürnberg, Bundesliga-Absteiger 2019, bleibt es eine schwere Aufgabe, den Zweitliga-Abstieg 2020 zu vermeiden. Oder wie es Kapitän Hanno Behrens nach dem 1:1 am Freitagabend ausdrückte: "Es ist eine sehr ernste Situation."

Darmstadt Fünfter

Darmstadt 98 hat sich in der zweiten Bundesliga auf den fünften Tabellenplatz nach vorne geschoben. Die Lilien gewannen am Samstag gegen den FC St. Pauli mit 4:0. Der VfL Osnabrück unterlag im Niedersachsenduell Hannover 96 aufgrund eines Doppelpacks von Marvin Ducksch in der Schlussphase mit 2:4. Im dritten Samstagsspiel trennten sich der SV Sandhausen und Jahn Regensburg torlos.

Schon vor der Corona-Pause war der FCN in einer misslichen Lage: Angetreten im vergangenen Sommer mit dem Ziel, nach dem Abstieg oben mitzuspielen, spielte die Mannschaft immer mehr unten mit, trotz insgesamt 16 Zugängen und eines Trainerwechsels im Herbst. In der Corona-Pause war der Club eines der ersten Teams, das wegen des Positivtests eines Profis mit dem ganzen Kader für zwei Wochen in Quarantäne musste. Es wäre also eher überraschend gewesen, hätten sich die sportlichen Probleme in zwei Monaten Pause gelöst, und zum Auftakt verlor Nürnberg dann auch erneut, mit 0:1 beim FC St. Pauli, es war die elfte Saisonniederlage. Aber Trainer Jens Keller lobte danach die hohe fußballerische Qualität der Mannschaft, die in Hamburg gut gespielt, aber zahlreiche Chancen vergeben hatte.

"Ich möchte nicht mehr von Pech reden", sagt Trainer Jens Keller: "Die Dinger muss man machen"

Nun, nach dem Remis gegen Aue, das erneut ein Spiel der vergebenen Gelegenheiten war, sagte Keller aber: "Ich möchte nicht mehr von Pech reden. Die Dinger muss man machen." Nur weil Heidenheim den SV Wehen Wiesbaden besiegte, hat Nürnberg noch zwei Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz.

Die erste Großchance hatte Kapitän Behrens in der ersten Halbzeit vergeben, zentral und frei vor dem Tor scheiterte er am Auer Keeper Martin Männel. Nach der Führung der Gäste (51.) erzwang Behrens zwar den Ausgleich (63.), doch es war kein Nürnberger, der den Treffer erzielte: Einen Rückpass von der Grundlinie in den Fünfmeterraum lenkte Aues Verteidiger Sörgen Gonther ins eigene Tor. Davor hatte Robin Hack eine Nürnberger Kopfballchance aus nächster Nähe vergeben. Und zehn Minuten vor Schluss traf Behrens noch mal den Pfosten. Woran es lag, konnte er danach auch nicht sagen. Aber er beteuerte, woran es nicht liege: Keineswegs daran, dass sich die Spieler nicht auf den Kampf gegen den Abstieg in die dritte Liga einlassen könnten.

1. FC Nürnberg v FC Erzgebirge Aue - Second Bundesliga

Nürnbergs Kapitän Hanno Behrens ärgert sich über eine vergebene Großchance.

(Foto: Matthias Hangst/Getty)

Die Mannschaft ist auf vielen Positionen für die Liga auf den ersten Blick sehr gut besetzt. Da ist zum Beispiel der kantige Innenverteidiger Dinos Mavropanos, 22, vom FC Arsenal ausgeliehen. Johannes Geis, 26, im defensiven Mittelfeld, auf dem Flügel Robin Hack, 21, einer der talentiertesten jungen deutschen Fußballer überhaupt. Und natürlich Behrens, 30, seit Jahren das Gesicht der Nürnberger Mannschaft, der auf seiner Position zwischen Angriff und Mittelfeld oft so wirkt, als würde er am liebsten überall auf dem Feld gleichzeitig sein.

Doch es ist ein wenig wie bei einem teuren Hemd, das bei zu heißer Wäsche eingelaufen ist: Wenn man zieht, dann sieht es auf der einen Seite zwar vielleicht noch gut aus - aber auf der anderen ist es zu kurz. Gute Einzelspieler in jedem Mannschaftsteil ergeben in Nürnberg gerade trotzdem keine gute Mannschaft. Geis ließ die Flanke vor dem Tor einfach geschehen, und auf der Sechserposition ließ er große Lücken offen, Hack hatte diesmal wenige Aktionen. Dem schmächtigen Dribbler, mit sieben Treffern bester Nürnberger Torschütze der Saison, fehlte als Pendant jemand in der vordersten Spitze, der den Ball halten kann. Und der bestenfalls vielleicht sogar mal ein Tor schießt.

Vor einem Jahr, in der Abstiegssaison aus der Bundesliga, war die Mannschaft nicht gut genug für die erste Liga. Es war die Unterstützung der Fans, die zwischenzeitlich eine kleine, am Ende erfolglose Aufholjagd bewirkte. Diesmal muss es die Mannschaft alleine schaffen. Auch wenn man wohl davon ausgehen kann, dass Thomas Grethlein allein auf der Tribüne noch sieben Spiele lang alles geben wird.

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