Ralph Brinkhaus:Der Quälgeist

CDU-Fraktionsvorsitzender Ralph Brinkhaus

Noch nie stand Ralph Brinkhaus als Fraktionsvorsitzender so im Fokus wie nun in der Corona-Krise.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Der Vorsitzende der Unionsfraktion stellt sich auch mal gegen die Kanzlerin, ärgert die CSU und versetzt die SPD in Rage. Diese Eigenständigkeit ist nicht ohne Risiko.

Von Robert Roßmann, Berlin

So etwas hat es in der Geschichte des Bundestags noch nie gegeben. An diesem Dienstag werden im Plenarsaal nur Abgeordnete der Union sitzen. Kein Sozialdemokrat, kein Grüner, kein Liberaler und auch sonst niemand wird CDU und CSU herausfordern. Leiter der ungewöhnlichen Sitzung wird nicht der Parlamentspräsident sein, sondern Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus.

Ursache für all das ist die Corona-Krise. Brinkhaus und seine 245 Kollegen wollen sich endlich wieder physisch treffen. Der Saal der Unionsfraktion ist wegen des Abstandsgebots zu klein dafür. Die anderen Fraktionen und der Bundestagspräsident haben der Union deshalb erlaubt, den Plenarsaal zu nutzen. Und so wird Ralph Brinkhaus zum ersten Mal die Hauptrolle im Bundestag spielen. Von der Regierungsbank aus - auch das ist ein Debüt - will er seine Fraktion dirigieren.

Seit knapp zwei Jahren ist Brinkhaus jetzt schon Vorsitzender der Unionsfraktion. Aber noch nie stand er derart im Fokus wie jetzt. Und das liegt nicht nur an der ungewöhnlichen Sitzung im Bundestag. Brinkhaus ist für viele gerade der Quälgeist der Koalition. In den Parteispitzen von CSU und SPD hört man fast nur Klagen über ihn, auch das Kanzleramt ist nicht immer glücklich. Vizekanzler Olaf Scholz - kein Mensch, der zu übermäßigen Gefühlsausbrüchen neigt - schimpfte unlängst über Brinkhaus sogar: "So jemand gehört eigentlich ausgebuht."

Aber woran liegt das? Am einfachsten ist die Frage für das Kanzleramt zu beantworten. In den ersten 13 Jahren ihrer Amtszeit hatte es Angela Merkel mit Volker Kauder an der Fraktionsspitze zu tun. Und der sah seine Aufgabe vor allem darin, der Regierung das Regieren zu erleichtern. Der Unmut unter den Unionsabgeordneten über diese willfährige Rolle war einer der Gründe, warum Brinkhaus Kauder im September 2018 aus dem Amt drängen konnte. Dass die Unionsfraktion jetzt mit neuem Selbstbewusstsein auftritt, dass in ihr viel ausgiebiger diskutiert wird als früher - all das hängt mit Brinkhaus zusammen. Für die Kanzlerin macht es das Regieren aber unbequemer.

Brinkhaus' Vorgänger Kauder war vielen Abgeordneten nicht unbequem genug

Wegen der Corona-Krise zeigt sich das gerade besonders deutlich. Krisen gelten gemeinhin als Zeiten der Exekutive. Aber Brinkhaus will das nicht hinnehmen. In der Debatte über Merkels letzte Regierungserklärung sagte er, das Parlament sei "der Ort, wo die politische Entscheidungsfindung stattfindet". Koalitionsausschüsse und Ministerpräsidentenkonferenzen seien "keine Verfassungsorgane - wir hier sind das Verfassungsorgan". Das war ein Statement, für das er auch viel Beifall von der Opposition bekam. Die Kanzlerin schaute nicht einmal auf.

Womit man auch schon bei Markus Söder wäre. Der ist ja gerade Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz und als CSU-Chef eines der wichtigsten Mitglieder des Koalitionsausschusses - und durfte sich deshalb von Brinkhaus' Statement ebenfalls angesprochen fühlen. In der CSU-Spitze heißt es jetzt etwas hochmütig, man mache sich Sorgen um Brinkhaus. Von dem neuen Fraktionschef habe man sich frischen Wind erwartet, aber jetzt verrenne er sich oft in nicht haltbare Positionen.

Die CSU ist sauer, weil Brinkhaus in den Gesprächen über eine Wahlrechtsänderung signalisiert hat, sich auch eine Verkleinerung der Zahl der Direktmandate vorstellen zu können, um endlich einen Kompromiss mit den anderen Fraktionen zu ermöglichen. Für die CSU, ihre Landesgruppe besteht nur aus direkt gewählten Abgeordneten, ist das eine politische Todsünde. In München goutieren sie aber auch nicht, dass Brinkhaus im Streit um die Grundrente oder die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes hartleibig auftritt.

Zum einem sind die Christsozialen schon immer sozialer als die CDU gewesen. Zum anderen glaubt Söder, dass man den Streit um die Grundrente und das Kurzarbeitergeld in der öffentlichen Wahrnehmung nicht gewinnen kann. Denn wie soll man in einer Zeit, in der es Rettungspakete in dreistelliger Milliardenhöhe gibt, begründen, dass man nicht die eine Milliarde Euro für die Grundrente ausgeben wolle. Söder erinnert zur Zeit gerne daran, dass die Regierung des Sozialdemokraten Hermann Müller 1930 am Streit um eine kleine Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags gescheitert ist - der Rest sei ja bekannt.

Brinkhaus ficht die ganze Kritik nicht an

Die Sozialdemokraten und ihr Vizekanzler sehen das ähnlich. Es war der Widerstand von Brinkhaus gegen die Grundrente, die Scholz zu seiner Ausbuh-Äußerung trieb. Für die SPD ist Brinkhaus derzeit so etwas wie die neoliberale Speerspitze der Union. Dass Brinkhaus in der letzten Sitzung des Koalitionsausschusses sogar verlangt hat, alle bereits vereinbarten Projekte wegen der einbrechenden Steuereinnahmen noch einmal auf den Prüfstand zu stellen, haben die Sozialdemokraten ihm bis heute nicht verziehen.

Auch im persönlichen Verhältnis zwischen Rolf Mützenich und Brinkhaus knirscht es - dabei hängt die Arbeitsfähigkeit einer großen Koalition auch stark vom Verhältnis der beiden Fraktionsvorsitzenden ab. Volker Kauder und Andrea Nahles waren hervorragend miteinander ausgekommen.

Brinkhaus ficht die ganze Kritik nicht an. Die zeige doch eher, dass er seinen Job als Interessensvertreter der Unionsfraktion ganz gut mache, findet er. Brinkhaus sieht sich als ordnungspolitischer Sachwalter. Irgendeiner müsse halt aufs Geld schauen. Und die Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestags, die sei ihm ein Herzensanliegen. Außerdem - so heißt es im Lager von Brinkhaus - finde die Kanzlerin den Fraktionschef zwar anstrengend, habe inzwischen aber verstanden, dass er loyal sei - und das sei doch eine gute Arbeitsgrundlage.

Aber auch Brinkhaus weiß, dass er in keiner einfachen Lage ist. Auf dem Papier hat er im Koalitionsausschuss zwei starke Mitstreiterinnen aus seiner Partei: CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und die Kanzlerin. Doch Kramp-Karrenbauer hat seit ihrer Rückzugsankündigung enorm an politischer Kraft verloren. Und Merkel sieht sich eher als Moderatorin. Wenn dann die SPD das Kurzarbeitergeld aufstocken und die CSU die Mehrwertsteuer für Gaststätten senken will, billigt Merkel beides. Und Brinkhaus, der aufs Geld achten will, geht als Verlierer nach Hause.

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