Deutsche EU-Ratspräsidentschaft:"Die Erwartungen sind mit der Coronakrise noch einmal gestiegen"

Weekly Government Cabinet Meeting During The Coronavirus Crisis

Migration, Klima und natürlich die Pandemie: Angela Merkel - hier am Mittwoch im Kabinett - will in der EU einige Großthemen anpacken.

(Foto: Henning Schacht/Pool/Getty Images)

Berlin übernimmt im Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Die Aufgaben sind inzwischen gewaltig: Die EU braucht dringend eine Einigung über ihren Haushaltsplan, einen Kompromiss in der Migrationspolitik und beim Klima - neben der Bewältigung der Coronakrise.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Die Beamten haben es noch einmal aufgeschrieben, aber Angela Merkel weiß es natürlich auch so. "Die Erwartungen an die deutsche Präsidentschaft sind mit der Corona-Krise noch einmal gestiegen", steht im zweiseitigen Papier aus dem Auswärtigen Amt zur "Schwerpunktsetzung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft". Während des Vorsitzes vom 1. Juli bis 31. Dezember müsse Deutschland auf die Corona-Krise "flexibel reagieren und dennoch wichtige Zukunftsthemen weiter voranbringen". Davon, mit wie viel Leben so eine Worthülse gefüllt werden kann, hängt für Merkel nun einiges ab. Ratspräsidentschaften stellen schon in normalen Zeiten jede Regierung auf die Probe. Nun kommt die Corona-Krise hinzu - und der Merkel-Faktor. Von der Regierungschefin mit der längsten EU-Erfahrung wird besonders viel erwartet.

Die Chefs der EU-Fraktionen sollen gegenüber der Kanzlerin fordernd aufgetreten sein

Die Kanzlerin soll nun sicherstellen, dass jener "Rettungsanker" für die am härtesten von der Corona-Pandemie getroffenen Regionen und Branchen ausgeworfen wird, den Iratxe García, die Chefin der Sozialdemokraten im EU-Parlament, anmahnt. Der Spanierin und den anderen Spitzen des EU-Parlaments stand Merkel (CDU) am Mittwoch zusammen mit Außenminister Heiko Maas und Finanzminister Olaf Scholz (beide SPD) per Video Rede und Antwort zu den Zielen der deutschen Präsidentschaft. Freundlich soll es dabei zugegangen sein, aber eben auch fordernd.

Was auch daran liegt, dass schon vor der Corona-Krise die Liste der unerledigten Aufgaben lang war. Die EU braucht dringend eine Einigung über ihren Haushaltsplan für die Jahre 2021 bis 2027. Nötig wäre zudem ein Kompromiss im zähen Streit über die Migrationspolitik - nicht minder groß sind die Erwartungen beim Thema Klima. Merkel präsentierte den Chefs der Fraktionen im EU-Parlament kein fertiges Programm, wohl aber die Zusage, sich um genau diese Themen zu kümmern - wobei sie etwa im Konflikt über die Migration wenig Hoffnung auf eine Einigung weckte. Im Mittelpunkt, das machte Merkel klar, stehe natürlich die Bewältigung der Corona-Krise.

Wie sehr die Pandemie inzwischen die Koordinaten in der europäischen Politik bestimmt, lässt sich in einem am Mittwoch bekannt gewordenen Dokument nachlesen, auf das sich die Bundesregierung mit Portugal und Slowenien verständigt hat. Die beiden Staaten übernehmen die Präsidentschaften im kommenden Jahr und bilden mit Deutschland nach den Gepflogenheiten der EU eine "Trio-Präsidentschaft". In "dramatischer Weise" habe die Corona-Pandemie alle EU-Staaten in Mitleidenschaft gezogen, was nun "dringendes, entschiedenes und abgestimmtes" Handeln erfordere. Praktisch kein Bereich der EU-Politik ist von der Pandemie unberührt geblieben; 38 Mal fällt auf 23 Seiten das Wort Covid-19. So wird darauf verwiesen, dass eine Einigung über den künftigen mehrjährigen Haushalt noch dringender geworden sei. Das sei von "entscheidender Bedeutung, um eine adäquate und kraftvolle Antwort auf die Folgen der Covid-19-Pandemie" zu geben. Ob das nun heißt, dass Deutschland in der Doppelrolle des größten Beitragszahlers und Vorsitzenden besonders kompromissbereit auftreten wird, ist bei der Videokonferenz offengeblieben - wiewohl Merkel immer wieder auf die außergewöhnlichen Zeiten zu sprechen kam. Finanzminister Scholz machte klar, dass der von Deutschland und Frankreich vorgeschlagene schuldenfinanzierte Wiederaufbaufonds eine einmalige, auf zwei bis drei Jahre begrenzte Ausnahme für die Corona-Krise bleiben soll.

Der EU-China-Gipfel im September in Leipzig ist trotz Corona weiter geplant

Nach dem Willen der "Trio-Präsidentschaft" soll unter den nun aufzuschüttenden Geldbergen ein Anliegen aus der Zeit vor der Pandemie nicht begraben werden. "Das Trio unterstützt die vollständige Anwendung der Werte der Union, einschließlich der Rechtsstaatlichkeit überall in der EU", heißt es in dem Entwurf. Polen und Ungarn werden nicht ausdrücklich erwähnt, dürfen sich aber angesprochen fühlen. Man freue sich, heißt es in dem Papier, auf den geplanten "Rechtsstaatsmechanismus" zur regelmäßigen Überprüfung aller Mitgliedstaaten.

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An einem als großer Höhepunkt der Präsidentschaft geplanten Termin will Merkel offenbar festhalten. Der EU-China-Gipfel werde am 14. September in Leipzig stattfinden, wird im Programm des Trios versichert - was weder logistisch noch politisch eine Selbstverständlichkeit darstellt. Noch ist nicht klar, ob und in welcher Form die Infektionslage ein großes Gipfeltreffen erlaubt. Hinzu kommen die erheblichen Spannungen mit China, zuletzt durch das angekündigte Sicherheitsgesetz zu Hongkong und die Sorgen um den Sonderstatus der Stadt. Forderungen nach einer Absage des Gipfels will sich die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Gyde Jensen (FDP), zwar nicht anschließen. Sie verlangt aber, ihn als "Hebel" zu nutzen. "China ist daran gelegen, dass dieser Gipfel stattfindet. Dies sollte an die Bedingung geknüpft werden, dass die Führung in Peking sich in der Hongkong-Frage bewegt. Bisher ist mir die deutsche Reaktion viel zu schwach", sagt sie.

Das Verhältnis zu China werde den außenpolitischen Schwerpunkt der Ratspräsidentschaft bilden, sagt Merkel am Abend in einer Video-Ansprache für die Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Europäer müssten erkennen, "mit welcher Entschlossenheit China einen führende Platz" beanspruche. Diese Herausforderung gelte es "selbstbewusst anzunehmen".

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