Von der Leyen und Merkel:Plötzlich gemeinsam im Sturm

Angela Merkel At The European Council

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Kanzlerin Angela Merkel beim Brüsseler Sondergipfel im Februar dieses Jahres.

(Foto: Nicolas Economou/picture alliance)

Angela Merkel und Ursula von der Leyen verbindet eine wechselvolle Geschichte. In einem für Europa historischen Moment müssen sie kooperieren: Das wird schwierig.

Von Stefan Braun und Cerstin Gammelin, Berlin, und Matthias Kolb, Brüssel

Es war ein Moment echter Emanzipation, zumindest für Ursula von der Leyen. Am 8. November 2019 stand sie im Kanzleramt an der Seite von Angela Merkel. Die Kanzlerin empfing die neue EU-Kommissionspräsidentin. 14 Jahre lang war die eine Chefin der anderen gewesen, nun herrschte eine neue Gewichtsverteilung: Während über Merkel der näher rückende Abschied schwebte, erlebte von der Leyen die Krönung ihrer Karriere. Die eine würde bald gehen, die andere würde die Zukunft gestalten - das war das Bild, das sich an diesem Tag einprägte. Europa brauche jetzt "Dynamik und einen großen Anspruch", erklärte von der Leyen. Das klang sehr nach: Ich zeig dir jetzt, wie Europa gemacht wird.

Sechs Monate später verbindet die beiden Frauen eine Herkulesaufgabe. Das ungleiche Paar, das sich schon so lange kennt und politische Ziele oft mit sehr unterschiedlichen Strategien verfolgt hat, steht plötzlich gemeinsam im Sturm, um Europas Zukunft zu retten. Mit einem Konjunkturpaket über 750 Milliarden Euro wollen sie der EU nach Corona auf die Beine helfen. Auch wenn die beiden wenig allein entscheiden können - von der Leyen als Kommissionschefin und Merkel als EU-Ratspräsidentin vom 1. Juli an werden das öffentliche Ringen um das Paket prägen.

Wie eine Ironie der Geschichte mag da wirken, dass das Projekt, das sie durchsetzen müssen, zum größten Teil nicht aus ihrer Feder stammt, sondern von Ministern konzipiert wurde. Und das vertraulich. Die Öffentlichkeit erfuhr davon erstmals vor Ostern, am Rande einer EU-Finanzminister-Schalte. Olaf Scholz hatte erst über die akute Krisenhilfe geredet und dann fast beiläufig über einen Wiederaufbautopf gesprochen.

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Zu der Zeit war Merkels Verhältnis zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron sehr angespannt. Macron hatte mit acht anderen Staats- und Regierungschefs öffentlich CoronaBonds gefordert und die Kanzlerin unter Druck gesetzt, weil sie versprochen hatte, solchen Bonds niemals zuzustimmen. Der Wiederaufbaufonds sollte nun zu einer Brücke werden, die Scholz und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire zwischen Berlin und Paris, aber auch zur EU-Kommission bauen wollten.

Zu lösen waren zwei Fragen: Wie kann der Wiederaufbaufonds innerhalb der EU-Verträge konstruiert werden, ohne Schulden zu vergemeinschaften und ohne in den hoch verschuldeten Staaten weitere Schulden anzuhäufen? Scholz und Le Maire entwickelten die Idee des Eigenmittelfonds im EU-Haushalt. Scholz hielt Kontakt zu Merkel, traf sie auch persönlich. Le Maire tat das Gleiche mit dem französischen Präsidenten. Und der wiederum stimmte sich mit Scholz ab. Im Hintergrund sprach man mit der EU-Kommission, die frühzeitig dafür gewonnen werden sollte. Trotzdem zögerte Merkel. Sie sagte erst Ja, als sie sicher sein konnte, dass auch wichtige Stützen aus CDU und CSU mitgehen würden. Von der Leyens Kommission übernahm dann die Struktur des Vorschlags und ergänzte ihn durch Kredite in Höhe von 250 Milliarden Euro - als Zugeständnis an die vier EU-Länder, die das Ganze bis heute kritisch beäugen.

Geschafft ist freilich noch nichts. Der Kampf werde "hart werden und dauern", heißt es aus Berlin und Brüssel gleichermaßen. Für von der Leyen ist das nichts Neues; sie liebt es, politisch zu ringen, seit sie 2005 als Familienministerin nach Berlin wechselte. Merkel dagegen hat in 15 Jahren Kanzlerschaft selten einen solchen Sprung gewagt, ohne zu wissen, wie die Sache ausgeht. Umso spannender wird es sein, wie die beiden in diesem historischen Moment kooperieren werden. Und das nach 14 Jahren, in denen sie immer wieder im Clinch lagen. Eine ehrliche Bilanz ihrer Beziehung müsste wohl lauten: Politische Nähe ja; Loyalität eher nein.

"Zu deutsch"?

In Berlin heißt es nun, natürlich stimme man sich ab. Eine detaillierte Absprache über eine gemeinsame Strategie aber werde es kaum geben, das passe nicht zu den beiden und nicht zu ihren jeweiligen Rollen. Dies gilt für die Kanzlerin, noch mehr aber für die Deutsche in Brüssel, für die das Aufbaupaket die Chance zum Durchbruch ist.

Von der Leyen wird von dem Verdacht verfolgt, dass sie manchen Regierungen etwas schulde, weil diese ihr ins Amt geholfen haben. Anfangs wurde sie als zu Macron-freundlich wahrgenommen, später galt sie Kritikern als "zu deutsch". Dass sie ein Team aus Vertrauten mitbrachte, verstärkte den Eindruck. Es sollte ein Zeichen der Emanzipation sein, als sie nach dem Karlsruher EZB-Urteil laut über ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland nachdachte.

Wie heikel die Lage ist, zeigt auch der Fall Lufthansa. Dass die Kommission zur Rettung der Fluglinie Bedingungen stellt, verärgert in Berlin viele. Selbst im Kanzleramt ist zu hören, Brüssel lasse "völlig außer Acht, was außerhalb Europas" passiere. Dort finde die wahre Schlacht um die Fluglinien statt. Gut klingt das nicht, gerade jetzt, da Berlin beim Wiederaufbaufonds zu so großen Zugeständnissen bereit ist. Gleichzeitig muss von der Leyen gerade hier jene Unabhängigkeit demonstrieren, die sie braucht, um bei Kritikern erfolgreich für das ganz große Paket werben zu können.

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