Kunst & Debatte:Good bye, Reisezirkus

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Nach der Absage der Art Basel steht nicht nur der Kunstmarkt still, sondern auch der ganze Diskurs und sein globaler Resonanzraum.

Von Catrin Lorch

Heute wären ja alle in der Schweiz. Gäbe es kein Coronavirus, feierte dort die bedeutendste Kunstmesse der Welt ihre Vernissage: die Art Basel. Unter dem gewaltigen Messedach von Herzog und de Meuron würden die schwarzen Limousinen einfahren, an den Drehkreuzen herrschte Gedränge. Man könnte Englisch, Italienisch oder auch Mandarin hören: Die eleganten, durchweg älteren Sammler würden sich auf kleinen iPads zeigen, was sie am Vortag bei der Preview der Statements oder auf der Nachwuchsmesse "Liste" schon gekauft oder zumindest reserviert hätten.

Aber all das soll dieses Jahr nicht sein. Nachdem die Art Basel vom Juni schon in den September verlegt wurde, hat der Direktor Marc Spiegler sie am Wochenende ganz abgesagt. Und es ist diese Nachricht, in der sich der Verlust abzeichnet, den die Pandemie nicht nur für den Kunstmarkt bedeutet, sondern für die zeitgenössische Kunst insgesamt.

Als man noch dachte, sie könnte im Herbst stattfinden, hätte die Art Basel der Startschuss für eine Aufholjagd sein sollen, bei der Galerien, Auktionshäuser und Messeveranstalter ihre Umsätze für das Jahr wenigstens teilweise gerettet hätten. Doch welche der bedeutenden Messen überhaupt noch stattfinden werden, ist derzeit fraglich. Victoria Siddall, Leiterin der Londoner Frieze und Frieze Masters, behält sich eine Entscheidung bis Ende Juni vor. Und ob das Sicherheitskonzept für Sammler und Galeristen akzeptabel sein wird, an dem Daniel Hug, der künstlerische Direktor der Art Cologne, arbeitet?

Hug plant fest gebuchte Zeitfenster, Maskenpflicht und Einbahnstraßen durch die Kojen. Es sind aber die Aussteller selbst, die fürchten, eine Messe unter solchen Bedingungen sei nicht nur kein Spaß, sondern auch kein Geschäft. Mehr als 250 von ihnen sollen Spiegler zuletzt bekniet haben, die Art Basel zu verlegen. Sie kennen ihre Sammler. Und ahnen, dass denen in Zeiten der Epidemie das Reisen gründlich verleidet ist.

Der Markt geht verloren - aber auch ein weltumspannender Resonanzraum für Kunst

Doch mit dem als "Reisezirkus" geschmähten Markt verliert die zeitgenössische Kunst nicht nur die Käufer für ihre Werke und potente Förderer - es geht auch der große, zuletzt fast weltumspannende Resonanzraum verloren, der sie in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einer bedeutenden Disziplin heranwachsen ließ. Die Szene war angewiesen auf Ereignisse, neben den Messen auch Biennalen, große Vernissagen oder angesagte Off-Shows in Paris oder London. Denn dort wurde mehr verhandelt als Preise und Wertsteigerungen.

Die zeitgenössische Kunst, die bis in die Achtzigerjahre von einer Handvoll Avantgarde-Galerien in New York und Köln, Düsseldorf und London vertreten wurde, stand lange im Schatten kunsthistorisch abgesicherter Werte. Jung waren Impressionismus, Moderne, Expressionismus, Picasso und New York School - was Geld brachte, konnte man an einer Hand abzählen.

Es waren dann die Messen, die sich nach dem Vorbild der im Jahr 1967 in Köln gegründeten Art Cologne bald in Basel, New York und Paris etablierten, die zur Plattform für die zeitgenössische Kunst wurden. Dort kamen Künstler, Sammler, Händler und Besucher zusammen und ins Gespräch, es herrschte Dringlichkeit: Konzeptkunst, politische Kunst, Becher-Schule, Neue Malerei waren Ereignisse, die kommentiert und diskutiert wurden. Kunstmagazine, lange allein der Durchsetzung einer bestimmten Schule verpflichtet, sahen ihre Chance und wurden zu gewichtigen, weltweit wahrgenommenen Publikationen.

Die Beziehungsgeflechte, die sich da entspannen, waren zuletzt so undurchsichtig wie ein dickes, herumkullerndes Knäuel - das man aber mit der an der Mafia geschulten Formel "Folge dem Geld" entwirren konnte. Galerien finanzierten nicht nur Anzeigen, sondern ganze Kataloge, übernahmen Transportkosten, finanzierten die Vernissage und ließen Kuratoren um die Welt fliegen. Und Sammler, einst eine zurückgezogene, diskrete Spezies, eröffneten Privatmuseen, vergaben Preise, gründeten eigene Publikationen und ließen sich bei Diskussionsrunden und in der Politik hofieren.

Das mag man kritisch sehen. Doch war das zuweilen nur laute, häufig aber auch kluge Gemurmel, das über dieser Szene in der Luft hing, ein Diskurs, der die strengen Kolloquien der Kunsthistoriker einfach überdröhnte. Während Altmeister und ewige Werte vom boomenden Kunstmarkt nicht wirklich profitierten, gewannen die Zeitgenossen. Museumsdirektoren hofierten Mega-Galeristen, die längst sogar deren ureigenste Aufgaben - beispielsweise die Betreuung von Nachlässen - übernommen hatten. Das hat Abhängigkeiten geschaffen, das System breitet sich längst auch über öffentliche Institutionen wie Kunstvereine, Ausstellungshäuser und Museen aus. In seiner Gesamtheit hat es die zeitgenössische Kunst aber zu dem gemacht, was sie heute ist: eine politisch wache, wirklich internationale, schnelle und kluge Disziplin.

Wer denkt, diese reiche Szene lasse sich irgendwie auch ins Digitale verlegen, irrt. Nicht nur weil, ganz puristisch ausgedrückt, die Werke dort nicht abzubilden sind. Sondern auch, weil virtuelle Kojen nichts mit dem Erlebnis einer Art Basel zu tun haben, jedenfalls solange sie nicht mindestens so dynamisch und vernetzt aufbereitet sind wie Amazon, Tiktok, Tinder und Paypal zusammengenommen.

Das neueste Titelblatt des Magazins Artforum zeigt einen welken Strauß Blumen. Die Künstlerin Tosh Basco hat ihn für "Untitled" (2020) mit der Kamera festgehalten, während des Lockdowns in ihrem Studio. Das sonst durch Anzeigen pralle Artforum ist in der aktuellen Doppelausgabe schmal. Mit der ihr eigenen schnellen Ironie und in großer Schönheit verabschiedet sich die Szene. Ob sie wirklich am Rand eines Abgrunds steht, oder nur für eine Weile die Dekoration der Party abhängen muss, wird sich zeigen.

© SZ vom 10.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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