Volkswagen:Das "Smartphone auf Rädern" braucht noch ein Update

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Mit Einschränkungen: Der VW ID.3 wird ab September ausgeliefert, die ersten Kunden sollen später noch ein kostenloses Software-Update bekommen. (Foto: dpa-tmn)

Volkswagen will ab September endlich das Elektroauto ID.3 ausliefern. Dabei sind die Probleme mit der Software noch nicht völlig gelöst, wie eine Probefahrt zeigt - aber der Konzern braucht das Auto dringend für seine CO₂-Bilanz.

Von Max Hägler, Wolfsburg

Eines ist auf jeden Fall festzuhalten: Dieses Auto fährt. Unbestreitbar. Ruhig zieht dieser neue Elektrowagen seine Runden über die Teststrecke hinter dem Wolfsburger Werk. "Die Akustik ist top", sagt Ralf Brandstätter, gerade erst Chef der Marke Volkswagen geworden und jetzt hinter dem Steuer des ID.3. "Wir fahren 80!" Ein bisschen mehr drückt er nun aufs Gas, was beim Elektroauto natürlich ein schiefer Begriff ist. Mit 100 Sachen fährt der Wagen nun der Steilkurve entgegen, und drinnen kann man sich noch angenehm unterhalten. Ein Auto, das seine Insassen angenehm behandelt. Das allein ist ja schon mal was in diesen Tagen. Brandstätter jedenfalls freut sich.

Denn Volkswagen im Frühjahr des Jahres 2020, das ist ein Konzern, der sich wieder einmal selbst derart aus dem Konzept gebracht hat, dass manche Mitarbeiter daran zweifeln, ob man das normale Geschäft noch beherrscht: das Bauen von Autos. Manche "schämen" sich sogar, bei diesem Laden zu arbeiten, wetterten Arbeitnehmervertreter vor einigen Tagen in einem offenen Brief. Die Testfahrt heute soll Ruhe bringen.

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Seit Wochen hat sich VW in eine immer größere Misere manövriert. Den Golf VIII mussten sie gleich nach dem sowieso verzögerten Start wieder von den Straßen sammeln, weil sich ein gefährlicher Softwarefehler fand. Die Werbung für das neue Modell missglückte ebenfalls. Und von dem Auto hier auf der Teststrecke ist bislang noch nicht ganz klar gewesen, ob es in diesem Jahr überhaupt ausgeliefert werden kann: Mit dem ID.3, einem Wagen im Golf-Format, will man endlich im großen Stil ins Zeitalter der Elektromobilität kommen. Sogar die Kanzlerin kam zum Produktionsstart im November. Doch derzeit machen vor allem Bilder von geparkten Neuwagen die Runde: Die Software in ihnen will nicht recht funktionieren.

Konzernchef Herbert Diess kämpft wegen all dem in Wolfsburg um sein Amt - und musste am Montag die Verantwortung abgeben für den Golf und ID.3, ja für die ganze Marke. Der Aufsichtsrat hat stattdessen eben Ralf Brandstätter, 51, die Führung übertragen. Zurückhaltend sei er, heißt es, jedenfalls spricht er so: Von der "Evolution in die Verantwortung der Führung der Marke", spricht Brandstätter, der bereits zwei Jahre lang das VW-Tagesgeschäft führte. Mehr gibts nicht. "Ich wollte mich heute auf die Autos konzentrieren", sagt der Wirtschaftsingenieur, als man mit ihm im Kreis fährt. Und die sollen nun tatsächlich an die Kunden ausgeliefert werden: Ab September, für einen Preis von "unter 40 000 Euro" mit einer 58-KWh-Batterie. In 3,4 Sekunden geht es dabei von Null auf 60 Km/h.

"Software ist die Kür"

Dabei ist das mit der hakeligen Software immer noch nicht ganz behoben. Nicht alle der geplanten Features werden freigeschaltet: Ein "App Connect" und eine Variante des Head-up-Displays sind noch in Programmierung. Aber der Wagen muss jetzt raus. Auch weil er wichtig ist für die Kohlendioxid-Bilanz: Nur mit dem ID.3 kann VW überhaupt den neuen Grenzwert halten. Wer ihn jetzt gleich kauft, darf sich "First Moover" nennen und kann dann im kommenden Frühjahr ein Update aufspielen lassen. Von einem Smartphone auf vier Rädern als Vision spricht Konzernchef Diess immerzu und verweist dann auf Tesla: die E-Autopioniere aus Kalifornien seien Vorbild, beim Bedienen wie beim Fahren. Sein Kollege Thomas Ulbrich, E-Auto-Vorstand, hat das verinnerlicht: Elektroantriebe mit Blech außen rum, das könne jeder, sagt er bei einer Testrunde. "Software ist die Kür." Und 254 Features würden ja im ID.3 bereits funktionieren. Wobei es gut ist, dass dieser Wagen zumindest teilweise ein Update "over the air" ermöglicht, per Internet, daheim, wie bei Tesla. Denn auch manches Freigeschaltete hakt noch.

Während Ulbrich erzählt von der Kraftanstrengung, den Konzern auf Programmierer-Denke zu bringen, aktiviert er den Fahrassistenten, der dank Video, Radar und schlauen Algorithmen weitgehend alleine pilotieren soll. In der Steilkurve hält der Rechner den Wagen aber nicht mehr. Er bricht aus der Spur. "Die Schwerkraft", kommentiert der Manager, man habe durchaus noch zu tun. "Erzähl mal einen Witz", fordert er die Sprachsteuerung schließlich auf. Wenn alles klappt, sollte der ID.3 mit Frauenstimme nun sagen: "Was essen Autos am Liebsten? Parkplätzchen." Aber der Wagen hat sich noch nicht an seinen Erschaffer gewöhnt. Er rechnet. Versteht die Frage nicht. Sekunden später erscheint im Display: "Ärztlicher Dienst".

© SZ vom 12.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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