Soziale Medien:Doom Scrolling - wenn das Elend kein Ende nimmt

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Immer weiter: Für viele wird das Scrollen zum Automatismus.

(Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

In Online-Feeds jagt eine Schreckensbotschaft die andere. Menschliche Sensationsgier und technische Infrastruktur begünstigen endloses Scrollen durch negative Nachrichten.

Von Michael Moorstedt

Neue Zeiten erfordern neue Wörter. Schließlich wollen bislang unbekannte Verhaltensweisen und Phänomene benannt werden. Manche der erdachten Begriffe sind naheliegend: Der "Covidiot" kommt da in den Sinn. Doch manche schaffen es, Zeichen und Inhalt perfekt miteinander zu vereinen. Eine solche Vokabel, die nun sogar ins Merriam-Webster-Wörterbuch aufgenommen wurde, ist "Doom Scrolling".

Die deutsche Übersetzung steht noch aus. Grob gesagt handelt es sich um das obsessive Konsumieren von schlechten Nachrichten. Menschen versorgen sich bis spät in die Nacht mit den neuesten Hiobsbotschaften. Zahlen, Fotos und Videos zu Infektionsfällen, Wirtschaftsabschwung und Polizeibrutalität. Man macht weiter, immer weiter, bis man nicht mehr kann. War das Smartphone bis vor Kurzem noch eine Art geschützter Raum, ist es nun zu einer Büchse der Pandora geworden.

Mit dem "Infitie Scroll" in den Abgrund

Permanent Bilder von Gesichtsmasken, Krankenhausfluren oder Straßenschlachten anzusehen, sorgt, wenig überraschend, für schlechte Laune. Es gibt jedoch inzwischen auch eine Vielzahl von psychologischen Studien, die besagen, dass das passive Konsumieren von Social-Media-Inhalten ohnehin negative Auswirkungen auf die Psyche hat. Kommen dann noch eine globale Pandemie, eine Rezession und zivile Unruhen hinzu, wird alles nur noch schlimmer.

Mit zwei Mitteln aus dem Giftschrank der Social-Media-Unternehmen wird Doom Scrolling sogar noch beschleunigt. Zum einen die selbstlernenden Algorithmen, die darauf ausgerichtet sind, die Nutzerbindung und die Verweilzeit auf den Plattformen zu maximieren. Sobald der Algorithmus merkt, dass eine bestimmte Art von Inhalt zu mehr Klicks führt, beginnt er, dem Nutzer immer mehr davon zu servieren. Dabei wird die absolute Relevanz von Nachrichten zugunsten von individueller Präferenz unterdrückt. Schon bald wirkt dies dann so, als gebe es ausschließlich schlechte Nachrichten. Dass ein Gutteil der von den Social-Media-Plattformen überbrachten Nachrichten nur Gerüchte, Verschwörungen und Fake-News-Destillate sind, macht die Sache nicht besser.

Der zweite Mechanismus, der in den meisten Plattformen fest eingebaut ist, nennt sich "Infinite Scroll". Webseiten und Apps wie Twitter und Facebook finden kein Ende. Hat man den unteren Rand des Bildschirms erreicht, werden die nächsten Inhalte geladen. So hat der Nutzer nie das Gefühl, das ganze Ausmaß einer Thematik zu verstehen, er bleibt auf der Suche nach Trost durch Erkenntnis.

Da die Erfahrung lehrt, dass von den Tech-Konzernen nicht zur Lösung des Problems beigetragen wird, liegt es am Nutzer selbst, das Doom Scrolling in den Griff zu bekommen. Psychologen raten jedenfalls dazu, nicht nur passiv zu konsumieren, sondern aktiv an einer Konversation teilzunehmen. Dies könne bei Nutzern in vielen Fällen ein Gefühl der Handlungsfähigkeit wiederherstellen. Einen andere Methode, die hilft, das Doom Scrolling besser zu beherrschen, empfiehlt das Magazin Popular Science. Die Menschen sollten einfach mal ihre Smartphones ausschalten und "eine gottverdammte Zeitung lesen". Wir wollen dem an dieser Stelle zustimmen.

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