Gesetz gegen "Feindeslisten":Anprangern, aufstacheln, einschüchtern

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Der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke steht von Dienstag an vor Gericht. Schon im Jahr 2011 hatte die NSU-Mordbande den Namen des Kasseler Regierungspräsidenten auf einer Liste geführt. (Foto: dpa)

Der vor einem Jahr ermordete Walter Lübcke hatte zuvor auf Feindeslisten von Neonazis gestanden. Eigentlich möchte die Koalition solche Listen unter Strafe stellen. Doch zwischen Union und SPD gibt es unterschiedliche Vorstellungen.

Von Georg Mascolo und Ronen Steinke, Berlin

"Nun lasst die Fahnen fliegen", sangen die Männer, und noch andere Lieder der Hitlerjugend. Ihre Gruppe, genannt "Bund Deutscher Jugend", flog in Hessen auf, nachdem ein Zeuge vor der Frankfurter Kriminalpolizei nicht nur ihre Waffenlager verraten hatte, sondern auch Listen mit den Namen von 40 Personen - meist hochrangige SPD-Politiker - gefunden wurden, die am "Tag X kaltgestellt" beziehungsweise "aus dem Verkehr gezogen" werden sollten. 1953 war das. Aber der Fall könnte von heute sein.

Solche Feindeslisten stellen Rechtsextreme immer noch gerne auf. Inzwischen kursieren sie immer öfter im Internet. Nun will die große Koalition das Aufstellen solcher Listen unter Strafe stellen. Das Bundeskriminalamt (BKA) spricht von "Psychoterror" gegen "politische Gegner", man erinnert an den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, dessen mutmaßlicher Mörder von diesem Dienstag an vor Gericht steht. Schon im Jahr 2011 hatte die NSU-Mordbande den Namen Lübckes auf einer Liste geführt, die allerdings nicht im Netz kursierte. Darauf standen etwa 10 000 Adressen von Politikern, Parteien und jüdischen Einrichtungen.

Es ist allerdings ein juristisch heikles Unterfangen. Darauf weist der rechtspolitische Sprecher der SPD im Bundestag hin, Johannes Fechner. Denn viele, auch gewaltfreie politische Gruppen führen Listen. Auch von Politikern, die sie als ihre Gegner betrachten. Verbände tun dies, wenn sie zum Beispiel ihre Mitglieder auffordern, Protestbriefe an bestimmte Politiker zu schreiben. Abtreibungsgegner tun dies mit Arztpraxen, die Antifa sowieso, wenn sie Neonazis "outet", also im Netz mit Adresse an den Pranger stellt. Die Rechtspolitiker mahnen: "Zugänglichmachen" von "personenbezogenen Daten", das ist ein weiter Begriff. Ein neuer Straftatbestand müsste klare Grenzen ziehen, damit Staatsanwälte zuverlässig wissen, welche Fälle gemeint sind - und welche nicht.

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Zwischen Union und SPD gibt es nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR inzwischen sogar zwei konkurrierende Entwürfe. Die SPD möchte nur solche Namenslisten zur Straftat erheben, die eindeutig zu Delikten aufstacheln und außerdem in einer Weise veröffentlicht werden, dass die Betroffenen dies mitbekommen. Denn dann ist es eine Drohung. Es ist die Botschaft an die Betroffenen: Pass auf, wir wissen, wo du wohnst. Dafür will die SPD den Bedrohungsparagrafen 241 leicht ergänzen; mit der Klarstellung: auch eine Feindesliste kann eine Drohung sein. Strafe: bis zu zwei Jahren.

Eine Excel-Datei mit 24 522 Namen

Die Union dagegen möchte einen Schritt weitergehen. Sie möchte auch solche Namenslisten mit erfassen, von denen die Betroffenen noch nichts mitbekommen haben. Listen also, die etwa bloß in einer Garage liegen und nur von Gesinnungsbrüdern gelesen werden. So wie jene Excel-Datei, die 2017 bei Mitgliedern der rechten Chatgruppe "Nordkreuz" gefunden wurde. Darauf standen 24 522 Namen, teils mit Privatanschrift, von Politikern vor allem der Linken, Grünen und SPD.

Auch wenn die Betroffenen nichts wussten, bedeutete dies bereits ein erhöhtes Risiko für sie, sagt der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU). Deshalb möchte er das Aufstellen von Feindeslisten als Unterfall der "Störung des öffentlichen Friedens durch Androhen von Straftaten" fassen, Paragraf 126 Strafgesetzbuch. Strafe: bis zu drei Jahre.

Als kürzlich BKA-Vizepräsident Jürgen Peter im Bundestag war, wandte er sich an die Abgeordneten. Auch unter ihnen seien "viele dabei, die auf diversen Listen in der Vergangenheit gestanden haben". Trotzdem wollen die Koalitionäre noch Rat einholen. In dieser Woche wollen sie ihre Gesetze zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität verabschieden, das Thema Feindeslisten aber haben sie herausgelöst. Nach der Sommerpause wollen sie erst juristische Sachverständige hören.

Klar ist bereits, dass Feindeslisten, die - so die Definition des BKA-Vizes - "bei anderen die Bereitschaft wecken sollen, Straftaten gegen die betroffenen Personen zu begehen", nicht nur dann zur kriminellen Tat erklärt werden sollen, wenn die Täter rechts sind. Daran lässt der SPD-Abgeordnete Fechner keinen Zweifel. "Das gilt unabhängig von der politischen Richtung."

© SZ vom 15.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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