Geschlechtsbezeichnungen:Divers, aber nicht divers genug

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Wann darf man seinen Geschlechtseintrag streichen oder "divers" eintragen lassen? Wie wird das definiert? Über Biologie? Identitätsempfinden? Darüber soll nun das Bundesverfassungsgericht entscheiden. (Foto: Peter Steffen/dpa)

In Deutschland gibt es das "dritte Geschlecht" und die Möglichkeit, gar nichts eintragen zu lassen im Pass. Aber nicht alle können das ändern. Nun läuft eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Von Veronika Wulf

Lann Hornscheidt sieht sich weder als Mann noch als Frau, im Pass steht dennoch ein eindeutiges Geschlecht. Und obwohl es in Deutschland die sogenannte dritte Option gibt, zieht Hornscheidt nun vor das Bundesverfassungsgericht, um das zu ändern. Denn Ende 2018 wurde zwar die Geschlechtsangabe "divers" eingeführt neben "männlich" und "weiblich" oder der Möglichkeit, ganz auf eine Angabe zu verzichten. Die Gesetzesänderung wurde als wichtiger Schritt zu mehr Gleichberechtigung gefeiert. Doch dass es komplizierter ist, zeigt die einfache Frage: Wer darf diese neue Option überhaupt nutzen?

Im Juristendeutsch sind das "Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung". Nur sie dürfen laut Gesetz den Eintrag im Geburtenregister nachträglich ändern. Diese "Varianten" müssen von einem Arzt bescheinigt werden, gehen also auf körperliche Eigenschaften zurück. Damit gilt das im Grunde nur für Intersexuelle, also Personen, die biologisch nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind.

Als Lann Hornscheidt, 54, dagegen die Geschlechtsbezeichnung im Pass streichen lassen wollte, wurde dies abgelehnt. Das Gesetz, das 2018 eingeführt wurde, gelte nicht für "Personen mit lediglich empfundener Intersexualität", beschloss der Bundesgerichtshof (BGH) in letzter Instanz. Stattdessen verwiesen die Richter Hornscheidt auf das Transsexuellengesetz.

Fragen über das Sexualleben und die Kindheit

Nach diesem Gesetz aus den 80er Jahren können Transgender und Transsexuelle ein anderes Verfahren durchlaufen, das jedoch sehr umstritten ist. "Es setzt ein Gerichtsverfahren beim Amtsgericht voraus und man muss unter anderem zwei psychologische Gutachten über sich ergehen lassen", sagt Lea Beckmann, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die Hornscheidt bei der Klage unterstützt. Für die Gutachten würden sehr persönliche Dinge wie Sexualpraktiken und Kindheitserfahrungen abgefragt. "Das wird als extrem demütigend wahrgenommen." Zudem sei das Verfahren kostenpflichtig und dauere in etwa ein Jahr. "Das ist ein Gesetz, das durch etliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zerlöchert und für verfassungswidrig erklärt wurde."

Lann Hornscheidt ist vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. (Foto: Kaveh Rostamkhani/kaveh-rk.net)

Lann Hornscheidt sieht sich ohnehin falsch aufgehoben beim Transsexuellengesetz, "da ich nicht von einem Geschlecht zu einem anderen wechseln will in der Zuordnung, sondern das Geschlechtersystem ganz verlassen habe." Hornscheidt hatte viele Jahre eine Professur für Gender Studies und Sprachanalyse am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität in Berlin. Die Ansichten, die Hornscheidt vertritt, sind sogar manchen Genderforschern zu radikal: Hornscheidt verwendet das geschlechtsneutrale Pronomen "ens", abgeleitet vom Wort "Mensch", sowie die Begriffe Dr.ens und Prof.ens statt etwa Professor oder Professorin. Die Bitte auf der Website der Uni, neutral angesprochen zu werden, brachte Hornscheidt Anfeindungen, Beleidigungen und Vergewaltigungsdrohungen ein. Inzwischen verdient Hornscheidt den Lebensunterhalt mit Publikationen, Vorträgen und Workshops, häufig zum Thema Gender.

Bei der Klage gegen den BGH-Beschluss geht es Hornscheidt und der GFF um weit mehr als um diesen Einzelfall. Sie wollen erreichen, dass Menschen falsche Geschlechtsbestimmungen selbstbestimmt ändern dürfen - ohne ärztliche oder psychologische Begutachtung. "Daran darf der Gesetzgeber Voraussetzungen knüpfen, aber die müssen verhältnismäßig und diskriminierungsfrei sein", fordert Beckmann.

"Eine Definition, die wissenschaftlich überholt ist"

Somit kritisieren die Kläger nicht nur den Weg über das Transsexuellengesetz, sondern auch den über die 2018 eingeführte "dritte Option". Denn es sei umstritten, was überhaupt als "Variante der Geschlechtsentwicklung" gelte, sagt Beckmann. "In der Gesetzesbegründung wird verwiesen auf eine Definition von einer Konsensuskonferenz in Chicago 2005, die wissenschaftlich inzwischen überholt ist." Nicht mal die Gerichte im Fall Hornscheidt waren sich einig, ob denn nun die subjektive Geschlechtsidentität ausreicht oder ob körperliche Merkmale maßgeblich sind. Das Oberlandesgericht Düsseldorf sagte: Identität. Der BGH: Körper. Nun wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen.

Es wird wohl noch zwei Jahre dauern, bis es zu einer Entscheidung kommt, schätzt Beckmann. Doch sie ist zuversichtlich, dass das Gericht zugunsten von Hornscheidt entscheiden wird, aufgrund der bisherigen Rechtssprechung in anderen Fällen.

Lann Hornscheidt indessen ist es leid, ständig in Briefen oder Gesprächen an ein Geschlecht erinnert zu werden, zu dem man sich nicht zugehörig fühlt. "Geschlechtsspezifische Anreden fühlen sich ausschließend und verengend an für eine gesellschaftliche Realität die weitaus diverser ist", sagt Hornscheidt. So war die Einführung des dritten Geschlechts zwar ein Meilenstein für viele. Doch Lann Hornscheidt will für sich keine weitere Geschlechtskategorie. Sondern gar keine Kategorie.

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