Musik:Flügelspiel im Land der Vogelsprache

Masako Ohta

Die Klaviatur ist lange nicht das Ende: Masako Ohta spielt die Saiten des Instruments mit den Fingern im Flügel bei einem Konzert im Münchner Stadtmuseum 2017.

(Foto: Ralf Dombrowski)

Ob Neue Musik, experimentelle Klangforschung oder Romantik: Die Kunst der Pianistin Masako Ohta ist zugänglich und lustvoll. So wie auf ihrem neuen Album "My Japanese Heart"

Von Rita Argauer

Was für eine Vogelsprache", dachte sich Masako Ohta als sie in den Achtzigerjahren das erste Mal nach Deutschland kam und am Flughafen deutsche Wörter durch die Lautsprecher hallten. Besonders Zahlen, die auf die Silben -zig oder -zehn endeten, hätten diese Assoziation bei der japanischen Pianistin ausgelöst, erzählt sie heute. Überrascht habe sie das Zirpen und Zwitschern, das sie in den konsonantenreichen Klängen hörte, aber überhaupt nicht. Denn Deutschland assoziierte sie - hauptsächlich wegen der Musik der Romantik - sowieso mit dem Wald. Und das Wald-Land hatte also eine Vogelsprache. Das passte alles zusammen.

Über die Pianistin, die seit jenen Jahren, als sie zur Fortsetzung ihre Studiums nach Deutschland kam, hier lebt, erzählt diese Anekdote jedoch sehr viel: Masako Ohtas Hirn funktioniert über Klang und dessen sinnlich-gedankliche Assoziationen. Sie hat da keine Hemmungen und keine Beschränkungen. Und so spielt sie auch. Egal, ob sie Klassik, Romantik oder experimentellste Neue Musik spielt. Ohta ist stets ganz nah am Klang und dessen Sinnesreichtum. Etwas, was ihr Spiel ungemein zugänglich macht. Obwohl sie doch oft so unzugängliche Kompositionen spielt.

Ohta, die von 1985 an zunächst in Berlin lebte und drei Jahre später mit ihrem damaligen Freund und späteren Ehemann, einem Cellisten, nach München zog, hat sich hier in der freien Musikszene einen Namen gemacht. Ohta spielt Neue Musik, betreibt experimentelle Klangforschung, sie begleitet Theater und Tanz, verbindet Musikunterricht mit Kalligrafie und Tai-Chi oder spielt für Kinder. Immer anspruchsvoll, aber gleichzeitig auch immer ein wenig fliegend, leicht und lustvoll. Eine Kombination, die ihr im vergangenen Jahr den Musikpreis der Stadt München eingebracht hat. Ihre 2018 veröffentlichte CD "Poetry Album", auf der sie Musik vieler Epochen - Bekanntes wie Beethoven, Geschätztes wie Ligeti oder für sie Heimatliches wie Toru Takemitsu - verband, bekam tolle Resonanzen. Auf dem Nachfolger "My Japanese Heart" widmet sie sich nun komplett der japanischen Musik.

Ohta ist 1960 in Tokio geboren. Als kleines Kind begann sie Klavier zu spielen, ihrer Cousine nacheifernd. Später studierte sie in Tokio an der Toho Gakuen School of Music, sowie an der Universität der Künste in Berlin. Sie lernte bei Erich Andreas und György Sebök sowie in Meisterkursen bei András Schiff und György Kurtág. Obwohl sie jetzt so versiert auf dem Gebiet Neuer Musik ist, war die zu Beginn gar nicht so in ihrem Fokus. Noch als sie nach Deutschland kam, sei sie hauptsächlich von der deutschen Romantik fasziniert gewesen, insbesondere Schumann. Zu dem habe sie beinahe eine Verliebtheit gespürt: "Seine Kompliziertheit war mir so nah", sagt sie.

Doch interdisziplinäre Kunst, dafür hatte Ohta schon immer ein Herz. Tokio habe in den Achtzigerjahren eine spannende Szene gehabt, in der Theater, Lyrik, Butoh-Tanz und Musik improvisiert wurden und sich verbanden. "Das habe ich total genossen", erklärt sie. Da habe eine Offenheit geherrscht, auch an der Musikhochschule, wo sie verschiedenste Kurse besuchen konnte. "Das war ganz bunt", sagt sie, mal ging es um Rhythmik, mal um Chopin. Vor der Moderne habe sie allerdings am Anfang ziemlich Respekt gehabt. Sie hatte die Vorstellung, sie müsste erst die Klassik ganz genau lernen, bevor sie sich der Moderne widmen könne. "So ein Quatsch", sagt sie jetzt.

So richtig zur modernen Musik kam sie deshalb auch erst in München. Hier ist ihre Tochter geboren, und sie spielte erst einmal weniger Klavier. Dann zerbrach ihre Ehe. "Das war ein Schnitt in meinem Leben, da ist plötzlich meine Welt zerbrochen", sagt sie, wobei die Worte drastischer klingen als sie es meint. Denn: "In der Nachbetrachtung, in der Draufsicht hat das alles seine Richtigkeit." Mit ihrem Mann hatte sie im Duo gespielt, ihn am Klavier begleitet. Ohne ihn habe eine "andere Welt" begonnen. Ohta fand ihre so eigene, besondere und überhaupt nicht ausschließlich klassische Klangsprache.

2004 lud sie Christian Mings zu "Festspiel +" ein - einer experimentellen Plattform, die Peter Jonas damals bei den Opernfestspielen eingeführt hatte. Dort hat sie zum ersten Mal die Musik von Toru Takemitsu öffentlich gespielt. Dort lernte sie auch Stefan Winter kennen, der mit Josef Bierbichler seinen "Kastanienball" aufführte. Auf Winters Label "Winter & Winter" sind ihre beiden Solo-Alben erschienen. Die Szene, die sich in diesem Umfeld für sie eröffnet hat, habe sie als Geschenk empfunden. Sie habe Schauspielmusik in der damals noch völlig unsanierten Reaktorhalle gespielt, war da Teil der Szene, agierte mit den Schauspielern zusammen. "Das hat mich damals total gefreut", sagt sie. Und so arbeitet sie heute immer noch. "My Japanese Heart" aber ist, wie der Titel schon sagt, ein sehr persönliches, berührendes Album geworden. Und so ungewöhnlich japanische Musik für europäische Ohren klingen mag, Ohtas eigene Offenheit transportiert sich im Hören und schafft ganz leicht Zugänglichkeit.

Masako Ohta: "My Japanese Heart", erschienen bei "Winter & Winter; live: 2. Juli, Schwere Reiter

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