Vernetztes Fahren:Vorsprung durch Elektronik

BMW Driving Assistant Professional

Alles im Blick: Der Fahrassistent BMW Driving Assistant Professional zeigt im Display an, was er vom Umfeld erkennt - und was er vorhat (in diesem Fall: auf die linke Spur wechseln).

(Foto: BMW)

Der alte Werbespruch von Audi - das war einmal. Was deutsche Autohersteller vielen Kunden andrehen, sind ziemlich doofe Blechkisten mit Sportsitzen. Jetzt geht es darum, zu Tesla aufzuschließen.

Von Joachim Becker

Die Autoindustrie steckt im Krisenmodus, allerdings sind die Hersteller unterschiedlich stark betroffen. Während der Aktienkurs von BMW, Daimler und VW bröckelt, ist Tesla nun mehr wert als die drei deutschen Traditionsmarken zusammen. Ausschlaggebend ist offensichtlich nicht, dass die Kalifornier viel weniger Autos verkaufen. Was zählt, ist der (gefühlte) Vorsprung - bei leistungsfähigen und effizienten Elektroautos, beim freihändigen Fahren und bei Software-Diensten. Willkommen in der schönen neuen Welt der digitalen Geschäftsmodelle.

Von wegen Premium: Was deutsche Autohersteller vielen Kunden andrehen, sind ziemlich doofe Blechkisten mit Sportsitzen. Ganz anders die Tech-affine Kultgemeinde von Tesla. Statt Individualisierungs-Klimbim erwartet sie stets das neueste Elektronik-Level: Das Infotainment-Tablet im Innenraum ist genauso leistungsstark wie der Zentralrechner für die Fahrerassistenz samt Sensoren für die 360-Grad-Umfelderkennung. Dahinter steckt eine ganz andere Vertriebsstrategie als bei den Deutschen: Tesla gibt die gesamten Technikkosten zunächst nicht an die Kunden weiter. Rechnen kann sich die digitale Vollausstattung nur, wenn ein Großteil der Käufer den Autopiloten tatsächlich gegen gutes Geld freischalten lässt. Oder später für das höher automatisierte Fahren im Abonnement zahlt.

Wer über 1000 Kilometer sowohl mit Teslas Autopiloten als auch mit dem BMW Driving Assistant Professional unterwegs war, glaubt gerne, dass solchen Systemen die Zukunft gehört. Der Komfortgewinn durch die jüngste Generation der kamera- und radarbasierten Fahrassistenten ist kaum zu überschätzen. Kein nervöses Hin- und Herpendeln mehr wie bei Billig-Spurhaltern, die nur selten die goldene Straßenmitte treffen. Selbst bei höheren Geschwindigkeiten steuert der BMW Assistent derart ruhig und präzise, dass längere Autobahnpassagen spürbar angenehmer werden. Entspannter aussteigen als man eingestiegen ist - endlich macht der Werbespruch einigermaßen Sinn. Die 2800 Euro extra sind also gut angelegtes Geld, selbst wenn der eingebaute Chauffeur ständige Kontrolle braucht. Bei Autobahntempo lässt der Fahrer am besten eine Hand auf dem Lenkrad. Sonst gehen nach wenigen Sekunden die Warnlampen an. Warum das so ist, macht ein Pannenfahrzeug auf der linken Spur deutlich.

Entspannter aussteigen als man eingestiegen ist

Der Assistent erfasst die Situation viel zu spät, weil das Hindernis unvermittelt hinter einer engen Kurve auftaucht. Jetzt aus 170 km/h voll zu bremsen und auf der Überholspur stehenzubleiben, wäre lebensgefährlich. Anders als ein geistesgegenwärtiger Mensch kann sich der Assistent nicht spontan auf der rechten Spur einfädeln. Dafür fehlt ihm die Fähigkeit zur blitzschnellen Interaktion mit den Fahrern in nächster Nähe. Ähnlich liegt das Problem beim Einfahren in einen Kreisverkehr. Auch wenn Teslas Autopilot für die automatisierte Fahrt durch einen (leeren) Kreisel oder das Halten vor einer roten Ampel gefeiert wird: Es sind solche Grenzfälle, die das Fahren für Maschinen herausfordernd machen. Zumal sich der Schwierigkeitsgrad durch Gegenlicht, viel Verkehr, aggressive Fahrer, eine mehrspurige Abzweigung und vieles mehr beliebig steigern lässt.

Auf dem aktuellen Serienniveau erkennen die Assistenten ihre Grenzen nicht zuverlässig oder viel zu spät. Wie beim begleiteten Fahren mit Führerscheinneulingen muss man also ständig im Blick haben, was die Maschine sieht und als erkannt anzeigt. Zum Beispiel als grün markierte Fahrbahn mit ebensolchen Spurbegrenzungen im Head-up Display oder im Instrumentenkombi. Dabei kann der Fahrer allerdings sein rosarotes Wunder erleben. Zum Beispiel in einem quietschbunten Sonnenuntergang nach einem Regenschauer. Wenn alles in Pink und Gelb-orange schimmert, sieht die Welt für einen Moment wie im Spielzeugkatalog aus. Oder wie ein psychodelischer Alptraum für kamerabasierte Assistenten. Woran soll sich das System in einer Autobahnbaustelle halten, wenn nicht nur die Spurbegrenzungslinien, sondern die feuchte Fahrbahn insgesamt gelblich leuchtet? Der BMW Driving Assistant Professional ignoriert zuverlässig die ungültige weiße Linie und folgt der gelb abgesteckten, neuen Route. Was die meisten Spurhalteassistenten bisher völlig überfordert hätte.

Nach dem erfolgreich absolvierten Kunststückchen erfolgt die Ernüchterung auf dem Fuße. An der Ausfahrt wird die Fahrbahn (ohne Mittelmarkierungen) plötzlich überbreit. Prompt versteht Kollege Computer die Welt nicht mehr und fährt mittig auf dem vermeintlichen Mega-Boulevard. Was der Autor dieser Zeilen im Tesla auf einer Landstraße ohne Mittellinie ebenso erlebt hat. Das sind lösbare Probleme, sobald es beispielsweise Echtzeitkarten gibt. Die von vielen Fahrzeugen gemeinsam generierte Datenbasis könnte auch vor Liegenbleibern (auf der linken Autobahnspur), vor Wanderbaustellen oder vor Blitzeis warnen. Bis dahin ist der Gesetzgeber gut beraten, wenn er sich nicht zu sehr auf Tesla Erfolgsmeldungen verlässt. Statt alle 3,2 Millionen Kilometer würden Fahrzeuge mit eingeschaltetem Autopilot nur alle 7,5 Millionen Fahrtkilometer in einen Unfall verwickelt. Doch was beweist das?

Der Aktienkurs von Tesla ging durch die Decke

Am besten funktioniert der Autopilot auf den richtungsgebundenen US-Highways mit einem rigorosen Tempolimit. Hier werden die meisten Kilometer abgespult - und die Anforderungen sind am geringsten. Ein Sicherheitsnachweis für die Einführung der nächsten Automatisierungsstufe (Level 3) sind die Zahlen nicht. Deshalb spricht die deutsche Wettbewerbszentrale von "irreführender Werbung" und klagt gegen Tesla vor dem Münchner Landgericht. Die Kalifornier betonen zwar auf ihrer Website, dass ein autonomer Betrieb nicht möglich sei. Doch genau davon redet Tesla-Boss Elon Musk bei jeder Gelegenheit. Vor wenigen Wochen kündigte er einen "Full Self-Driving Service" (FSD) für Ende des Jahres an. Da alle (neueren) Fahrzeuge über eine digitale Vollausstattung verfügen, könnten sie gleichzeitig per Software-Update nachgerüstet werden. Die Investmentbank Morgan Stanley wertete Tesla daraufhin als weltweit einzige Firma, die autonomes Fahren als Geschäftsmodell in großer Breite ausrolle. Und der Aktienkurs ging durch die Decke.

Es geht um richtig viel Geld, Experten rechnen mit einer Monatspauschale für den "Full Self-Driving Service" in Höhe von etwa hundert Euro. Es geht aber auch um die Frage, ob sich ein kamera- und radarbasiertes Fahrerassistenzsystem per Künstlicher Intelligenz in einen perfekten Chauffeur verwandeln lässt. In den USA und China können die Fahrer ihre Hände schon heute viel länger vom Lenkrad lassen. In Europa ist das genauso unzulässig wie das geplante Tesla-Upgrade (FSD) für die gesamte Flotte. Denn hierzulande gilt die Typzulassung nur für die jeweilige Ausstattung ab Werk. Außerdem wird die zulässige Servo-Unterstützung beim Lenken massiv beschränkt. Autonomes Fahren ist nur im Kriechgang bis 10 km/h erlaubt. Doch genau dieses Regelwerk der internationalen Technikbehörde UN ECE wird bis zum nächsten Jahr neu justiert.

Auch die deutschen Hersteller wollen mit Software Geld verdienen. Schließlich lassen sich neue Funktionen über die gesamte Lebenszeit eines Fahrzeugs verkaufen. Bis es soweit ist, müssen jedoch diverse Altlasten in der Modellpalette und Zulieferkette ausgeräumt werden. BMW hat 2015 entschieden, seine Fahrzeuge über die Luftschnittstelle "nachtanken" zu wollen. Seit 2018 wird das Betriebssystem 7 und eine schnelle (Ethernet-)Elektronikarchitektur ausgerollt. Seit August des vergangenen Jahres erfolgt (gestaffelt nach Ländern) ein erstes Massen-Update: Eine halbe Million Fahrzeuge will BMW mit Verbesserungen der bestehenden Funktionen und neuen Angeboten erreichen. Beispielsweise wird der Bremseingriff beim aktiven Parkassistenten verbessert, um seitliche Kollisionen während des Rangiervorgangs zu vermeiden. Neu ist ein Warnassistent im Head-up Display für gefährliche Kurven. Ein erweiterter Sprachassistent ist in dem Software-Paket ebenso enthalten wie ein BMW Drive Recorder, der kritische Fahrsituationen aufzeichnen kann - und sich gegen gutes Geld aktivieren lässt.

Soweit alles von Smartphone-Apps bekannt. BMW will aber nicht nur die Software für einen zentralen Computer-Chip aktualisieren, sondern bei Bedarf für alle 80 Steuergeräte im Fahrzeug. Dreimal im Jahr mit größeren Upgrades über die fest eingebaute SIM-Karte im Auto. Übertragen werden die Datenpakete während der Fahrt innerhalb von 20 Minuten. Wird der Wagen vorher abgestellt, muss nur der jeweils letzte Programmbaustein erneut übertragen werden. Besser kann das Tesla auch nicht.

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Bild des Umfelds, das eine Frontkamera aus dem Auto erkennt. Copyright ZF, Online-Rechte frei

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