Flüchtlinge in Griechenland:"Die Verhältnisse auf den Inseln sind nach wie vor erschütternd"

INNENMINISTERKONFERENZ IN ERFURT 19/06/2020 - Erfurt: Die Pressekonferenz im Anschluss an die Frühjahrssitzung der Inne

Horst Seehofer inmitten der Innenminister der Länder.

(Foto: imago images/Jacob Schröter)

Innenminister Seehofer erlaubt die Aufnahme von kranken Kindern aus griechischen Flüchtlingscamps. Für Wortgefechte sorgt auf der Innenministerkonferenz jedoch ein anderes Thema.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es wurde nach Kräften gezankt in Erfurt, und kaum war der Streit endlich beigelegt, ging alles wieder von vorne los. Auf eine unerwartete humanitäre Geste immerhin haben die Innenminister von Bund und Ländern sich verständigt: 243 kranke Kinder und Jugendliche sollen mit nahen Angehörigen aus griechischen Flüchtlingscamps nach Deutschland geholt werden. Es gehe insgesamt um mehr als 900 Personen, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Freitag nach Abschluss der Innenministerkonferenz in Erfurt. "Die Verhältnisse auf den Inseln sind nach wie vor erschütternd."

Angesichts des Elends in griechischen Flüchtlingscamps hatten Thüringen und Berlin die Bundesregierung schon mehrmals um Zustimmung gebeten, zusätzliche Flüchtlinge übernehmen zu können. Thüringen ist bereit, 500 Geflüchtete zusätzlich aufzunehmen, Berlin 300. Seit Monaten bieten auch zahlreiche Kommunen weitere Übernahmen an. Der Bund aber muss zustimmen, was Seehofer nicht tat. Am Freitag nun sagte er, er freue sich, dass neben Berlin und Thüringen auch Bayern Flüchtlingsfamilien unterbringen wolle. Inzwischen gebe es mehr Übernahmeangebote als zu verteilende Personen. "Es wird ab Juli losgehen."

Im Mittelpunkt der Konferenz stand zunächst die Frage, wie rechtsextremistische Gefährder schneller aufgespürt werden können. Substanziell neue Maßnahmen wurden nicht angekündigt. Bei der Verfolgung von sexueller Gewalt gegen Kinder und der Verbreitung von Kinderpornografie wollten die Innenminister auch Vorratsdatenspeicherung nutzen, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU). Ähnlich äußerte sich Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Zunächst entscheidet darüber aber der Europäische Gerichtshof.

Antidiskriminierungsgesetz in Berlin macht Einsatz der Bundespolizei fraglich

Für ausdauernde Wortgefechte sorgte in Erfurt das Berliner Antidiskriminierungsgesetz. Es erlaubt Bürgern, die sich von Staatsdienerinnen und -dienern diskriminiert fühlen, das Land auf Schadenersatz zu verklagen. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) geriet deshalb erheblich unter Druck. Kollegen aus anderen Ländern drohten, keine Polizisten mehr zu Berliner Großveranstaltungen zu schicken, wenn diese dort Klagen wegen Diskriminierung befürchten müssten. Das Gesetz kehre die Beweislast um.

Der Berliner Innensenator wies das zurück und wird nun schriftlich erklären, was nach seiner Auffassung ohnehin schon im Gesetz steht: dass im Fall einer erfolgreichen Klage wegen Diskriminierung das Land Berlin zahlt, nicht das Bundesland, aus dem Polizisten nach Berlin geschickt wurden. Zudem soll er zusichern, dass das Antidiskriminierungsgesetz nur für Berliner Staatsbedienstete gilt. Der Sprecher der Berliner Innenbehörde betonte mit Blick auf andere Bundesländer: "Ob ein Land dann im Falle einer belegten Diskriminierung und darauf erfolgter Verurteilung selbst Disziplinarmaßnahmen verhängt, das hat das jeweilige Land selbst zu entscheiden." Seehofer will mit Geisel demnächst noch "Details" klären. Dann könne auch die Bundespolizei weiter in Berlin eingesetzt werden.

Der Streit schien kaum beigelegt am Freitag, da flammte er schon wieder auf. Nach Abschluss der Konferenz wiederholte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) den Vorwurf, das Berliner Gesetz enthalte "eine Beweislastumkehr zu Ungunsten der Polizei". Geisel reagierte verärgert auf "diese fachlich falsche Äußerung". Es gebe keine Beweislastumkehr. Das Land Berlin hafte "auch im Falle einer vor Gericht nachgewiesenen Diskriminierung durch auswärtige Polizisten". Im Übrigen entspreche es "guter föderaler Gepflogenheit", die Beschlüsse anderer Landesparlamente zu respektieren.

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