Protest in Dachau:Pfleger fühlen sich im Stich gelassen

Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise wurden sie als Helden gefeiert, jetzt muss das Dachauer Krankenhauspersonal auf die Straße gehen, um für finanzielle Anerkennung zu kämpfen.

Von Thomas Balbierer, Dachau

Matthias Gramlichs Stimme bebt durch das Megafon, die Worte galoppieren aus seinem Mund, Tränen schießen in seine Augen - doch er redet einfach weiter. Der Frust muss raus. "Wir sind kein Kanonenfutter", ruft Gramlich am Freitagnachmittag über den Dachauer Schrannenplatz. "Wir sind systemrelevant!" Der Krankenpfleger arbeitet am Helios Amper-Klinikum Dachau und protestiert gemeinsam mit Gewerkschaftern und Kollegen gegen Missstände in der Pflege. Es regnet, doch Gramlich nimmt den Regen gar nicht wahr. Stattdessen berichtet er den rund 30 Demoteilnehmern von seinen Erfahrungen in der Corona-Krise - und die sind alles andere als positiv: Die Pandemie, sagt Gramlich, habe das Dachauer Krankenhaus völlig unvorbereitet getroffen. Es habe viel zu wenig Schutzausrüstung gegeben, auf den Normalstationen sei "kein Material mehr vorhanden" gewesen.

Pfleger sollen Corona-Patienten und Nicht-Corona-Patienten ohne umfassenden Schutz behandelt haben. "Der Mangel ist eskaliert", ruft Gramlich und wirft dem Klinikmanagement Versagen vor. "Geld ist alles, was zählt!" Er fühlt sich von seinem Arbeitgeber im Stich gelassen. Die Bilder aus den völlig überlasteten Intensivstationen in Italien und Spanien hätten das medizinische Personal psychisch belastet, doch die Klinik habe die Sorgen nicht ernst genug genommen, klagt Gramlich. Als die Amper-Klinik Anfang April vom Landratsamt kurzzeitig geschlossen, Patienten und Personal unter Quarantäne gestellt wurden, mussten die Angestellten weiterhin zur Arbeit kommen - für Gramlich nicht nachvollziehbar. "Was mit uns passiert, interessiert keinen", sagt er am Rande der Demo zur SZ.

Protest in Dachau: Trotz des Regens versammelten sich am Freitagnachmittag rund 30 Teilnehmer in Dachau, um gegen die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu protestieren. Sie fordern mehr Geld und Personal in der Pflege sowie den Stopp der Privatisierung in der Gesundheitsversorgung.

Trotz des Regens versammelten sich am Freitagnachmittag rund 30 Teilnehmer in Dachau, um gegen die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu protestieren. Sie fordern mehr Geld und Personal in der Pflege sowie den Stopp der Privatisierung in der Gesundheitsversorgung.

(Foto: Toni Heigl)

In Dachau habe es beim Personal "mehr Infektionen gegeben als in anderen Krankenhäusern", beklagt der Pfleger. Operationen seien zunächst nicht verschoben worden. Der Druck sei enorm gewesen. "Wir hatten keinerlei Verschnaufpausen", so Gramlich. Während der Demo hält er ein Schild in der Hand, auf dem eine Zitronenscheibe abgebildet ist, dazu der Spruch: "Wir sind sauer! Und lassen uns nicht mehr auspressen." Schon im März hatte die Betriebsgruppe des Krankenhauses öffentlich die Zustände angeprangert.

Die Klinik selbst weist derartige Vorwürfe zurück. Man habe "eine größere Ausbreitung des Coronavirus verhindern" können, teilt Sprecherin Pia Ott mit. Insgesamt seien 63 Mitarbeiter positiv auf Corona getestet worden. Auch andere Kritikpunkte weist der Betreiber ab: Die Mitarbeiter seien "intensiv auf die zu erwartende Situation vorbereitet" worden, Schutzmaterial sei "ausreichend" vorhanden gewesen, ebenso habe es "psychologische Unterstützungsangebote und spezielle Schulungsformate" gegeben.

Protest in Dachau: "Wir sind kein Kanonenfutter": Matthias Gramlich ist Pfleger in der Dachauer Kardiologie und kämpft seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen.

"Wir sind kein Kanonenfutter": Matthias Gramlich ist Pfleger in der Dachauer Kardiologie und kämpft seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen.

(Foto: Toni Heigl)

Nach seiner Rede wirkt Matthias Gramlich aufgewühlt, er zieht sich zurück, zündet eine Zigarette an. Er weiß, dass sein öffentlicher Kampf für bessere Arbeitsbedingungen bei seinem Arbeitgeber nicht gut ankommen dürfte. Weil die Betriebsgruppe um Gramlich kürzlich selbst genähte Atemmasken einer Dachauer Gruppe ohne das Wissen der Klinikleitung angenommen hatte, hätten Beteiligte ein Schreiben mit Fragen von der Personalabteilung bekommen - für Gramlich ein "Einschüchterungsversuch". Aber einer müsse sich ja vorne hinstellen, findet er. Der Pfleger arbeitet nach eigener Aussage schon seit 15 Jahren im Dachauer Klinikum. Gegen die Arbeitsbedingungen demonstriert er seit Jahren. "Die Arbeit war schon vor der Pandemie eine Krise", sagt er. Nach Corona soll sich das ändern - diesmal wirklich. Auch dafür setzt sich die neugegründete Initiative "Systemrelevant & Ungeduldig" ein, die die Demo am Freitag organisiert hat. Sie fordert mehr Personal, 500 Euro mehr Lohn und den Stopp der Privatisierung in der Gesundheitsversorgung. Privatunternehmen seien in erster Linie auf Gewinne aus, so die Botschaft. Auch dem widerspricht die Dachauer Klinik.

Gramlich und seine Mitstreiter wollen, dass die Arbeit von Pflegern sowie Reinigungs- und Servicekräften besser honoriert wird. Während der Coronakrise versammelten sich abends immer wieder Menschen auf ihren Balkonen, um für systemrelevante Berufe zu applaudieren - nur kaufen können sich die sogenannten "Helden des Alltags" davon nichts. Oder wie Gramlich in seiner emotionalen Demorede sagt: "Wir sind systemrelevant. Aber wir haben einen Scheiß davon."

Das Helios Amper-Klinikum sieht hingegen keinen Handlungsbedarf. Schon am Donnerstag teilte die Klinik der SZ mit, dass sie nach der Corona-Krise weder Bonuszahlungen noch Lohnerhöhungen plane - auch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen sei aus ihrer Sicht nicht nötig. "Die Arbeitsbedingungen in der Pflege werden nach der Corona-Pandemie genauso gut sein, wie sie vorher gewesen sind." Matthias Gramlich nennt die Äußerungen einen "Affront", seien es doch er und seine Kollegen gewesen, die während der Krise zusammengestanden und die Herausforderungen "gemeinsam gerissen" hätten. Das soll nun auch honoriert werden. Gramlich will weiter kämpfen.

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