Krawalle:Stuttgart diskutiert über Konsequenzen

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Notdürftig geflickte Schaufenster: eine Einkaufsstraße in der Stuttgarter Innenstadt am Tag nach den Ausschreitungen. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Mehr Streetworker oder Polizisten? Alkoholverbot oder Videoüberwachung? In Stuttgart soll sich nach den heftigen Randalen von etwa 500 jungen Menschen einiges ändern.

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Nach den gewalttätigen Ausschreitungen, die sich am vergangenen Wochenende in Stuttgart ereignet haben, sind Stadt und Land schneller damit, politische Konsequenzen zu präsentieren, als Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungsergebnisse. Das ist nicht weiter verwunderlich, befindet sich Stuttgart doch in doppelter Hinsicht im Wahlkampf. Im November geht es darum, wer Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) nachfolgen kann, im Frühjahr folgt die Landtagswahl.

Noch ist nicht klar, wie viele der geschätzt 500 Jugendlichen, die sich laut Polizei aggressiv verhalten haben, tatsächlich Straftaten begingen. Auch über Motivation und soziale Hintergründe der großen Mehrheit weiß man wenig. Bekannt ist, dass bisher 25 junge Menschen im Alter von 14 bis 33 Jahren vorläufig festgenommen wurden - darunter zwei junge Frauen, beide volljährig. Acht Männer befinden sich in Untersuchungshaft, die übrigen Festgenommenen gelten weiter als tatverdächtig. 15 der Tatverdächtigen wurden schon ein oder mehrere Male angezeigt, darunter sieben Deutsche, von denen es einer auf 24 Anzeigen bringt.

Stuttgart
:Acht Verdächtige nach Krawallen in Untersuchungshaft

Bei ihnen handelt es sich um Männer im Alter zwischen 16 und 33 Jahren. Ihnen wird unter anderem gefährliche Körperverletzung vorgeworfen, ein 16-Jähriger wird des versuchten Totschlags beschuldigt.

Unmittelbar nach den Ausschreitungen hat vor allem im Internet die Diskussion darüber begonnen, ob die Gewalt hauptsächlich von Menschen mit Migrationshintergrund ausging. Ohne die weiteren Ermittlungen abzuwarten, lässt sich das nicht seriös beantworten. So handelt es sich bei dem 16-Jährigen, dem versuchter Totschlag und damit der bislang am schwersten wiegende Vorwurf zur Last gelegt wird, um einen Deutschen. Er soll mit Absicht den Kopf eines am Boden liegenden Studenten getreten haben. Der hatte laut Polizei die Ausschreitungen kritisiert und war daraufhin von mehreren Personen zusammengeschlagen worden.

"Wir sind mit Hochdruck daran, noch mehr Gewalttäter zu identifizieren"

Neun der bisher bekannten 25 Tatverdächtigen haben laut Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) einen Geflüchtetenhintergrund, vier kommen aus einem Mitgliedsland der EU, zwölf sind Deutsche, von denen nach bisherigen Erkenntnissen drei einen Migrationshintergrund haben. Beim Polizeipräsidium wertet eine 40-köpfige Ermittlungsgruppe Spuren, Hinweise und Videos aus. "Wir sind mit Hochdruck daran, noch mehr Gewalttäter zu identifizieren", teilte Vizepolizeipräsident Thomas Berger mit.

Stadt und Polizeipräsidium haben am Montag eine "Sicherheitspartnerschaft" ausgerufen. Berger kündigte an, sich auf warme Sommernächte künftig ähnlich vorzubereiten wie auf Silvester. Außerdem wird die Stadtverwaltung laut Kuhn nun "ein Alkoholverbot oder Videoüberwachung" an bestimmten Plätzen prüfen sowie den Einsatz von Streetworkern.

All dies knüpft an ältere Diskussionen an. Die Stadt beschäftigt sich schon lange mit der Partyszene im öffentlichen Raum. Denn viele junge Menschen aus der Stadt und dem Umland fahren am Wochenende in die Fußgängerzone, um dort zu feiern. Immer wieder ist es dabei zu Gewalt gekommen, wenn auch nicht in dieser Dimension. 2012 hatte das Land deshalb das Pilotprojekt "Prävention alkoholbedingter Jugendgewalt" finanziert, bei dem Sozialarbeiter mit den Feiernden sprachen und Konflikte entschärften. Es galt als erfolgreich, wurde aber nicht weiterfinanziert.

Thomas Strobl hat der Stadt am Dienstag ebenfalls eine "Sicherheitspartnerschaft" vorgeschlagen. Er könne sich eine Zusammenarbeit wie in Freiburg vorstellen, sagte er. Dort hat eine Sondergruppe der Polizei speziell das Nachtleben und junge Mehrfachtäter im Blick. Voraussetzung sei, dass die Stadt auch selbst handle, so Strobl etwa mit einer Videoüberwachung. Er versicherte auch, dass der Polizeieinsatz kritisch analysiert werde. Er habe bislang aber "keinerlei Indiz dafür, das hier etwas falsch gelaufen ist". Das Kabinett hat am Dienstag einige zusätzliche Stellen für Staatsanwaltschaft und Gerichte beschlossen, um die Strafverfolgung zu beschleunigen. Dies war schon vor den Vorfällen in Stuttgart geplant.

© SZ vom 24.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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