Evolutionsforschung:Warum der Begriff "Rasse" für Menschen falsch ist

Proteste gegen Rassismus - Leeds

Aus Sicht der Wissenschaft gibt es bei Menschen keine Rassen, sondern Populationen.

(Foto: Danny Lawson/dpa)

Immer wieder taucht das Wort in Diskussionen auf - dabei ist aus wissenschaftlicher Sicht eindeutig, warum es für Menschen nicht verwendet werden sollte.

Von Felix Hütten

Manchmal haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Bedürfnis, Dinge klarzustellen. Etwa, wenn in der Öffentlichkeit mit falschen Begriffen diskutiert wird. Einer davon geistert seit Jahrhunderten in politischen Debatten umher - und steht sogar im Grundgesetz: der Begriff der "Rasse".

Spätestens seit dem Wiederaufflammen der "Black Lives Matter"-Proteste weltweit steht dieser Begriff - erneut - im Zentrum der Diskussion. Immerhin: "Rasse" und Rassismus sind sprachlich eng verwandt. Und doch kommt es auf die Beziehung dieser beiden Wörter zueinander an.

Um deutlich zu machen, dass der Rassismus-Begriff eben nicht auf jenem der "Rasse" fußt, haben Wissenschaftler im vergangenen Herbst anlässlich der 112. Jahrestagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft die "Jenaer Erklärung" verfasst, unterschrieben unter anderen von Martin S. Fischer, Leiter des Instituts für Zoologie und Evolutionsforschung an der Universität Jena, sowie Johannes Krause, bis Juni 2020 Direktor des dortigen Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte. Eine Vorveröffentlichung eines ausführlichen Aufsatzes zu diesem Thema ist vor wenigen Wochen erschienen.

Das Konzept der "Rasse" ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung

In ihren Texten betonen die Wissenschaftler, dass aus Sicht der Evolutionsforschung der "Rasse"-Begriff für den Menschen nicht verwendet werden kann - und auch niemals konnte. Sie schreiben: "Rassismus braucht eine Legitimation, deshalb sucht er sich Erklärungen und besonders gern biologische Erklärungen, weil sie naturgegeben erscheinen sollen." Oder anders: "Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung."

Ein berühmter Vordenker des "Rasse"-Begriffs war der Mediziner Ernst Haeckel, der etwa in seinem Werk der "Natürlichen Schöpfungsgeschichte" 1868 Menschen nach sichtbaren Merkmalen wie etwa der Beschaffenheit ihrer Haare versuchte zu kategorisieren und zu bewerten. Der Ursprung der anthropologischen Rassenkunde liegt jedoch deutlich früher; etwa beim schwedischen Naturforscher Carl von Linné, der bereits 1735 im seinem Werk "Systema Naturae" versuchte, Tiere und Menschen nach bestimmten Merkmalen zu ordnen.

Aus Sicht der modernen Evolutionsforschung aber sind diese Ordnungsversuche bestimmter Menschengruppen wissenschaftlich nicht haltbar. Während es zum Beispiel bei Hunden Züchtungen mit sehr engem Genpool gibt - Tiere also, die sich genetisch eindeutig kategorisieren lassen - spricht man bei Menschen von einem genetischen Gradienten, der sich, wenn überhaupt, nur in willkürliche Kategorien unterteilen lässt. Fischer und Krause vergleichen diesen Gradienten mit dem Farbkreis: "Klar gibt es dort Rot, Grün und Blau. Aber nur, wenn ich alles zwischendrin weglasse und von einer Seite zur anderen springe", sagte Fischer in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Es gibt keine scharfe Grenze zwischen "schwarz" und "weiß"

Die Autoren der Jenaer Erklärung plädieren daher für den Begriff der "Populationen", der aus Sicht der Biologie eine sich ständig verändernde Gruppe bezeichnet. "Rasse" hingegen ist und war, auch mit Blick etwa auf die Verbrechen der Nationalsozialisten, ein statischer Begriff, der Menschen von außen auferlegt wurde - und zwar nach willkürlich gewählten und unwissenschaftlichen Kategorien wie etwa einem Herkunftsland oder bestimmten vermeintlich einheitlichen Körpermerkmalen.

Eines dieser häufig verwendeten Körpermerkmale zur Kategorisierung von Menschen ist die Hautfarbe. Eine scharfe Grenze zwischen "schwarz" und "weiß" aber gibt es nicht, weder mit Blick auf die Gene, noch mit Blick in die Gesichter der Menschen. "Wenn wir die genetische Diversität betrachten, finden wir allein in Europa jede Veränderung der DNA, die es im Menschen geben kann", sagt der Genetiker Johannes Krause. Dies bedeute im Umkehrschluss nicht, dass es nicht auch auffällige Häufungen bestimmter Merkmale geben kann; Menschen aus Südostasien zum Beispiel sind im Durchschnitt etwas kleiner als Menschen aus Nordeuropa. Die Variabilität aber ist auch hier gegeben; es gibt, wie auch sonst auf der Welt, auch in dieser Region sehr große und sehr kleine Menschen. Gleiches gilt für ein statistisch erhöhtes Krankheitsrisiko wie etwa für Diabetes aufgrund bestimmter Genvarianten, die in manchen Bevölkerungsgruppen gehäuft vorkommen.

Ein häufig gebrauchtes Argument für die Verwendung des "Rasse"-Begriffs ist die Tatsache, dass etwa erfolgreiche Marathonläufer auffällig häufig aus afrikanischen Ländern wie Äthiopien oder Kenia kommen. Die Autoren der Jenaer Erklärung gehen auf diesen Einwand ein und erklären, dass es "keine wissenschaftlichen Belege für die Existenz einer 'Läufer-DNA' gebe". "Trotz der beständigen Auffassung der engen Assoziation zwischen der Hautfarbe der Athleten und der sportlichen Leistungsfähigkeit gibt es bis dato keinerlei Studien, die diesen genetischen Effekt valide bewerten", schreiben sie. Womöglich spielen ideale Trainingsbedingungen und frühe Förderung eine deutlich größere Rolle. Eine Einteilung in "Rassen" aufgrund sportlicher Leistungen lehnen die Autoren jedenfalls entschieden ab.

Anmerkung der Redaktion: In einer aktualisierten Version des Textes haben wir präzisiert, dass es sich bei dem zititeren Aufsatz um eine Vorveröffentlichung handelt.

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Mark Terkessidis forscht zum Thema Rassismus. Ein Gespräch über Kolonialismus, Verharmlosung und die Frage, warum sich Deutschland so schwer tut mit seiner Rolle als Einwanderungsland.

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