Staatsanleihe: Jahrhundertwette

Fiaker in Wien

Wie vor hundert Jahren: Immer noch rollen an der Wiener Hofburg die Fiaker vorbei. Und das dürfte wohl auch so bleiben.

(Foto: Helmut Fohringer/dpa)

Anleger leihen Österreich für 100 Jahre mehrere Milliar­den. Der Zins ist mickrig - die Nachfrage riesig.

Von Victor Gojdka, Frankfurt

Sich Geld leihen und es hundert Jahre lang nicht zurückzahlen müssen? Das mag für viele nach einem ziemlich unwahrscheinlichen Geschäft klingen. Dem österreichischen Staat ist dieses Kunststück nun gelungen: Er hat gerade seine zweite hundertjährige Staatsanleihe begeben. Investoren haben dem Land also zwei Milliarden Euro geliehen - bekommen ihr Geld turnusgemäß aber erst im Jahre 2120 wieder zurück. Dahinter steht eine buchstäbliche Jahrhundertwette.

Auf den ersten Blick wirkt die Anleihe wie ein schlechtes Geschäft: Denn wer weiß schon, was in hundert Jahren passieren kann? "Das Land hat in den vergangenen hundert Jahren ja allein mehrfach seine Währung gewechselt", sagt Moritz Schildt vom Anleihespezialisten Nord IX. "Von der Krone zur Reichsmark, über den Schilling zum Euro." Warum also gibt es nun großes Investoreninteresse?

Wer das verstehen will, muss sich mit den Nöten von Pensionskassen und Lebensversicherern befassen, die bei ihren Anlagen traditionell stark auf sicher geltende Anleihen setzen. Mit ihrer Geldschwemme hat die Europäische Zentralbank das Zinsniveau massiv gedrückt, mit Null- und Negativzinsen lassen sich aber keine Pensionen bezahlen. Die Anbieter müssen daher erfinderisch werden und für ein bisschen Zins entweder bei Unternehmensanleihen mehr Risiko eingehen. Oder sich wie im Falle Österreichs auf eine unüberschaubare Laufzeit einlassen, um überhaupt Zinsen zu kassieren.

Vor allem aber dürften auch Spekulanten mit den Anleihen eine ausgebuffte Wette betreiben: Sie hoffen darauf, dass der Kurs der Anleihe durch die Decke gehen könnte, wenn das allgemeine Zinsniveau im Zuge der Corona-Geldschwemme weiter sinkt. Dahinter steht ein unter Experten gut bekannter Trick: Wenn die Zinsen für neue Anleihen künftig noch magerer werden, dann scheinen Papiere wie diese mit höheren Zinsversprechen attraktiver. Besitzer lassen sich die Papiere dann von neuen Interessenten zu immer höheren Kursen abkaufen. Schon die erste Methusalem-Anleihe der Österreicher hat das gezeigt: Während das Zinsniveau sank, schoss ihr Kurs in der Spitze um mehr als 100 Prozent nach oben. "Solche Bewegungen zeigen, wie dynamisch der Anleihemarkt sein kann, der ja als solide und langweilig gilt", sagt Experte Schildt.

Doch es kann auch in die andere Richtung gehen: Wenn vor dem Hintergrund der Geldschwemme Preise steigen sollten und Notenbanker mit höheren Zinsen den Preisauftrieb bremsen müssten, könnte der Zins der österreichischen Langläufer plötzlich fahl wirken - und die Kurse der Jahrhundertanleihe könnten kollabieren. Dann sähen die Anleger der Methusalem-Papiere buchstäblich alt aus.

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