Loveparade:"Diese Wunde hat sich nicht geschlossen"

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Die ehemalige NRW-Ministerpräsidentin Kraft erinnert in einer denkwürdigen Rede an die Opfer des Loveparade-Unglücks vor 10 Jahren. Und bedauert, dass die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen wurden.

Von Jana Stegemann, Düsseldorf

Hannelore Kraft war am 24. Juli 2010 erst zehn Tage NRW-Ministerpräsidentin, als eine der schlimmsten Katastrophen in der Geschichte Nordrhein-Westfalens passierte: das Unglück bei der Loveparade in Duisburg mit 21 Toten und mehr als 600 Verletzten. In knapp vier Wochen jährt sich die Katastrophe zum zehnten Mal. Auch Krafts eigener Sohn war in dem Sommer unter den feiernden Technofans. Stundenlang wartete sie auf eine Nachricht ihres Kindes; es blieb unverletzt.

Landesweit wurde Kraft später für ihre Worte bei der Trauerfeier gelobt. Ihr Nachfolger Armin Laschet (CDU) sagt nun im Landtag: Kraft habe bei der Trauerfeier das, was 18 Millionen Menschen in NRW empfunden hätten, so eindrucksvoll formuliert, dass "ein Stück des Respekts gegenüber dem Staat und dem Land wiedergewonnen wurde". Seit dem Unglück engagiert sich Kraft für die Belange der Opfer und Überlebenden.

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Die Justiz will das Loveparade-Strafverfahren einstellen. Zu behaupten, dass kein öffentliches Interesse mehr besteht, wäre eine Lüge. Das wurde schon einmal behauptet - damals ging es um Contergan.

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Zehn Jahre später steht sie das erste Mal seit ihrer Wahlniederlage 2017 wieder am Rednerpult des Landtags. Kraft ist mittlerweile einfache SPD-Abgeordnete, hält sich im politischen Düsseldorf im Hintergrund. Ihre Stimme droht zu kippen. Sie hat Mühe die Fassung zu behalten, als sie beginnt, die Vornamen und das Alter der 13 jungen Frauen und acht Männer aufzuzählen, die bei der Loveparade zu Tode getrampelt und zerquetscht wurden. Es ist der bewegendste Moment ihrer eindringlichen Rede. Wie schon vor zehn Jahren findet Kraft aber auch dieses Mal exakt die richtigen Worte.

Die Loveparade-Katastrophe sei "eine offene Wunde am Herzen der Stadt und des Landes. Diese Wunde hat sich nicht geschlossen", sagt Kraft. Sie habe den Angehörigen der Opfer und den Überlebenden bei der Trauerfeier versprochen, dass "Geschehene und Unfassbare lückenlos aufzuklären". Sie sei "fest davon überzeugt gewesen", dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden, sagt Kraft und fügt dann an: "Ich habe nicht Recht behalten."

Dass der jahrelange Prozess am Landgericht Duisburg im Mai ohne Urteil endete, sei für die Angehörigen "schwer zu ertragen". Künftig müsse eine bessere und schnellere juristische Aufarbeitung solcher komplexer Katastrophenfälle erfolgen. Am Ende ihrer sechsminütigen Rede wendet sich Kraft "von Herzen" an alle Betroffenen: "Wir bitten Sie um Vergebung."

Von den Rednern aller Parteien, außer der AfD, wird mit einfühlsamen Worten den Opfern gedacht und das langjährige Engagement Krafts gelobt. Dann beschließt der Landtag einstimmig zusätzliche fünf Millionen Euro Hilfe für Angehörige und Überlebende der Katastrophe.

© SZ vom 26.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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