Bestandsaufnahme im Kreis Freising:"Rassismus ist da, er ist alltäglich"

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Menschen aus dem Landkreis, deren Hautfarbe oder Sprache auf eine fremde Herkunft schließen lassen, haben die Erfahrung gemacht, benachteiligt oder gar beleidigt worden zu sein.

Von Laura Dahmer, Freising

Nach dem Tod George Floyds durch Polizeigewalt in den USA ist auch in Deutschland eine Debatte um Rassismus entfacht. Viele People of Color haben im Zuge dessen von Rassismuserfahrungen berichtet und eine Aufarbeitung gefordert. Wie sieht es damit im Landkreis Freising aus? Welche Rolle spielen Rassismus und Diskriminierungserfahrungen in verschiedenen Bereichen des Lebens, und wie wird es bekämpft?

"Oh, ich könnte Ihnen wahrscheinlich den ganzen Tag von Rassismuserfahrungen berichten", sagt Deo Amados, Mitglied beim Verein der Togoer in Freising. Auch Andere, die sich für das interkulturelle Miteinander einsetzen und teils Migrationshintergrund haben, bemerken immer wieder Diskriminierung im Landkreis. "Rassismus ist da, er ist alltäglich. Auch wenn es vielen Leuten schwer fällt, das zu sehen", so Michaela Götz, die beim Elternhaus des Kreisbildungswerks Eltern mit Migrationshintergrund berät.

Zumindest in Freising gibt es eine Menge Anlaufstellen

Zumindest in Freising, so macht es den Eindruck, gibt es eine Menge Anlaufstellen: Seit Neuestem ist Samuel Fosso Migrationsreferent des Stadtrats, eine Projektgruppe Migration und Teilhabe soll sich für Belange und Rechte von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte einsetzen, und die Stadt selbst hat eine Interkulturelle Leitlinie verfasst und eine Interkulturelle Stelle, die mit zwei Teilzeitstellen besetzt ist und sich für die gleichwertige Teilhabe aller Freisinger und Freisingerinnen einsetzen soll. Was genau heißt das?

"Alle müssen den gleichen Zugang zu allen Bereichen des Lebens haben - ohne Benachteiligungen beim Wohnen, Bildung, Politik oder Arbeit", sagt Integrationsbeauftragte Sina Hörl von der Interkulturellen Stelle. Was sie auch sagt: "Ich spreche hier von einer Zukunftsvision, wir befinden uns im Prozess dahin." Besonders im Bereich Schule, Kindergarten und der Ausbildung der Lehrkräfte müsse aus ihrer Sicht noch viel angestoßen werden. Das findet auch Mesut Ünal, Sprecher der Projektgruppe Migration und Teilhabe. "Meine Kinder erzählen von Lehrern, die Witze machen und den Begriff 'Kanaken' verwenden - weil sie sich der diskriminierenden Wirkung nicht bewusst sind."

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Mesut Ünal wünscht sich mehr Lehrkräfte mit Migrationshintergrund

Aus seiner Sicht gibt es zu wenig Lehrkräfte mit Migrationshintergrund. "In Freising haben etwa 20 Prozent der Menschen Migrationshintergrund, aber ich kenne keine einzige Lehrkraft, die farbig oder andersgläubig ist." Und tatsächlich: Schaut man sich auf den Webseiten der Schulen das jeweilige Kollegium an, blicken einem hauptsächlich weiße Gesichter entgegen. "Unsere Lehrerschaft ist sehr homogen", bemerkt Nicole Storz, Schulleiterin des Josef-Hofmiller-Gymnasiums. Ob sie das problematisch findet? "Ich hoffe doch, dass alle meine Schüler das Gefühl haben, sich an mich wenden zu können - egal, was meine Nationalität oder mein Hintergrund ist." Auch Migrationsreferent Samuel Fosso glaubt, dass sich Schülerinnen und Schüler nicht zwingend mit Lehrkräften identifizieren müssen. "Wissensvermittlung kennt an sich keine Hautfarbe." Wichtig sei eher, die Lehrkräfte interkulturell und für Diskriminierung zu sensibilisieren. Dass es kaum Lehrkräfte mit Migrationshintergrund gibt, hat für Fosso strukturelle Gründe. "Die Mehrheit der Kinder mit Migrationsgeschichte bleibt der Weg zum Abitur aus diversen Gründen verwehrt", sagt er - und damit das Lehramtsstudium.

Vom interkulturellen Kollegium abgesehen gibt es im Landkreis neun Schulen, die das Prädikat "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" tragen. Keine Auszeichnung, sondern ein Versprechen, wie Schulleiterinnen und Schulleiter betonen. Damit verbunden sind viele Schulprojekte und Arbeitskreise. Die Schüler der Grund- und Mittelschule Neustift haben zum Beispiel in einem Poetry-Slam-Workshop über Rassismus und eigene Erfahrungen geschrieben, die Imma-Mack-Realschule in Eching sagt in einem Filmprojekt "Nein" zu Rassismus. Am Eingang des Sonderpädagogischen Zentrums (SFZ) Freising soll in Zukunft ein bunter Baum mit den Namen aller Schüler an die Verpflichtung zur Toleranz erinnern.

Die FOS/BOS plant ein Projekt zur Allgegenwärtigkeit von Rassismus

Die FOS/BOS plant aus aktuellem Anlass ein Projekt zur Allgegenwärtigkeit von Rassismus in Politik, Mode, Sport, Kunst, sozialen Medien und anderen Bereichen. An anderen Schulen bedauern die Verantwortlichen, stehen die Planungen aufgrund der Coronakrise still. In einzelnen Schulstunden konnte der Tod von George Floyd, die "Black Lives Matter"-Bewegung, Demonstrationen in Deutschland, oder der Rassenbegriff im Grundgesetz besprochen werden. Generell seien Rassentheorie, Kolonialismus und das Civil Rights Movement Themen im Unterricht. "Ob in Geschichte, Englisch, Französisch, Ethik, Religion oder Sozialkunde - Rassismus und Toleranz sind fächerübergreifende Themen", sagt Claudia Theumer, Leiterin des Karl-Ritter-von-Frisch-Gymnasiums in Moosburg. "Der deutsche Kolonialismus ist in den Lehrplänen immer noch unterrepräsentiert", findet Sabine Jackermeier, Rektorin der Grund- und Mittelschule Neustift.

Wie sieht es denn mit Diskriminierung auf dem eigenen Schulhof aus? Die einen sagen, Rassismus sei an ihrer Schule kein Problem, Vorfälle dieser Art habe es noch nicht gegeben. Andere sagen: Rassistische Vorfälle gibt es - überall. "Wenn man es ernst nimmt und genau hinhört, wird man auf Kommentare und Handlungen stoßen, die einen anderen Menschen wegen Aussehen, Religion, oder Sprachkenntnissen diskriminieren", sagt Gabriele Murr, die am SFZ Freising den Arbeitskreis zum Thema leitet. An der SFZ sei es schon zu solchen Vorfällen gekommen. Einmal, erinnert sich Murr, wurde einer ihrer Schüler mit dem N-Wort beleidigt - angeblich aus Spaß. Die Schule erarbeitete mit der Klasse daraufhin eine Ausstellung zum Thema "Was ist Spaß?". Wolfgang Korn, Schulleiter der Kastulus-Realschule in Moosburg,berichtet von gelegentlichen Schmiereien und Beleidigungen. "Wir nehmen das sehr ernst", sagt er dazu. "Ich denke, dass wir grundsätzlich eine gute Debattenkultur haben. Aber ich denke auch, dass man sich immer wieder hinterfragen und verbessern muss."

Ein weiterer Bereich, der im Zusammenhang mit Rassismus immer wieder genannt wird: d er Wohnungsmarkt. "Ich habe ewig nach einer Wohnung gesucht und am Ende eine Sozialwohnung beantragen müssen", erzählt Deo Amados. Michaela Götz, die ursprünglich aus Tschechien kommt, nimmt immer eine zweite Person mit zu Besichtigungen. "Ich habe zu viele schlechte Erfahrungen gemacht", sagt sie. "Die Begleitung verhindert zwar meistens keine Diskriminierungserfahrung, kann mir aber zur Seite stehen." Bianca Wiedergut vom Jugendmigrationsdienst In Via München in Freising weiß: "Oft werden Namen aussortiert, weil sie ausländisch klingen."

© SZ vom 27.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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