Kunst in Bad Heilbrunn:Hohefest der Normenfreiheit

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Die Werkschau "Exakte Grauzonen. 14 wundersame Verschränkungen von Mensch und Tier" der Stiftung Nantesbuch erkundet auf hintergründige Weise das Begriffsfeld von Macht und Ohnmacht des Ordnens.

Von Paul Schäufele, Bad Heilbrunn

Mit Grau ist kein Staat zu machen. Jedenfalls hat sich kein souveräner Staat bislang getraut, einen grauen Streifen an seine Nationalflagge zu nähen. Die Farbe scheint wenig attraktiv, reizarm, zu alltäglich. Wer klatscht vor Freude über Graubrot? Oder das Problem liegt woanders. Grau ist die farbliche Umsetzung des Weder-noch und des Sowohl-als auch, ist nicht Schwarz nicht Weiß, braucht Referenzen, um konkret zu werden - mausgrau, eisengrau, feldgrau... Grau entzieht sich der Bestimmung. Kein Farbton also hätte sich besser geeignet, um dieses Thema, "Bestimmung", dem sich die Stiftung Nantesbuch in diesem Jahr widmet, künstlerisch einzuleiten. Die von Jörg Garbrecht kuratierte Werkschau "Exakte Grauzonen. 14 wundersame Verschränkungen von Mensch und Tier" erkundet auf hintergründige Weise das Begriffsfeld von Macht und Ohnmacht des Bestimmens und Ordnens.

Es sind aber nicht nur Grauzonen - zehn poetisch präzise Schwarz-Weiß-Fotografien der niederländischen Künstlerin Juul Kraijer - mit denen die Betrachterinnen und Betrachter ihre eigene Definitionslust hinterfragen dürfen. Den Fotografien Kraijers sind vier exquisit ausgewählte Plastiken anderer zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler gegenübergestellt und ergänzen die Bilder, treten in einen Dialog und bieten Zuspruch und Widerspruch.

Auf einem Foto Kraijers hat sich eine Eule auf dem Gesicht der Frau niedergelassen, die als Modell die gesamte Fotoserie begleitet. Kraijer zeigt hier ihre handwerkliche Meisterschaft und den Blick für Motive, die zugleich hochkünstlerisch und nie künstlich wirken. Kopf und Hals der Frau in der Waagerechten verhalten sich symmetrisch zum Eulenkörper, was der nicht alltäglichen Paarung unheimliche Schönheit verleiht. Den plastischen Kommentar liefert das grün patinierte Relief "Dreaming with Owl" von Kiki Smith, auch das eine Darstellung des Kontakts von Eule und Mensch. Doch wo Juul Kraijer in der Tier-Mensch-Kombination das Groteske mit dem Schönen verbindet, vermittelt Smiths Schaustück Gelassenheit und schläfrige Ruhe.

In einer Video-Installation Kraijers findet sich ein Leitmotiv der Künstlerin - die Kontorsion. Hier zeigt sich eine Nackte in schier unvorstellbaren Verrenkungen. In den Fotografien liegt die Kontorsion im Übertragenen - das in seiner Gewundenheit und Verdrehtheit kaum Fassbare. In der Rhetorik heißt "contortio" auch Geschraubtheit, Merkwürdigkeit. Diese Verbindung von Fantastik und Komik findet Kraijer oft in der Verflechtung von Mensch und Tier: ein Frauenkopf, medusenhaft umschlungen von einem Schlangenknäuel; der Blick durch einen Dachsschädel, den sich dieselbe Frau vors Gesicht hält. Damit werden Sehgewohnheiten aufgegriffen und herausgefordert. Was löst den Schrecken vor Medusa aus, deren Anblick zu Stein erstarren lässt? Vermutlich die heillose Verflechtung von Mensch und Schlange, die ein anthropozentrisches Weltbild infrage stellt und sich in keine biologische Systematik fügt. Einen Hinweis in dieser Richtung gibt Kraijers Fotografie einer Hand in einem Schraubglas. Die Fotografie ist eine Parodie auf Feuchtpräparate, nach wie vor ein Mittel, um die Anschaulichkeit im Anatomie-Unterricht zu erhöhen. Wobei die Anatomie als Königsdisziplin der klassifizierenden Fächer gelten darf. Was noch nicht benannt ist, kriegt schnellstens einen Namen, wird in Spiritus eingelegt und kann studiert werden. Eine Abweichung gilt als krankhaft. Doch Kraijers Glas ist aufgeschraubt, mit einer Bewegung könnte sich die Hand blitzschnell dem klinischen Blick entziehen.

Die Stiftung Nantesbuch zeigt wundersame Verschränkungen von Mensch und Tier, wie etwa in den Fotografien der niederländischen Künstlerin Juul Kraijer. (Foto: Juul Kraijer; Thomas Dashuber/oh)

Die ausgestellten Stücke sind skurril und pointiert wie diese Hand im Glas oder die Madonna, deren Heiligenschein ausgerechnet von einer Schlange gebildet wird. Oder sie sind so witzig wie Alessandro Gallos Skulptur "I don't want to grow up". Hier steht ein Wesen mit kurzem Hemd, tätowierten Oberarmen und den Händen in den Taschen seiner schlackernden Hose, höchst lässig. Dass dieser Mann einen stachligen Echsenkopf auf dem Hals trägt, stört ihn nicht in seiner Lässigkeit. Hier ist die hybride Form selbstverständlich geworden. "Verteilst du deine Haut / auf zwei / dann ist das Gift", lautet der lyrische Kommentar auf dem Faltblatt zur Ausstellung. Dem ganzheitlichen Anspruch der Stiftung entsprechend, ist auch dieses Begleitpapier ein Schmuckstück. Dreißig Haikus hat Matthias Göritz, einer der wichtigsten Lyriker seiner Generation, zur Werkschau beigesteuert, rätselhafte Kürzesttexte, die von Max Hänisch grafisch in Szene gesetzt wurden und den Assoziationsrahmen noch erweitern. Gallos Galerist Jonathan LeVine jedenfalls dürfte sich nicht über die Punk-Echse beschweren - die kleine Statue ist eine Hommage an ihn - vom Hals abwärts hat Gallo ihn recht realitätsnah getroffen.

Ein anderes Verhältnis von Mensch und Leguan stellt das Kraijersche Pendant aus. Hier verschmelzen Reptilienauge und Frauengesicht zu einem geometrisch ausgeklügelten Motiv auf der Bildfläche, doch eine andere Perspektive würde zeigen, dass es sich immer noch um zwei getrennte Körper handelt. Gallo zeigt die Metamorphose, Kraijer das Spiel mit dem Blickwinkel.

Elke Härtels Selbstporträt mit Hirsch verfährt ganz ähnlich. Auf den ersten Blick stehen Frau und Tier einfach nebeneinander, eine Naturszene. Ein paar Schritte versetzt wird jedoch sichtbar, dass es die Frau ist, die das Geweih trägt, das Machtsymbol. In dieselbe Kerbe schlägt Tanja Fenders Greifvogel, vielleicht mit dem Weißkopfseeadler verwandt, dem sie kurzerhand die Krallen lackiert und ein männliches Geschlechtsorgan auf den Schnabel gesetzt hat.

Den Fotografien sind Plastiken weiterer zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler gegenübergestellt, etwa Alessandro Gallos Skulptur "I don't want to grow up". (Foto: Thomas Dashuber/oh)

Diese Hintergründigkeit, das Befragen der Ordnung und ihrer Mechanismen, die immer auch Ausübung von Macht bedeuten, ist der Tenor der Ausstellung. In diesem Sinne steht "Exakte Grauzonen" auch für eine künstlerische Intervention und formuliert ein Plädoyer. Diese Werkschau feiert bis zum 3. September die Unbestimmtheit und den krummen Blick, das normfreie Schauen, das nicht versucht, Definitionen aufzustellen, sondern die Doppeldeutigkeit auszuhalten.

© SZ vom 29.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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