Oberstaufen:Ohrenbetäubendes Hobby

Kontrollgruppe Motorrad Schwaben

Verkehrspolizist Michael Laugwitz kontrolliert ein Motorrad auf illegale Umbauten.

(Foto: Frederick Mersi/dpa)

Anwohner beliebter Motorradstrecken ärgern sich über den Lärm von Bikes, die verbotenerweise technisch verändert wurden. Polizei und Politik wollen das beenden

Von Frederick Mersi/dpa, Oberstaufen

Wenn die Sonne scheint, wird es laut am "Paradies". Nahe dem Gebiet mit malerischer Aussicht bei Oberstaufen verläuft die Bundesstraße 308, die zu den beliebtesten Motorradstrecken in Südbayern zählt. Michael Laugwitz steht dort an einem sonnigen Nachmittag mit seiner Maschine. Um den eigenen Fahrspaß geht es ihm nicht: Laugwitz ist Leiter der Kontrollgruppe Motorrad des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West. Es ist 14.15 Uhr, als er einen Harley-Fahrer aus Österreich zum Anhalten auffordert. An diesen Motorrädern würden oft Komponenten ausgetauscht, sagt Laugwitz. Der Österreicher hat Luftfilter und Auspuff gewechselt. Das kann dazu führen, dass die mit 97 Dezibel Standgeräusch ohnehin laute Maschine noch mehr Lärm verursacht.

Nur wenige Kilometer entfernt ist der Ärger über solche Veränderungen groß. "Keiner will den Motorradfahrern den Spaß nehmen", sagt Gaston Höpfl, der nahe der B 308 wohnt. "Aber wenn man daran nur Freude hat, wenn es richtig laut ist, kann ich das nicht nachvollziehen." Anwohner Jürgen Keller vergleicht die Geräuschkulisse an Wochenenden und Feiertagen mit der einer Maschinenhalle. Die Debatte hat die Bundespolitik erreicht. Der Bundesrat setzt sich laut Beschluss vom 15. Mai dafür ein, dass die Lärmpegel aller neuen Motorräder auf 80 Dezibel begrenzt werden. Strafen für Technikmanipulationen sollen verschärft und Fahrverbote an Sonn- und Feiertagen leichter ermöglicht werden.

Beim Bundesverband Deutscher Motorradfahrer (BVDM) stößt das auf Kritik. Die Debatte über Lärmbelastung sei von der Politik jahrelang vernachlässigt worden und jetzt eskaliert, sagt der Vorsitzende Michael Lenzen. Statt Fahrverbote zu fordern, sollten "schwarze Schafe" mit technisch veränderten Maschinen konsequent von der Straße geholt werden. Dafür müsse die Polizei mehr Personal bekommen. Die vom Bundesrat geforderte Lärmgrenze von 80 Dezibel in allen Fahrzuständen sei dagegen "wirklichkeitsfremd", sagt Lenzen. Zwar verstehe er Anwohner, die sich von Motorradlärm belästigt fühlen. Er sehe nicht nur die Fahrer in der Verantwortung: Auch die Hersteller sollten auf "sozialverträglich leise" Maschinen setzen. "Wenn es dafür eine Mehrheit gibt, werden sich die Hersteller danach richten", heißt es dazu vom Industrie-Verband Motorrad Deutschland. Bisher sei beim Kaufverhalten kein solcher Trend zu beobachten. Die Forderungen des Bundesrats bezeichnet ein Sprecher als "unfachlich, unspezifisch und populistisch". Viele Maßnahmen seien schon jetzt umsetzbar oder - wie der Grenzwert von 80 Dezibel - fernab der Realität: "Die meisten Rasenmäher und Laubbläser sind lauter." Obwohl sich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) gegen weitere Verbote für Biker ausgesprochen hat, steigt der Druck auf Fahrer und Hersteller: In Österreich dürfen Motorräder mit einem Standgeräusch von mehr als 95 Dezibel seit 10. Juni auf fünf Streckenabschnitten in Tirol nicht mehr fahren - egal, wie laut sie während der Fahrt wirklich sind.

Unabhängig von Dezibel-Werten waren in Deutschland nach Angaben des BVDM zudem schon Ende Februar 157 Strecken für Motorradfahrer in der Nacht, an Sonn- und Feiertagen oder komplett gesperrt. Am 4. Juli wollen mehrere Veranstalter mit Protestfahrten gegen weitere Verbote demonstrieren, unter anderem am Bodensee und auf dem Mittleren Ring in München.

Dass es an beliebten Biker-Strecken auch anders gehen kann, zeigt ein Beispiel aus Niederbayern. Dort stellt die Polizei in Sankt Englmar jedes Jahr Lärmdisplays auf, die zu laute Motorradfahrer auffordern, leiser zu fahren. In einem Modellversuch 2017 sank der durchschnittliche Schalldruckpegel dadurch nach Angaben des Bayerischen Polizeiverwaltungsamts von knapp 81 auf 76,2 Dezibel.

Erwischen Polizist Laugwitz und seine Kollegen jemanden, der seine Maschine durch technische Veränderungen lauter gemacht hat, kostet das 90 Euro. Außerdem muss das Bike auf direktem Weg in die Werkstatt und zur Zulassungsstelle, bevor es wieder gefahren werden darf. "Das tut den Fahrern weh", sagt Laugwitz. "Gegen die wenigen, denen das egal ist, kommen wir auch mit Kontrollen nicht an." Die Anwohner haben mit einer Unterschriftenaktion zudem Tempo 50 statt 70 und das Aufstellen von Hinweisschildern an der Bundesstraße 308 durchgesetzt. Ein Fahrverbot wollten aber selbst sie nicht, sagt Keller: "So ein Hobby sollte man nicht grundsätzlich verbieten. Es gibt leider nur viele Ausreißer, die uns das Leben versauen."

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