Freisinger Jugendarbeiter warnen:"Es wird sehr früh, sehr heftig getrunken"

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Entgegen dem bayernweiten Trend nimmt im Landkreis Freising die Zahl der Klinikaufenthalte nach "Komasaufen" von Kindern und Jugendlichen zu.

Von Gudrun Regelein, Freising

Das Komasaufen, der Alkoholkonsum bis zum Umfallen, nimmt bei Jugendlichen in Bayern weiter ab: Die Zahl der Mädchen und Jungs, die mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt wurden, ist zuletzt um 7,4 Prozent gesunken. Dies geht laut der Krankenkasse DAK aus Daten des Statistischen Landesamtes des Jahres 2018 hervor. Aber es gibt auch gegenläufige Trends, wie beispielsweise im Landkreis Freising: Hier nämlich stieg laut DAK die Zahl der alkoholbedingten Klinikaufenthalte von Kindern und Jugendlichen an. Insgesamt 55 unter 20-Jährige mussten 2018 wegen einer Alkoholvergiftung behandelt werden, im Vorjahr waren es noch 49 und damit 12,2 Prozent weniger gewesen.

"Es wird sehr früh und sehr heftig getrunken", sagt Bärbel Würdinger, Leiterin der Beratungsstelle "Prop" in Freising. Der erste Alkohol werde im Alter von etwa 14 Jahren konsumiert, den ersten dokumentierten Vollrausch gebe es dann mit etwa 16 Jahren. "Das ist ein Experimentierverhalten", sagt Würdinger. "In diesem Alter fragen sich die Jugendlichen, welche Rituale zum Erwachsenwerden dazugehören, suchen die Grenzerfahrung in ihrer Peergroup."

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Auffällig aber sei, dass das Hilfesystem diese Jugendliche kaum erreicht: Nur wenige kommen in die Jugendberatung von Prop, gerade einmal vier waren es 2019 - die meisten von ihnen auf Druck der Eltern. "Jugendliche haben beim Thema Alkohol oft kein Problembewusstsein", erklärt Würdinger. Das erkläre auch das Konsumverhalten.

"Es geht darum, sich auszuknocken"

Auf Parties werde oftmals bis zum Exzess ausprobiert, wie viel man verträgt. "Sich zu betrinken, wird zum Selbstzweck. Es geht darum, sich auszuknocken." Im Alltag blieben die Jugendliche in einer Struktur, seien durch Leistungsdenken geprägt. Der exzessive Konsum könne dafür dann eine Art Ausgleich bilden, sagt die Fachfrau. "Das ist dann ein Erleichterungsrauschtrinken." Nach wie vor seien es mehr Jungs, die bis zum Vollrausch trinken würden - aber die Mädchen würden aufholen.

Insgesamt 32 unter 20-Jährige wurden 2018 im Klinikum Freising wegen eines Alkoholrausches behandelt, elf davon waren Mädchen, der Jüngste war ein Vierzehnjähriger. 2019 waren es 31 junge Menschen, darunter vier Frauen, und in diesem Jahr bislang sieben Jungs und zwei Mädchen, berichtet Sascha Alexander, der Sprecher des Klinikums.

Bei der Polizei in Freising ist das Komasaufen dennoch kein großes Thema. "Es gibt nur vereinzelt Fälle", sagt der Sachbeamte Philipp Kirmse. Die Beamten leiten dann Erste-Hilfe-Maßnahmen ein und fordern den Rettungsdienst an, wie er berichtet. Bei Minderjährigen werden die Eltern informiert, außerdem wird das Jugendamt eingeschaltet. "Im Nachgang schauen wir noch, woher der Alkohol kam", sagt Kirmse. Oft werde dieser von älteren Freunden gekauft. Bei angekündigten Feiern im öffentlichen Raum, wie Abifeiern, werde durch Jugendbeamte versucht, schon präventiv zu wirken, um Alkoholexzesse zu verhindern.

Auslöser können Probleme in Schule oder Familie sein

Das Jugendamt Freising bekommt im Jahr zwischen zehn und 15 diesbezügliche Polizeimeldungen. In einem Gespräch mit dem Jugendlichen und den Eltern wird dann geklärt, ob Hilfen, wie eine sozialpädagogische Einzelhilfe, notwendig sind. "Die Frage ist ja, wieso sich jemand dermaßen abschießt", sagt Christina Binder, Sachgebietsleiterin im Jugendamt. Auslöser könnten Probleme in der Schule oder in der Familie sein. Der Druck auf die heutigen Jugendlichen sei hoch, sagt Binder. Dazu komme eine gewisse Partymentalität, Jugendliche würden bei diesen schnell die Hemmungen verlieren. "Außerdem steht Alkohol leider relativ leicht zur Verfügung."

Bei Jugendschutzkontrollen werde bei Veranstaltungen im öffentlichen Raum geschaut, ob es auffällig betrunkene Jugendliche gibt. "Wir versuchen aber schon im Vorfeld durch Besprechungen mit dem Veranstalter zu vermeiden, dass es so weit kommt", erklärt Binder. Wichtig sei, präventiv zu arbeiten, die Jugendlichen zu sensibilisieren, betont sie. Im Landkreis gebe es viele tolle Angebote, sagt Regina Cordary, die im Landratsamt für die Jugendarbeit zuständig ist. "Ich denke, dass sich die Jugendlichen der Gefahren und Risiken des Alkoholkonsums nicht immer bewusst sind. Der Konsum von Alkohol geschieht eher unreflektiert, die Risikobereitschaft steigt." Hier setze die Prävention an - beispielsweise mit einem Infostand bei verschiedenen Veranstaltungen, mit der Aufklärung durch den "Alkotester" oder mit verschiedenen Angeboten des Gesundheitsamts an den Schulen.

© SZ vom 03.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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