Vettel in der Formel 1:Mit Knall und Getöse

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Legt sich mit dem eigenen Team an: Ferrari-Pilot Sebastian Vettel. (Foto: Mark Sutton/AFP)

Kurz vor dem Start der Formel-1-Saison riskiert Sebastian Vettel den sofortigen Bruch mit Ferrari. Er korrigiert seine eigene Darstellung - geht aber als Aufrechter.

Von Philipp Schneider, Spielberg/München

Die Szene sieht aus wie arrangiert. Inhaltlich ist sie es sogar. Aber die optischen Details, die nun ganz wunderbar passen zu dieser Abrechnung eines Rennfahrers, sie sind zufällig.

Ein zwielichtiger Raum in Spielberg. Die Vorhänge sind zugezogen, auf die grauen Fliesen fällt mehr Kunstlicht als Tageslicht. Sebastian Vettel sitzt vorne auf einem Stuhl. Er ist zur Hälfte in Rot gewandet, was auch erklärt, warum der wilde Stier des Red-Bull-Konzerns mit gesenkten Hörnern auf ihn zu galoppiert, den sie hinter ihm an die Pappwand gepinselt haben. Rotes Shirt, rotes Käppi, roter Mundschutz, selbst seine Uhr hat einen roten Rand. Vettel on fire? So ist es nicht.

Ganz ruhig sitzt er da. Hat das rechte Bein über das linke gelegt. Amerikanischer Beinüberschlag. Nur hin und wieder wippt er mit dem Fuß. Er spricht mit ruhiger Stimme. Alles an ihm sagt: Ich habe mir das gut überlegt, was ich tue, ich will das wirklich so: die Lunte legen an das Pulverfass Ferrari, das ja schon im Vorjahr fast explodiert wäre, als sich Vettel und sein zehn Jahre jüngerer Teamkollege Charles Leclerc so innig rieben, dass die Funken tanzten.

"Wir hatten nie eine Diskussion. Es lag nie ein Angebot auf dem Tisch"

Vettel blickt rüber zum Fragesteller, und weil ja die Menschheit in einer Pandemie lebt, sitzt der irgendwo am Horizont. Würde man ein Netz spannen, Vettel und der zum Fragenstellen Abgesandte der Formel 1 könnten Badminton spielen. Das ist kein unwichtiges Detail. Es ist kein vertrauter Journalist, der Vettel nun eine Antwort entlockt, die er eigentlich nicht geben will. Er ist schlicht der erste Mensch, der Gelegenheit hat, Vettel öffentlich die Frage zu stellen, woran letztlich die Verhandlungen zwischen ihm und Ferrari gescheitert sind. Und Vettel, der seit Mai, seit der Bekanntgabe der Auflösung seiner Fahrgemeinschaft mit der Scuderia abgetaucht war auf seinem hübsch renovierten Bauernhof in der Schweiz: Er will nun auspacken. Auf der größten Bühne, die er besteigen kann, damit sein krachender Haken auch sitzt: in der internationalen TV-Runde der Formel 1.

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Knackpunkt? Es habe "keinen Knackpunkt" bei den Verhandlungen über einen neuen Vertrag gegeben, sagt Vettel. Weil gar keine Verhandlungen stattgefunden hätten. Der Anruf von Teamchef Mattia Binotto mit der Entscheidung, den am Jahresende auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern, sei für ihn überraschend gekommen: "Wir hatten nie eine Diskussion. Es lag nie ein Angebot auf dem Tisch."

Rumms!

Mit einem Satz fortgespült, all die säuselnden Worte der gemeinsamen Pressemitteilung. Es gehört Mut dazu, zumal dann, wenn einer damit auch seine eigenen Worte in der offiziellen Scheidungserklärung korrigiert. Auch Vettel sprach damals von einer "joint decision", einer gemeinsamen Entscheidung, getrennte Wege zu gehen. Dass Vettel nun die Nichtverhandlungen offenlegte, war nach SZ-Informationen auch nicht mit Ferrari abgestimmt, der Rennstall hätte dem Zündeln selbstverständlich nie zugestimmt. Aber Vettel sah sich zu dem Schritt gezwungen. Um beim Abschied von Ferrari nicht mit einer Unwahrheit leben zu müssen, die zumindest nach außen Harmonie vorgetäuscht hätte. Und die ihm, so ist es zu hören, im Affekt unterlaufen sei. In Folge eines "Schocks", den Binottos Anruf bei ihm ausgelöst hatte. Nun also die Korrektur. Wenn er schon Ferrari verlassen muss, so sieht er das wohl, geht er als Aufrechter.

Mit Knall und Getöse. Es war klar, dass diese Trennung nicht in beiderseitigem Einvernehmen vollzogen worden sein konnte. Für Vettel war Ferrari seit jenem Moment der Sehnsuchtsort, als er als kleiner Junge Michael Schumacher im roten Wagen von Rekord zu Rekord eilen sah. Ein Sehnsuchtsort ist er wohl noch immer. Wenngleich er womöglich aus Vettels Sicht nun von den falschen Leuten gelenkt wird.

Man hatte es als möglich erwogen, dass sie ihm zumindest ein Angebot vorgelegt hätten, das er nicht annehmen konnte. Nicht einmal das. Eine ordentliche Vertragslaufzeit wäre ihm schon wichtig gewesen. Nicht aber sein Gehalt, für den ersehnten Titel in Rot, das ist gewiss, wäre Vettel auch pro bono gefahren.

Tags darauf sitzt Teamchef Mattia Binotto auf der Bühne, vollständig in Rot, vor dem wütenden Stier. Auch er: Ganz ruhig, sachlich. Aber gut vorbereitet ist Binotto nicht, er widerspricht Vettels Version nicht einmal. Kann er wohl nicht, sagt allerdings, Vettel sei im Winter noch die "erste Wahl" für die Scuderia gewesen. Dann jedoch sei die Pandemie über die Formel 1 hereingebrochen. "Die komplette Situation hat sich geändert", erklärt er. Das habe bei der Scuderia zum Umdenken geführt. Er habe Verständnis dafür, dass Vettel "überrascht" war, als man ihm das mitgeteilt habe. Welcher Faktor genau dazu geführt hat, dass man sich gegen Vettel entschied? Das weiß er nicht zu sagen, alles mögliche sei halt dafür verantwortlich! Die neue Budgetobergrenze, die Verschiebung der neuen Regeln auf 2022, das Gesamtpaket habe zu der Entscheidung geführt. Und überhaupt: Corona!

Die Perfidie des Vorgangs muss zu Ende gedacht werden. Als Vettel die Journalisten im April zu einer virtuellen Plauderstunde auf seinen Bauernhof lud und fröhlich parlierte, er sei zuversichtlich, bis zum ersten Rennen der Saison einen Vertrag unterschrieben zu haben, da hatte ihn Ferrari schon als Spielfigur vom Brett entfernt und auf einen Nebentisch gestellt - Corona gab es schließlich schon. Vettel allerdings saß am Katzentisch und glaubte, mit seinen Äußerungen ("gerne wieder einen langfristigen Vertrag") ein Spiel zu eröffnen. Ein Verhandlungsspiel mit Binotto, das niemals stattfinden würde: Bauer E2-E4. Doch nichts geschah. Irgendwann klingelte das Telefon. Binotto war dran. Sizilianische Verteidigung. Und raus bist du!

Vettel war auf sich gestellt, im Lockdown in Neumüli. Wie schon während seiner gesamten Karriere hatte er kein Management, das ihn taktisch beraten würde. Sein Teamkollege Leclerc, 22, hingegen, dem sie vor Weihnachten einen üppig dotierten Vertrag mit langer Laufzeit vorgelegt hatten, weiß den Sohn von Jean Todt, einst Rennleiter bei Ferrari in der Schumacher-Ära, jetzt Präsident des Automobil-Weltverbandes, hinter sich. Vettel hat sich nie eine Hausmacht aufgebaut bei Ferrari, und so konnte er Opfer eines politischen Spiels werden, das er womöglich nicht einmal erkannte, als es schon zu spät war. Ein Rennstall, der 48 Stunden nach der Trennung von Vettel den Nachfolger Carlos Sainz, 25, bekannt gibt, der hat wohl schon Verhandlungen geführt, als in Norditalien noch der Schnee fiel.

Jetzt reisen die Kontrahenten bei Ferrari noch eine Weile gemeinsam um die Welt, bei ihrer Abschiedstour, die quälend langsam verlaufen könnte. Acht Rennen sind erst terminiert, niemand kann sagen, wie lang diese Weltmeisterschaft dauern wird, oder ob sie noch von einer zweiten Welle der Pandemie gänzlich weggespült wird. Für die taktischen und strategischen Fehler der Teamführung konnte Vettel nie etwas, er baut nicht die Autos. Er saß allerdings am Steuer, als sein Ferrari vor zwei Jahren in der Sachskurve von der nassen Strecke des Hockenheimrings flog, Vettel lag in der Gesamtwertung in Führung, näher am Titel als da war er nie. Ja, er hatte sehr wohl die Chance auf Erfüllung seines Kindheitstraums. Doch unter Druck unterliefen ihm Fehler.

Und der fällt nun ab von ihm, was hat er denn noch zu verlieren? Es mehren sich allerdings die Anzeichen, dass der enthemmte Vettel im diesjährigen Ferrari mit dem hochtrabenden Jubiläumsnamen "SF1000" den schlechtesten Partner seit langem unter den Sitz geschraubt bekommen könnte. Während die Konkurrenz in der Corona-Pause fleißig Upgrades erprobt hat und diese nun auch zum verspäteten Saisonstart nach Spielberg geschleppt hat, sind sie bei Ferrari zur Erkenntnis gelangt, dass die Basisversion, die im März in Melbourne rollen sollte, ein derartiger Murks ist, dass sich die Weiterentwicklung gar nicht lohnt. Erst beim dritten Rennen in Ungarn wollen sie nun eine gänzlich neue Version vorstellen. Die geht hoffentlich in die richtige Richtung. In jene, in die Red Bull und Mercedes dann schon enteilt sein könnten.

Es braucht nicht viel Fantasie, um sich in den buntesten Bildern auszumalen, wie harmonisch das Betragen der Ferrari-Piloten in diesem Jahr auf der Strecke ausfallen wird. Hielten sich Leclerc und Vettel schon im Vorjahr mitunter nicht an die Vorgaben ihres lockigen Vorgesetzten Binotto, so dürfte dessen Autorität zumindest Vettel kaum noch erreichen. "Ich war immer ein Teamplayer", sagte Vettel zwar am Tag der Abrechnung. "Wenn Stallregie Sinn ergibt", werde er für das Team fahren. Allerdings werde er "es Charles nicht einfacher machen". Und wann Stallregie Sinn ergibt, darüber können Vettel und Binotto ganz gut mal geteilter Meinung sein.

Nach Lage der Dinge verlässt ein viermaliger Weltmeister die große Bühne

Am Freitag, dem Tag nach dem Tag der Abrechnung, war Vettels 33. Geburtstag. Das Team, das seit fünf Jahren seine Heimat ist, widmete ihm wohl letztmals ein Video. "Isch liebe disch", säuselte Leclerc darin, das allein verschafft ihm sicher noch keinen Lieblingsplatz im Vettelarchiv. Acht, zehn, fünfzehn, vielleicht auch mehr Rennen verbleiben Sebastian Vettel in der Formel 1. Zur Verlängerung dieser Zeit sei "das richtige Paket und die richtigen Leute um mich herum" nötig. Das klingt nicht nach Renault, nicht nach Aston Martin, nicht nach Haas. Attraktiv sei ein Angebot vom Weltmeister-Rennstall Mercedes, sagte Vettel, aber dessen Teamchef Toto Wolff ließ seinem Werben am Freitag prompt die Kunde folgen, eine Verlängerung mit den Piloten Lewis Hamilton und Valtteri Bottas habe für ihn Priorität.

Nach Lage der Dinge verlässt Ende des Jahres ein viermaliger Weltmeister im besten Rennfahreralter die große Bühne, denn ein Sabbatical schließt er aus. Sebastian Vettel sagt: "Ich bin der Überzeugung, dass du die Tür schließen musst, wenn du dazu bereit bist, und nicht erwarten solltest, dass sich die Tür dann wieder öffnet." Auch das ist konsequent.

© SZ vom 04.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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