Mathematik:Das Rätsel kurviger Wäscheleinen

Mathematik: "Rechteck-Wäscheklammer-Problem" heißt das mathematische Rätsel - weil es daran erinnert, wie Bettlaken auf eine Leine gespannt werden.

"Rechteck-Wäscheklammer-Problem" heißt das mathematische Rätsel - weil es daran erinnert, wie Bettlaken auf eine Leine gespannt werden.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Corona-Lockdown brachte zwei Mathematikern die Muße: Sie fanden die Lösung eines alten Problems.

Von Julian Rodemann

Es ist ein Problem, auf das Schulkinder beim Bekritzeln des Seitenrands stoßen könnten: Wenn man gedankenverloren irgendeine geschlossene Kurve malt, gibt es dann auf dieser Kurve immer vier Punkte, die ein Quadrat formen? Der deutsche Mathematiker Otto Toeplitz stellte sich 1911 erstmals diese Frage. Die nach ihm benannte Vermutung ist bis heute nicht bewiesen.

Kopfschmerzen bereitete Mathematikern wie so oft das unscheinbare Wörtchen jede, gemeint sind also auch gezackte Kurven; nur geschlossen und stetig müssen sie sein, also mit identischem Start- und Endpunkt und ohne Unterbrechung. Im Grunde wie eine an den Enden verbundene Schnur, eine Schlaufe oder ein Gummiring, dem man eine x-beliebige Form gibt. Allerdings darf sich die Kurve nicht selbst schneiden. Für den Spezialfall glatter Kurven, also solcher ohne Zacken, wurde die Vermutung bereits in den 1920er-Jahren bewiesen. Dadurch kam die Frage auf, ob sich auf jeder glatten Kurve die Eckpunkte nicht nur eines Quadrats, sondern auch beliebiger anderer Rechtecke einzeichnen ließen - das "Rectangular Peg Problem" war geboren, zu Deutsch etwa "Rechteck-Wäscheklammer-Problem", weil die Rechtecke wie Bettlaken auf eine Leine gespannt werden - mit Wäscheklammern. Nun haben die Mathematiker Joshua Greene und Andrew Lobb bewiesen, dass tatsächlich rechteckige Bettlaken mit beliebigen Seitenverhältnissen an solche Kurven "festgeklammert" werden können.

Greene und Lobb beschlossen im März dieses Jahres, die coronabedingten Ausgangsbeschränkungen dafür zu nutzen, sich in dieses alte Problem zu vertiefen. "Ich denke, die Pandemie war irgendwie elektrifizierend für uns", sagte Greene dem Quanta Magazine. "Wir dachten beide, dass uns eine Zusammenarbeit dabei helfen würde durchzuhalten." Greene und Lobb schlossen sich also zu Hause ein, dachten nach und diskutierten ihre Ideen wöchentlich über Zoom.

Den beiden half eine Idee von Herbert Vaughan aus den 1970er-Jahren: Statt sich vier Eckpunkte eines Rechtecks auf einer Kurve vorzustellen, dachte Vaughan schlicht an zwei Paare von Punkten, die sich beliebig auf der Kurve bewegen. Jedes Paar verband er mit einer geraden Linie. Wenn sich diese Linien kreuzen, kann man die Punkte zu einem Viereck verbinden, deren Diagonalen die Linien zwischen den Punkten sind. Dieses Viereck ist genau dann ein Rechteck, wenn die zwei Verbindungslinien gleich lang sind und sich in der Mitte schneiden. Denn jedes Rechteck besitzt zwei gleich lange Diagonalen.

Nun wird es etwas abstrakter: Wenn man sich für jedes mögliche Paar von Punkten ihren Abstand als Höhe über dem Mittelpunkt ihrer Verbindungslinie vorstellt, entsteht eine Art Berg über der Kurve. Die Oberfläche dieses Bergs symbolisiert die Abstände der Punkte zueinander. Das Geniale daran: Schneidet sich diese Oberfläche selbst, so muss es zwei Paare geben, deren Verbindungslinien sich schneiden und gleich lang sind. Also muss es ein Rechteck auf der Kurve geben. Mithilfe einiger mentaler Verrenkungen kann man die Oberfläche des Bergs nun so verformen, dass man Schnittpunkte sieht. Um derartige Verformungen geht es in der Topologie, einem Teilgebiet der Mathematik, das sich mit der Vielfalt von Formen befasst. Dabei werden Formen, die zwar unterschiedliche Maße haben, aber generell gleich sind, ein Ehering und ein Donut zum Beispiel, als eine Einheit angesehen. Als Lehrbuchbeispiel wird oft auch eine Tasse genannt, die Topologen gedanklich als verformten Donut ansehen. Dass es in der Topologie um mehr geht als um solche Tagträumereien, zeigt das Rechteckproblem: Der Berg und seine Verformungen folgen als natürliche, wunderschöne Lösung aus der Fragestellung.

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