Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme:Grün-Rot will Grundstückspreise im Münchner Norden einfrieren

Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme: Hier im Norden sollen nach dem Willen der grün-roten Koalition Wohnungen entstehen.

Hier im Norden sollen nach dem Willen der grün-roten Koalition Wohnungen entstehen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Stadt braucht neuen Wohnraum. Dafür will die Rathaus-Koalition die "SEM" wiederbeleben - das löst im Stadtrat heftigen Streit aus.

Von Sebastian Krass

Wer der Stadt sein Grundstück für den Bau eines neuen Siedlungsgebiets im Münchner Norden zur Verfügung stellt, bekommt dafür einen fairen Preis - der ein Vielfaches über dem Wert von Ackerland liegt: Mit dieser Botschaft haben die Spitzen der grün-roten Regierungskoalition am Mittwoch im Planungsausschuss des Stadtrats um die Mitwirkung von Grundstückseigentümern in einem 900 Hektar großen, bisher weitgehend unbebauten Areal um den Ortskern Feldmoching geworben. Verbunden hat die Stadtratsmehrheit das mit einem Beschluss, der - die Zustimmung der Vollversammlung am 22. Juli vorausgesetzt - die Grundstückspreise dort vorerst einfriert.

Bei dem Beschluss, den die Koalition mit Unterstützung der Fraktion der Linken und gegen die Stimmen von CSU, FDP/Bayernpartei sowie ÖDP/Freie Wähler/München-Liste gefasst hat, handelt es sich um die Einleitung von vorbereitenden Untersuchungen für eine Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM). Das ist ein Instrument aus dem Baugesetzbuch, um große Gebiete mit vielen Grundstückseigentümern aus einem Guss zu planen.

Enteignungen, die bei einer SEM als ultima ratio möglich sind, wollen sowohl Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wie auch die Regierungsfraktionen nach Möglichkeit vermeiden, behalten sie sich aber vor, falls einzelne Eigentümer etwa den Bau einer U-Bahn-Station gefährden würden. "Wir werden aber keine 200 oder 300 Hektar für den Wohnungsbau enteignen", betonte Reiter in der Sitzung. Damit trat er dem Anti-SEM-Bündnis "Heimatboden" entgegen, das immer wieder angeblich drohende Enteignungen ins Feld führt.

"Wenn Eigentümer der Meinung sind, dass 600 Euro pro Quadratmeter einer Enteignung gleichkommen, weil sie 3000 Euro wollen", dann könne er das nicht nachvollziehen. 600 Euro als Ankaufspreis durch die Stadt lägen allerdings deutlich über dem, wovon SPD- und Grünen-Stadträte ausgehen. Sie nennen Preise von maximal 200 oder 250 Euro. Wer also einen Hektar Land verkauft, könnte dafür mehr als zwei Millionen Euro bekommen. Der derzeitige und künftig eingefrorene Preis für Ackerland liegt bei etwa 30 Euro. Für Bauland hingegen sind in München 3000 Euro pro Quadratmeter realistisch. "Irgendwie muss der Weg dazwischen sein", sagt Reiter. Später nannte er in einem Fernsehinterview die Summe von 300 Euro. Reiters Sprecherin erklärte daraufhin, seine in der Debatte genannte Zahl sei keineswegs als möglicher Kaufpreis der Stadt zu verstehen gewesen. Das Thema kam auf die Tagesordnung, nachdem die Fraktionen von Grünen und SPD/Volt in der vergangenen Woche erklärt hatten, im Norden zur SEM als Planungsinstrument zurückzukehren. Die vorige Koalition aus CSU und SPD hatte 2018 dem Widerstand nachgegeben, die bereits angedachte SEM gekippt und ein "Kooperatives Stadtentwicklungsmodell" (Kosmo) ausgerufen, in dem Enteignungen nicht vorgesehen waren.

Es gibt ein zweites potentielles SEM-Gebiet, dabei handelt es sich um 600 Hektar im Nordosten der Stadt, angrenzend an Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen. Dort sind die Planungen etwas weiter, Anfang des Jahres wurde das Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs vorgestellt, mit Entwürfen für 10 000, 20 000 oder 30 000 Bewohnerinnen und Bewohner. Grün-Rot bevorzugt die große Lösung. Wie groß ein Siedlungsgebiet im Norden ausfallen könnte, ist völlig offen. Klar ist, dass es frühestens 2030 mit einer Bebauung losgehen kann. Und die Stadtspitze verspricht, künftig intensiv mit den Menschen zu sprechen, das habe man beim ersten Anlauf für eine SEM im Norden versäumt, räumt Reiter ein.

Grünen-Fraktionsvorsitzende Anna Hanusch möchte einen Interessensausgleich zwischen der wachsenden Stadtbevölkerung und der Bewohnerschaft im Norden. "Welche Flächen schützen wir langfristig vor Bebauung? Wie können wir neue Freizeitflächen neu entwickeln? Um solche Fragen in einem Gesamtkonzept zu entwickeln, ist eine SEM das richtige Mittel." Derzeit arbeite man im Norden nur mit einzelnen Bebauungsplänen an neuen Wohngebieten. So drohe eine "Zersiedelung" mit unbefriedigender Verkehrserschließung wie in Lochhausen und Langwied, warnt SPD-Fraktionschef Christian Müller.

Von der Opposition kam scharfe Kritik am Kurswechsel. CSU-Stadtrat Alexander Reissl, der 2018 noch bei der SPD war, sagte an Reiter gerichtet: "Ich erinnere mich, dass du damals die Kosmo in der SPD-Fraktion genauso verteidigt hast wie ich." Gabriele Neff (FDP) warf der Koalition vor, sie hebe mit einem Federstrich einen Grundsatzbeschluss auf, damit habe man "einen ganzen Teil der Bevölkerung verarscht", das werde auf alle Mitglieder des Stadtrats abstrahlen, "weil uns keiner mehr glaubt".

Die Gegner sehen in der SEM ein Instrument, das auf Zwang angelegt sei. Neff warnt vor einer "Prozesslawine". Wenn man "keinen kooperativen Weg mit den Bewohnern geht", sagt Heike Kainz (CSU), "verhindert man einen zeitnahen Bau von Wohnraum". Dirk Höpner, der aus Feldmoching kommt und für die wachstumskritische München-Liste in den Stadtrat eingezogen ist, verwies auf eine Erklärung von 180 Grundstückseigentümern, die notariell beglaubigt hätten, jedes Gespräch mit der Stadt abzulehnen. "Die werden wieder so eine Erklärung vorlegen", sagte Höpner. "Und was machen Sie dann? Ich bin der festen Überzeugung, dass Sie ein Desaster erleben werden." Dem trat Reiter entgegen: "Der Widerstand wird drei Monate halten, vielleicht sechs, dann wird der erste sagen: Oh, da gibt es ja doch Geld."

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