Digitaler Unterricht:Unbekanntes Terrain

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Lehrer lernen gut von Lehrern, wie die Erfahrung zeigt. Das gilt auch für die Nutzung digitaler Unterrichtshelfer – etwa der elektronischen Tafel, die hier ein Pädagoge auf der Bildungsmesse Didacta beschreibt. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Viele Pädagogen müssen erst lernen, wie man Schule digital besser macht. Ein neuer Fortbildungstrend hilft ihnen dabei.

Von Christian Füller

Wenn auf Twitter der Countdown mit dem Kürzel #Molol ausgerufen wird, beginnt ein Spektakel. Tausende Lehrkräfte warten dann auf den Startschuss für die Tickets zu der derzeit angesagtesten Lehrerfortbildung Deutschlands. Denn wer an der Molol, der "Mobilen Schule Oldenburg", teilnehmen will, muss schnell sein. "1000 Tickets waren nach 120 Minuten weg", sagt Andreas Hofmann. Er ist der Erfinder des Events, das die Lehrerfortbildung wieder sexy gemacht hat. Weil der Kongress so groß geworden ist, hat sich Lehrer Hofmann vor einem Jahr selbständig gemacht.

Digitale Nachhilfe für die Pädagogen, das ist das ewige unerfüllte Versprechen der Bildungspolitik: Alle fordern Angebote, gern verpflichtend - aber ein wirksames Modell haben die Länder noch nicht gefunden. Der Bund hat mit dem Digitalpakt Schule und seinem Endgeräte-Programm geliefert - 5,5 Milliarden Euro für Schulclouds, schnelles Wlan und Laptops oder Tablets. Die versprochene Gegenleistung der Länder in Form von attraktiven Fortbildungen zum digitalen Lernen ist bislang nicht identifizierbar. "Die Länder sind am Zug, für die Lehrerinnen interessante Angebote zu machen", fordert etwa die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing, die auf Trainings für fast 200 000 Gymnasiallehrer wartet.

Einige Verantwortliche in den Ländern juckt das wenig. "Nö, wir machen keine Veranstaltungen mit dem Titel Digitalpakt 2.0. Was da gefordert wird, bieten wir sowieso an", knurrt der Bereichsleiter eines Lehrerbildungsinstituts, der anonym bleiben will. Ganz anders die Fortbildung von Lehrern für Lehrer unter dem Namen "Mobile Schule Oldenburg". Weil der jüngste 1 000-Leute-Kongress im März der Pandemie zum Opfer fiel, verlegte Andreas Hofmann das Event ins Netz. Zwar fanden seit den Schulschließungen überall in der Bildungsrepublik Webinare statt, aber keine, die mit fünf Gigs mehr als 4 000 Lehrerinnen vor die Bildschirme bekamen. Zum Vergleich: Das ganze Land Baden-Württemberg hat mit seinen Online-Kursen nur halb so viele Lehrer erreicht.

Um die Molol zu verstehen, muss man mit jemandem wie Georg Schlamp reden. Der Englischlehrer ist Stammreferent auf der Massenfortbildung in Oldenburg. Dabei kommt der Digital-Lehrer gar nicht aus Niedersachsen, sondern aus Bayern, er unterrichtet am Gymnasium Neubiberg. "Die Molol ist ein großer Haufen interessierter Lehrer, die wissen, dass Schule sich nicht erst morgen, sondern schon heute verändern muss", sagt der bayerische Studiendirektor. "Die vernetzen und inspirieren sich dort in Workshops, die von zeitgemäßem Fremdsprachunterricht bis Programmieren reichen." Die Vielfalt ist beeindruckend. Es gibt simple Einführungen, etwa wie man ein Tablet bedient, konkrete Unterrichtstipps für QR-Codes, Feedback-Apps oder den "flipped classroom" - und erstaunlich wenig Aufrufe zur Bildungsrevolution. Es herrscht das Barcamp-Prinzip: fünf bis zehn Minuten Input, dann wird nachgefragt, diskutiert oder praktisch geübt. Zur Molol fährt man in Gruppen. Digitalaffine Pädagogen nehmen Kolleginnen und Kollegen mit, die mal schnuppern wollen. Mit dieser Methode machte die "Mobile Schule" Masse.

Der Lehrer holt sich neue Ideen und trägt sie in kleinen Happen in sein Kollegium

An Schlamp kann man auch beobachten, wie die Molol-Kultur in Schulen wirkt. Der Lehrer holt sich auf den Fortbildungen neue Ideen und trägt diese mittels sogenannter Mikrofortbildungen in sein Kollegium. Das sind Minikurse von 10 bis 45 Minuten. "Wir machen solche learning snacks, weil die Kollegen gerade enorm viel leisten müssen." Wie Schlamp rechnen sich Lehrer aus ganz Deutschland zum "Team Molol". Sie sind inzwischen kleine Berühmtheiten auf Twitter: Verena Knoblauch aus Nürnberg, Tobias Erles aus Heimsbach oder Saskia Ebel aus Karlsruhe zum Beispiel.

Die Informatiklehrerin Saskia Ebel hat vor vier Jahren einen Ableger der Molol im Süden gegründet, die Wes4.0 an der beruflichen Walter-Eucken-Schule Karlsruhe. "Als ich von der Molol zurückkam, habe ich meinem Schulleiter vorgeschlagen, so etwas auch bei uns zu machen", erzählt Ebel. Zur Wes4.0 im letzten Herbst kamen bereits 600 Lehrer. Das Erfolgsrezept ist das gleiche wie im Norden. Die treibende Kraft sind digitalbegeisterte Pädagogen, das Land ist mit Zuschüssen und Zertifikaten dabei. In Oldenburg das Niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung, in Karlsruhe das Landesmedienzentrum. Die Molol hat inzwischen Nachahmer: den Lehrermedientag "Eduswabia" in Schwaben oder "Digitale Schule Bayern" in Gauting etwa. Der Bezirk Oberbayern hat das Konzept "Multiple Workshops von Lehrern für Lehrer" sogar in sein offizielles Programm aufgenommen. Er entsendet Georg Schlamp mit einem mobilen Fortbildungsteam an Schulen, wo es zuerst eine Keynote und dann sechs bis zehn Arbeitsgruppen gibt.

Geboren wurde die "Mobile Schule" vor zehn Jahren an der Waldschule Hatten. Andreas Hofmann, damals noch Lehrer für Englisch, Geschichte und Politik, packte den ersten Satz Tablets aus und stellte die neuen Geräte seinem Kollegium vor. Bald öffnete Hofmann seine praxisorientierten Einführungen in Technik und Didaktik für Pädagogen von Nachbarschulen. Damit war das Konzept geboren, das für Lehrer bis heute gratis ist. Bezahlt wird bei der Molol nur von Firmen. Anfangs sponserten sie Kaffee und Kuchen, heute stellen sie die finanzielle Grundlage. Etwa 50 Anbieter, von mittelständischen Cloud-Anbietern bis zu Konzernen, bezahlen für Platz auf der Ausstellungsfläche. "Weltmarktführer erhalten keine Dominanz", sagt Hofmann, "Firmen-Workshops sind als solche gekennzeichnet." Aus 25 neugierigen Lehrern wurden erst 50, dann 100. 2014 wurde musste die Molol wegen Überfüllung von der Waldschule Hatten in die Universität Oldenburg verlegt werden.

Die Bedeutung von Molol und WES4.0 lässt sich im Vergleich mit den großen Digital-Events der Bildung ablesen. Die "republica" in Berlin ist die bekannteste - hat aber erst 2019 ein Bildungsprogramm unter dem Namen "relearn" gestartet; normale Lehrer sind dort die Ausnahme. Beim "Forum Bildung Digitalisierung" der großen Stiftungen finden sich zwar Lehrer ein - aber das große Wort führt dort meist Jörg Dräger von der mächtigen Bertelsmann-Stiftung. Und der neue Stern am digitalen Firmament, der von der Bundesregierung mitveranstaltete Hackathon "Wir für Schule", war überhaupt keine Fortbildung, sondern will Schule hacken, also völlig umkrempeln. In der 40-köpfigen Jury verloren sich zwei aktive Lehrer.

Das Bildungsangebot muss auch die erreichen, die nicht im Twitter-Lehrerzimmer wohnen

Hakt man bei staatlichen Fortbildungsmanagern nach, wo die Fortbildungsoffensive für Digitalpakt und Fernlernen bleibt, wird man auf Rückrufe vertröstet. Oder erhält kleine Vorlesungen darüber, wie scheu die Klientel der Lehrer doch sei. "Lehrerfortbildung ist nicht selten kompliziert", sagt etwa Dagmar Schmidt, Referatsleiterin Fortbildung am Landesmedienzentrum in Baden-Württemberg. Der Staat könne sich "ein Beispiel an selbstorganisierter Medienbildung nehmen." Gleichzeitig hält Schmidt es für problematisch, wenn der Staat den letzten Faden zu den analog orientierten Lehrern wie auch zur Szene digitalaffiner Lehrern kappen würde. "Es ist zum Beispiel wichtig, dass Lehrkräfte über die Fortbildung in Kontakt zur Forschung kommen. Denn die Digitalisierung verändert das Wesen der Fächer", gibt sie zu bedenken. Zielgruppe dürften zudem nicht nur Digitalaffine sein. "Die organisierte Lehrerbildung muss auch jene Lehrkräfte erreichen, die nicht in der Blase des Twitter-Lehrerzimmers wohnen".

Auch die Grundschulpädagogin Uta Hauck-Thum von der LMU München findet, dass die Lehrer nicht nur unter sich bleiben sollten. "Wir müssen Theorie und Praxis des Digitalen zusammenbringen", sagt sie. Und erklärt das Problem am Lieblingsformat des digitalen Unterrichts: dem kurzen, multimedial aufbereiteten Lehrvideo. "Wir haben Theoretiker, die sich mit den Effekten digitaler Formate auf den Unterricht auskennen - aber keine Ahnung haben, wie man ein Video schneidet. Umgekehrt sind viele Praktiker virtuos im Schneiden, ohne genau zu wissen, worauf es beim Einsatz im Unterricht ankommt."

Professor Hauck-Thum hat gerade, angestoßen vom Kanzleramt, die Konferenz "Schule neu denken" im Netz veranstaltet. Ein Riesenerfolg, 2 000 Leute meldeten sich an. Eine Vielzahl der Referenten dort stammte freilich aus jener Gruppe, die sich jahrelang bei Molol und Wes4.0 dafür warmgelaufen hat, wie man Schule digital besser macht.

© SZ vom 13.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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