Kommentar:Unabhängiges Europa

Amerikanische und chinesische Konzerne dominieren die digitale Welt. Europa muss aufholen, das fordern viele. Wie die Corona-Krise dabei helfen könnte.

Von Caspar Busse

Die Analyse der aktuellen Situation ist absolut richtig: Europa hat gegenwärtig eigentlich keine digitale Infrastruktur, sondern ist völlig von Anbietern vor allem aus den USA und aus China abhängig. Auch die Folgerung, die die große Allianz aus Wissenschaftlern, IT-Experten und Medienmanagern in ihrem jetzt vorgelegten Grundsatzpapier daraus ziehen, stimmt. Europa braucht dringend einen eigenen digitalen Raum, um seine Werte und seine Unabhängigkeit zu bewahren. Nur der Weg dahin ist offen. Kann Europa es überhaupt schaffen, sich unabhängig zu machen? Home-Schooling, Online-Universitäten, digitales Geld, öffentliche Verwaltung im Netz - soll auch all das künftig Konzernen überlassen werden? Ist gegen die Übermacht von Unternehmen wie Facebook, Amazon, Google oder Alibaba aus China überhaupt noch etwas auszurichten? Die Zweifel sind groß - und das ist berechtigt.

Immerhin: Das Thema geht alle an, denn der digitale Raum ist inzwischen fast überall. Gerade die aktuelle Corona-Krise zeigt deutlich, in welche Lage Europa und damit auch Deutschland geraten ist. Thomas Hofmann, der Präsident der Technischen Universität München, hat recht: Die digitale Welt ist in amerikanischer oder asiatischer Hand. Wer in sozialen Netzwerken unterwegs ist, mal schnell eine Nachricht mit Whatsapp schreibt oder Fotos und Filmchen bei Instagram teilt, ist Kunde von Facebook. Wer etwas im Internet sucht, ist auf Google angewiesen. Wer etwas nach Hause bestellen will, tut das sehr oft bei Amazon oder bei einem Anbieter, der in Ermangelung einer eigenen Infrastruktur den Amazon Marketplace nutzt. Wer in diesen Zeiten an Videokonferenzen teilnimmt oder mit Kollegen kommuniziert - und das ist in Zeiten von Home-Office fast schon Alltag - macht dies in der Regel per Microsoft, Zoom, Slack, Cisco oder einem anderen Anbieter, der in der Regel nicht aus Europa kommt. Auch Behörden oder Schulen müssen auf diese Anbieter in großem Stil zurückgreifen.

Es gibt Anlass für Zuversicht. Im Digitalen kann sich vieles auch mal rasch ändern

Amerikanische und chinesische Unternehmen waren einfach schneller und besser und haben deshalb den Markt besetzt, das ist nun mal so in einer Marktwirtschaft, könnte man sagen. Weltweit haben an sehr vielen Stellen doch auch deutsche Produzenten von Premium-Autos oder von Maschinen eine führende Stellung. Doch so einfach ist das nicht. Denn Facebook, Amazon und viele andere stellen nicht nur Produkte zur Verfügung, sondern Plattformen, die Infrastruktur also. Das ist in etwa so, als wären die Straßen in Privatbesitz und Unternehmen dürften entscheiden, wer diese mit welchem Ziel nutzen darf.

Das Problem: Die Internetökonomie hat eine fatale Tendenz zum Monopol. Je größer Netzwerke, Suchmaschinen oder Handelsplattformen, desto erfolgreicher. Dazu kommt: Auf den ersten Blick sind viele digitale Angebote kostenlos, doch in Wirklichkeit wird mit der Preisgabe meist sehr persönlicher Daten bezahlt. Das ist ein äußerst lukratives Geschäft. Unternehmen wie Facebook oder Amazon machen mit den gewonnenen Daten Milliardengewinne, gehören an der Börse zu den wertvollsten Firmen der Welt. Sie werden ihre Position keinesfalls kampflos räumen, weil Europa ein neues unabhängiges System aufbauen will.

Doch es gibt auch Anlass für Zuversicht. Gerade im Digitalen kann sich vieles ändern. Wer hätte gedacht, dass die chinesische App Tiktok plötzlich so viel Erfolg gegen etablierte Anbieter haben kann? Dazu kommt, dass auch die Behörden gegen die Macht der Internetkonzerne vorgehen. Langsam zwar, aber beharrlich. Die EU-Kommission, das Bundeskartellamt, die Datenschützer können durchaus erste Erfolge melden. In den USA müssen bald Amazon, Apple, Facebook und Google vor dem Kartell-Ausschuss in Washington erscheinen. Wie groß der Druck ist, zeigt sich auch am jüngsten Werbeboykott bekannter Unternehmen bei Facebook. Weil sie nicht mehr im Umfeld von Hasskommentaren und abwertenden Inhalten erscheinen wollen, werden Kampagnen bei Facebook gestoppt. Zwar lebt das soziale Netzwerk vor allem von der Vielzahl kleiner Werbekunden, doch das Image ist angekratzt. Es bewegt sich also etwas.

Möglicherweise - und das wäre das Wichtigste - wandelt sich auch die Einstellung vieler Nutzer. Wenn die Corona-Krise überhaupt für etwas gut sein könnte, dann vielleicht dazu: dass manchen die Abhängigkeit von datengetriebenen Geschäftsmodellen klar wird, was zu einem Umdenken führen könnte. In dieser Krise wird ja bislang plötzlich vieles möglich, was zuvor undenkbar schien.

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