Kommentar Digitale Transformation:Italo-Western 

In Wolfsburg rauchen wieder die Colts. Diesmal hat es den Software-Vorstand getroffen - obwohl er auf dem richtigen Weg war.

Von Joachim Becker

Neu ist die Ballerei nicht, bei Volkswagen ist man Wildwestmethoden gewohnt. Ungewöhnlich ist eher der Grund für den Sturz eines Mächtigen: Computerprogramme. Zwei Wochen war Christian Senger Chef der Auto-Software-Organisation. Und schon ist er weg. Was bedeutet, dass er viele Markenchefs gegen sich aufgebracht hat. Zugegeben, der Start der jüngsten Golf-Generation lief alles andere als glatt, auch der Stromer ID 3 macht Zicken. Kein Drama, möchte man meinen, ein paar Funktionen lassen sich schließlich nachreichen. Bei Tesla ist das so genannte Bug-fixing (Fehlerbehebung per Software-Update) gang und gäbe. Der Unterschied liegt in der Spaghetti-Elektronik und dem Eigenanteil an Software: Aus jedem Bauteil im Auto hängt ein Kabel, das irgendwie mit allem anderen zusammenhängt. An der veralteten Elektronik-Architektur kann keine Software-Organisation über Nacht etwas ändern - obwohl es Senger mit neuen Zentralrechnern beim ID 3 ansatzweise versucht hat.

Mit neuer Software auf Tesla-Jagd: Super-Duesmann soll es richten

Statt sich weiter mit Spaghetti-Elektronik vollzustopfen (und beim nächsten Modellanlauf wieder zu kotzen), müssen die Markenchefs also auf die Schulbank. Revolverhelden, die digitale Transformation pauken? Das kann nicht gut gehen. Zumal ihnen Schulmeisterlein Senger derweil die besten Elektronikentwickler abwarb. 5000 spezialisierte Auto-Programmierer lassen sich in einem Jahr nun mal nicht auf dem freien Markt rekrutieren. Also hat sich der Software-Vorstand bei den Marken bedient - und prompt Ärger eingehandelt. Schließlich brauchen die Entwicklungsvorstände jede kundige Hand zum Entwirren des nächsten Spaghetti-Modellanlaufs. Die Machtfrage wurde dann nach Art des Hauses gelöst.

Was beileibe kein Einzelfall ist. Bei BMW hat sich Digitalchef Dieter May an den Konzern-Granden abgearbeitet, bei Porsche wollte Thilo Kosslowski die Innovationskultur des Silicon Valley nach Stuttgart importieren. Doch so leicht lässt sich die metallverarbeitende Industrie nicht zu Digitalkonzernen verbiegen. Was zählt, ist, ob man mit einem neuen Bauteil inklusive Software zusätzliches Geld verdienen kann. Wenn ja: Rücke auf bis zum Vorstand. So wie Sajjad Khan, der MBUX bei Mercedes etabliert hat. Von der neuen S-Klasse zeigen die Stuttgarter zuerst genau das: die nächste Stufe des Sprachbediensystems inklusive 3-D-Grafik auf bis zu fünf Bildschirmen. Schöner die Kassen nie klingeln.

Schwieriger wird es, wenn man wie Christian Senger mehr als sieben Milliarden Euro freischaufeln will, um im Datenkeller mal richtig aufzuräumen. Allein im Übergang vom Golf 7 zum neuen Golf 8 hat sich der Software-Anteil verzehnfacht - und die Programmzeilen kommen von vielen verschiedenen Zulieferern. Gegen diesen Flohzirkus hilft nur ein eigenes Betriebssystem über alle Marken hinweg. Zumal die Zulieferer-Lösung zu langsam ist, um ständig neue Software-Produkte ins Auto zu bringen. Oder doch lieber den großen Bruder für das Smartphone auf Rädern suchen? Volvo und Polestar haben sich für Google/Android Auto entschieden, die deutschen Hersteller kämpfen noch um ihre Unabhängigkeit. "Ich will nicht in einer Industrie arbeiten, die zum Hardware-Lieferanten für IT-Firmen wird", sagte BMW-Vorstand Peter Schwarzenbauer schon 2015. Gelöst ist das Problem noch immer nicht. Jetzt soll es ein anderer Supermann aus München richten: Der neue Audi-Chef Markus Duesmann übernimmt neben anderen Führungsjobs (deren Auflistung diese Spalte sprengen würde) auch die Auto-Software-Organisation. An dem gemeinsamen Betriebssystem für alle Marken will er nicht rütteln. Als Konzern-Entwicklungschef hat er nun die Macht, das alles durchzusetzen. Und ein Leuchtturmprojekt, um Software sexy zu machen, hat er auch: 2024 sollen aus dem Projekt Artemis (griechische Göttin der Jagd) Tesla-Jäger entstehen, die den Kaliforniern auch bei der Software zeigen, was Sache ist. Neue Autos, die womöglich der futuristischen Aicon-Studie ähneln, mit einem neuen Betriebssystem auch fürs autonome Fahren. Technologieführer, die den Vorsprung durch Technik wieder erlebbar macht. Und mit dem Software-Gedöns satte Renditen einfahren. Da gleicht die schöne neue digitale Welt doch wieder ganz der alten analogen. Ansonsten: Rauchende Colts - siehe oben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: