Kritik:Ein Jahrhundert Leben

Maria-Daelen-Abend

Clemens Weigel, Cellist im Orchester des Gärtnerplatztheaters, veredelt die Worte.

(Foto: Institut für Zeitgeschichte/Kristina Milz)

Mit Ton: Maren Richter stellt ihre Biografie der Chirurgin Maria Daelen vor

Von Egbert Tholl

Man glaubt ja mit geballten Nichtwissen erst einmal nicht, dass in einer Schriftenreihe mit dem Titel "Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen Innenministerien nach 1945" ein Buch herauskommen könnte, das ein aufregendes Frauenleben ausbreitet, ein lebendiges Bild fast des ganzen 20. Jahrhunderts zeichnet, sensationell und auch noch geschrieben mit lakonischem Witz und hohen, unaufgeregten Scharfsinn. Maren Richter, die Autorin, eine sehr umtriebige Historikerin und Kuratorin, arbeitete am Institut für Zeitgeschichte eben in der Forschungsgruppe zur Geschichte der Innenministerien, als sie auf Maria Daelen stieß. Und musste ihr ein eigenes Buch widmen. Titel: "Aber ich habe mich nicht entmutigen lassen" (Wallstein Verlag).

Der Titel stimmt. Daelen wurde Chirurgin, als dieser Beruf eine reine Männerdomäne war. Sie war eine der aufregenden, unkonventionellen, schönen und selbstbewussten Frauen im Berlin der Zwanziger Jahre, Teil einer künstlerischen Freundinnenclique, sexuell ohne Ressentiment. Sie lernte Wilhelm Furtwängler kennen, war jahrelang dessen Lebensfrau, bis der sie gegen ihre Halbschwester austauschte. Sie nahm den Kampf gegen die Gängelung der Frau im Adenauer-Deutschland mit Verve auf, fing im Gesundheitsministerium an, war international für die WHO tätig, heiratete erst in der Rente, denn ein Ehemann hätte sie damals den Job gekostet, sie wurde 1903 geboren und starb 1993, da war sie eine Malerin geworden, bisschen wie Gabriele Münter vom Stil her.

Das alles und viel mehr erzählt Maren Richter in Ausschnitten aus ihrem Buch, lässt Fotos daraus projizieren. Und wo die Worte nicht mehr reichen, setzt Clemens Weigel sie mit Musik fort. Der Cellist vom Orchester des Gärtnerplatztheaters spielt Solostücke von Ernest Bloch, Viktor Ullmann, Alexander Tscherepin, Gaspar Cassadó und Ligeti, schafft klangliche Assoziationsräume und horcht in der Black Box dem Schmerz, der Sehnsucht und der Willenskraft nach, die Richter mit ihren Worten beschreibt.

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