Mitterteich:Doch nicht nur das Starkbier

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Eine Studie des Robert-Koch-Instituts zeigt, dass es im Landkreis Tirschenreuth früh unerkannte Corona-Infektionen gab. Ein umstrittenes Fest war demzufolge nicht allein schuld am Ausbruch.

Von Maximilian Gerl und Matthias Köpf, Tirschenreuth

Als Tag des Sündenfalls galt schnell der 7. März. Als anderswo schon Veranstaltungen verboten und abgesagt wurden, feierten die Mitterteicher noch ihr Starkbierfest - und kurz darauf galten Mitterteich und der ganze Landkreis Tirschenreuth als Corona-Hotspot schlechthin. Die Infektionszahlen schossen trotz der bundesweit ersten Ausgangssperre in die Höhe, und bei manchen fernen Beobachtern mischte sich die Sorge mit der maliziösen Feststellung, dass diese Bayern irgendwann doch zugrunde gehen würden am Bier und ihrer Feierei. Die Bierfeste haben wohl einiges zur Verbreitung beigetragen, doch das Virus war im Landkreis Tirschenreuth offenbar schon Wochen vorher unterwegs. Das ist das Ergebnis einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI), die am Mittwoch vorgestellt wurde.

Denn trotz der hohen Fallzahlen in der zweiten Märzhälfte wurde "das Gesamtausmaß des Ausbruchs im Landkreis vermutlich deutlich unterschätzt", wie die drei Studienautoren vom RKI in ihren Schlussfolgerungen schreiben. Die Forscher haben einen bislang unbekannten Corona-Fall gefunden, der auf den 17. Februar datiert. Auch in den folgenden Wochen traten demnach bereits einzelne Infektionen auf, ohne als solche erkannt und gemeldet zu werden. Dies spreche dafür, dass das Virus bereits in der Region zirkulierte, bevor die ersten schweren Krankheitsverläufe publik wurden, schreiben die RKI-Forscher. Wenn die Zahl der tatsächlichen Infektionen deutlich über den bisher angenommenen Werten liegt, relativiert sich damit auch die sehr hohe Sterberate von 11,5 Prozent aller Infizierten, da die Zahl der Toten nicht ins Verhältnis zu den tatsächlichen, sondern nur zu den bisher bekannten Infektionen gesetzt wurde. Zudem lasse sich die hohe Fallsterblichkeit im Landkreis auch damit erklären, dass unter den Infizierten besonders viele ältere Menschen gewesen seien. Auch litten die Menschen im Landkreis durchschnittlich etwas häufiger unter einschlägigen Vorerkrankungen als anderswo.

Tirschenreuths Landrat Roland Grillmeier (CSU), der bis zum Amtswechsel am 1. Mai Bürgermeister von Mitterteich war, sieht sich durch den RKI-Bericht in seiner bisherigen Vermutung bestätigt. "Ein Fest alleine" sei für die hohen Fallzahlen nicht verantwortlich gewesen, sagt Grillmeier. "Niemand konnte das Ausmaß dieser Corona-Krise vorhersehen und niemand war auf so etwas vorbereitet. Die Suche nach Schuldigen ist fehl am Platz." Diese Schuldigen hatten die Mitterteicher unter anderem im Ort selbst und da speziell beim Burschenverein als Veranstalter des Fests gesucht. Die Vereinsfunktionäre sahen sich zu Sündenböcken gemacht, obwohl sie alles mit den Behörden abgestimmt hätten.

Tatsächlich ist der Ausbruch laut der RKI-Studie "vermutlich auf ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren zurückführen". So sei das Virus wohl von zurückkehrenden Skiurlaubern mit in den Landkreis gebracht worden - aus Österreich und Italien, wie es heißt, und da speziell aus Tirol und Südtirol, die beispielsweise auch im ebenfalls stark von der Pandemie gebeutelten Landkreis Rosenheim als Ursprünge des Infektionsgeschehens gelten.

Dass das Starkbierfest in Mitterteich und einige ähnliche Veranstaltungen in der Region mit dem Ausbruch der Krankheit überhaupt nichts zu tun gehabt haben, lässt sich aus der RKI-Studie allerdings keineswegs ableiten. Einmal eingeschleppt, habe sich das Virus "unbemerkt auf diversen Bierveranstaltungen im Landkreis Tirschenreuth" verbreiten können, heißt es da. Ausdrücklich genannt ist etwa die Zoiglstube in Mitterteich, wo das in diesem Teil der Oberpfalz traditionelle Zoiglbier ausgeschenkt wurde. Etwa ein Drittel der frühen Infizierten der Region war laut Studie entweder im Skiurlaub, am Starkbierfest oder in der Zoiglstube. Die aktuelle RKI-Untersuchung beruht vor allem auf vorhandenen Daten von Behörden und Laboren. Weitere Erkenntnisse zur Dunkelziffer soll eine laufende Studie mit Antikörpertests liefern.

© SZ vom 16.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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