Flüchtlingspolitik in Italien:Zurück zur Menschlichkeit

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Kurzer Landgang: ein Migrant auf dem Weg zum Quarantäneschiff. (Foto: Giovanni Isolino/AFP)

Italiens Regierung arbeitet daran, die Dekrete des ehemaligen Innenministers Salvini rückgängig zu machen. Das Asylrecht soll erweitert werden, die Strafen für Helfer zurückgefahren. Aufgrund Corona gibt es aber Widerstand in der Bevölkerung.

Von Oliver Meiler, Rom

Mit wachsender Verzweiflung sucht die italienische Regierung ein Fähr- oder Kreuzfahrtschiff für mindestens 250 Passagiere. Die allerdings sollen dann nirgendwohin fahren: Auf dem Schiff würden Migranten untergebracht, die ihre Quarantäne absitzen oder medizinisch betreut werden müssen, weil sie zu den paar Dutzend Zugewanderten gehören, die positiv auf Corona getestet wurden. Wichtig ist deshalb, dass es an Bord genügend Einzelkabinen gibt, damit die verschiedenen Kategorien voneinander getrennt und sicher versorgt werden können.

So ein Quarantäneschiff ist die Moby Zaza, sie liegt vor dem sizilianischen Porto Empedocle, in internationalen Gewässern. Doch der Mietvertrag läuft gerade aus. Wenn nicht schnell Ersatz gefunden wird, müssen sich die Italiener mit der Unterbringung der Flüchtlinge in Kasernen behelfen. Vier Millionen Euro plus Mehrwertsteuer bietet Rom für drei Monate Miete, bis Donnerstag um Mitternacht läuft die Frist. Bewerben können sich Reeder aus Italien und anderen EU-Ländern. Doch niemand drängelt. Im Sommer sind solche Schiffe immer gut gebucht.

Dem italienischen Innenministerium ist die Lösung mit den Quarantäneschiffen lieber als Optionen an Land. Zumal die Zahl der Anlandungen bei ruhiger See gerade wieder wächst, allein am vergangenen Wochenende etwa erreichten ungefähr tausend Flüchtlinge die Insel Lampedusa. Die Sorge der Sizilianer und der Kalabrier, manche Zuwanderer könnten das Virus zu ihnen bringen, schürt da und dort heftige Reaktionen. In Amantea, einem Küstenort Kalabriens, kam es vor einigen Tagen zu einem mittleren Volksaufstand mit Straßenblockaden und Protestchören, als bekannt wurde, dass von 24 eingewanderten Migranten 13 an Covid-19 leiden. Jole Santelli, die Gouverneurin der Region, gab ihren Bürgern recht und warnte die Zentralregierung, man werde die Gefahren nicht einfach hinnehmen. Nun wurden die Zuwanderer mit Corona in ein römisches Militärkrankenhaus verlegt.

Von den Zahlen aus früheren Jahren ist man weit entfernt, niemand spricht von einer Notlage

Die Kombination aus Corona und Migration, mitten im kompliziertesten Sommer für den italienischen Tourismus, hat ein Thema wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, das zuletzt fast ganz daraus verschwunden war. Der Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer hat zwar wieder etwas zugenommen: Jüngsten Zahlen aus dem Innenministerium zufolge erreichten im laufenden Jahr bisher 9372 Migranten Italien, dreimal so viele wie in derselben Zeitspanne 2019. Etwa ein Drittel davon sind Tunesier, ein Fünftel kam aus Bangladesch. Neuerdings wird die Route Tunesien-Süditalien wieder aktiver frequentiert, offenbar bringen auch libysche Schlepperbanden die Migranten ins Nachbarland, damit sie von dort übersetzen - meist an Bord kleinerer Boote. Der Weg ist kürzer. Dennoch: Von den Zahlen aus früheren Jahren, als 150 000 bis 200 000 übersetzten, ist man weit entfernt; niemand in Italien spricht von einer Notlage.

Die Regierung aus Cinque Stelle, Sozialdemokraten, Matteo Renzis Italia Viva und der Linken ist nun dabei, die harten Immigrationsdekrete des Vorgängerkabinetts zu ändern: Man nennt sie auch "Decreti Salvini", weil sie auf Initiative des damaligen Innenministers und Chefs der rechten Lega, Matteo Salvini, entstanden waren. Seine Kritiker warfen Salvini damals vor, er kriminalisiere die Seenotrettung mit den hohen Geldstrafen bis zu einer Million Euro für Hilfsorganisationen.

Nun liegt ein Reformentwurf von Innenministerin Luciana Lamorgese vor, Salvinis Nachfolgerin, mit dem offenbar auch die Fünf Sterne leben können - die zuvor mit der Lega regiert und Salvinis Dekrete mitgetragen hatten. Die hohen Strafen, die bisher wie Verkehrsbußgelder automatisch verhängt wurden, vom Präfekten, sollen nun vor Gericht verhandelt werden. Wenn Helfer Menschen aus Seenot retten und die Koordinationsstelle in Rom anrufen, machen sie sich nie straffällig. Handeln sie auf eigene Faust, soll der Schifffahrtskodex angewandt werden. Wie hoch die neuen Strafen dann sein werden, ist noch unklar. Die Cinque Stelle pochen auf 10 000 bis 50 000 Euro; die Sozialdemokraten verweisen auf den bestehenden Kodex: 516 Euro.

Neu soll auch die Liste mit Gründen und Kriterien wieder ausgebaut werden, die Zuwanderern das Recht auf ein Asylgesuch geben. Mit Salvinis Dekreten waren sie auf ein Minimum reduziert worden. Künftig sollen etwa Menschen geschützt werden, denen bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland "unmenschliche und herabwürdigende Behandlung" droht. Eine komplette Kehrtwende soll bei der Aufnahme der Migranten vollführt werden. Rom will nämlich die alten Sprar wiederbeleben, die Salvini abgeschafft hatte: Die Abkürzung steht für "Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati", Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge. Wieder eingeführt werden auch die Maßnahmen für eine bessere Eingliederung der Immigranten, dazu gehören Sprachkurse. Die Asylsuchenden sollen sich auch wieder wie früher im Einwohneramt melden und erhalten eine Art Identitätskarte. Damit sie nicht ganz papierlos unterwegs sind.

© SZ vom 16.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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