Neonazi-Opfer:Die drei Leben des Noël Martin

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(Foto: Kai Horstmann/imago)

Am 16. Juni 1996 endete das erste Leben des gebürtigen Jamaikaners - auf der Flucht vor deutschen Neonazis prallte sein Auto gegen einen Baum. Seitdem setzte sich der querschnittsgelähmte Martin gegen Fremdenfeindlichkeit ein. Nun ist er gestorben.

Nachruf von Jan Heidtmann

Im Prinzip hat Noël Martin drei Leben gelebt. Sie alle endeten am Dienstag in Birmingham, wo der Brite nun im Alter von 60 Jahren verstarb. Seit fast 25 Jahren war er vom Kopf an abwärts gelähmt, ohne die Hilfe seiner Pflegerinnen hätte er nicht so lange überleben können. Bereits in der vergangenen Woche musste er wegen heftiger Schmerzen ins Krankenhaus eingeliefert werden.

"Durch seinen unerschütterlichen Willen und seine klare Haltung, sich für ein gewaltfreies Miteinander einzusetzen, ist er für viele zum Vorbild geworden", würdigte ihn Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) in Potsdam. "Wir können nicht ungeschehen machen, was Noël Martin in unserem Bundesland passiert ist. Aber sein Schicksal ist uns Verpflichtung, diesen Kampf in seinem Sinne fortzusetzen."

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Sein erstes Leben endete am 16. Juni 1996, an einem Baum in Mahlow. Martin arbeitete zu der Zeit in Brandenburg als Bauarbeiter, zusammen mit zwei Kollegen wurde der gebürtige Jamaikaner vor dem dortigen Bahnhof von zwei jungen Männern angepöbelt. Als Martin und seine beiden Kollegen im Auto fliehen wollten, verfolgten sie die beiden Deutschen in einem gestohlenen Fahrzeug. Durch einen gezielten Steinwurf verlor Martin dabei die Kontrolle über seinen Wagen und prallte gegen einen Baum.

Rückkehr nach Mahlow

Während seine Kollegen nicht schwer verletzt wurden, brach sich Martin zwei Halswirbel und saß seitdem im Rollstuhl. "An diesem Baum endete mein erstes Leben", sagte Martin später. Die beiden Täter, ein 17- und ein 24-jähriger Mann, wurden zu Haftstrafen von fünf und acht Jahren verurteilt. Martin begann sein zweites Leben und gründete die Noël-und-Jacqueline-Martin-Stiftung, die den Austausch von Jugendlichen zwischen Birmingham und Mahlow fördern und so Vorurteile abbauen sollte.

Trotz seiner Erlebnisse und seiner Behinderung kehrte Martin im Sommer 2001 nach Mahlow zurück, um eine Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit anzuführen. Fast 2000 Menschen nahmen teil.

Sein drittes Leben war eigentlich die Fortsetzung seines zweiten Lebens. Denn wegen seiner Behinderung und seiner Hilflosigkeit hatte Martin beschlossen, sich im Sommer 2007, an seinem 48. Geburtstag, umzubringen. Doch er wollte die Arbeit seiner Stiftung nicht gefährden und machte weiter.

"Er wird uns fehlen, als Vorbild, als Mensch", sagte Michael Ferguson, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Stiftung, zum Tod des Kämpfers Martin.

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