Urteil gegen "Welt"-Reporter:Yücel konnte keinen Freispruch mehr erwarten

Ein Gericht in Istanbul hat den "Welt"-Journalisten Deniz Yücel in Abwesenheit zu mehr als zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. (Foto: dpa)

Das Urteil zeigt, in welchem Zustand sich die Erdoğan-Türkei befindet. Deniz Yücel ist zum Glück in Deutschland in Sicherheit. Fürchten müssen sich all jene Namenlosen, die seit Beginn der Säuberungen in der Türkei im Gefängnis sitzen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Für das Urteil im Fall Deniz Yücel gilt die Binse: Aus dem Falschen kann nichts Richtiges mehr erwachsen. Nachdem der deutsche Journalist in den Strudel der Säuberungen nach dem gescheiterten Putschversuch eingesogen worden war, nachdem seine Inhaftierung zu einer schweren Krise zwischen der Türkei und der Bundesrepublik geführt hatte, nachdem das Exempel statuiert und abgeheftet worden war - nach alldem konnte Yücel keinen Freispruch mehr erwarten.

Die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei hat ihre Grenzen. Dieser Fall war nicht dazu angetan, die Beweglichkeit der türkischen Justiz zu testen. Yücel ist in Sicherheit und muss die Haft nicht fürchten.

Fürchten müssen sich all jene Namenlosen, die seit dem Beginn der Säuberung in Gefängnissen sitzen, deren Schicksale keine öffentliche Beachtung finden, die möglicherweise nicht einmal einen Rechtsbeistand an ihrer Seite wissen. Fast schon muss man Yücel dankbar sein, dass sein Schicksal das Augenmerk der nicht unwichtigen deutschen Öffentlichkeit auf das schreiende Unrecht und den Niedergang des Rechtsstaats in der Türkei gelenkt hat.

So belegt das Urteil nach zweijährigem Verfahren, in welchem Zustand sich die Erdoğan-Türkei heute mehr denn je befindet. Über ihr Schicksal wird nicht vor Gericht entschieden.

© SZ vom 17.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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"Welt"-Journalist
:Deniz Yücel zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt

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