Rechter Terror:Die Wut der Frauen

Idil Baydar

"Ich habe Angst vor der Polizei", sagt die Kabarettistin Idil Baydar.

(Foto: dpa)

Rechtsextremisten erhalten persönliche Daten aus Computern der Polizei und bedrohen politisch aktive Frauen. Diese bekommen von staatlicher Seite aber nicht denselben Rückhalt wie Polizisten. Die Wut der Frauen wird stattdessen bespöttelt.

Kommentar von Dunja Ramadan

Noch vor wenigen Wochen saß die Kabarettistin İdil Baydar in der Talkshow Maybrit Illner und sagte einen Satz, der damals dramatisch war und heute verständlich klingt. "Ich habe Angst vor der Polizei." Baydar, die seit Monaten Morddrohungen erhält, wusste damals noch nicht, wie berechtigt diese Angst war. Während der Sendung war sie wütend, laut, frustriert. Die Fälle des NSU hätten sie "emotional fix und fertig gemacht". Und dann Halle und Hanau - rassistische Mordanschläge auf eine Synagoge und zwei Shisha-Bars. Der Kabarettistin gegenüber saßen der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach und der Grünen-Politiker Cem Özdemir. Die Männer reagierten auf Baydars Wut die meiste Zeit beschwichtigend, kühl, sachlich.

Die ZDF-Talkshow zum Thema "Feindbild Polizei - Hass, Gewalt und Machtmissbrauch?" ist ein Paradebeispiel geschlechtsspezifischer Kommunikation. Sie zeigt, wie Männer oft auf weibliche Wut reagieren. Sie reden klein, winken ab, schmunzeln, wenn sich Frau in Rage redet. Studien aus den USA zeigen: Werden Frauen wütend, wird das gern auf ihre Persönlichkeit geschoben - bei Männern dagegen eher mit äußeren Umständen gerechtfertigt. Im Falle wütender Migrantinnen wird noch eine vermeintlich kulturelle Prägung hineingelesen: unbändiges Temperament, milieuspezifische Sprache, ausfallende Gestik. Dahinter versteckt sich auch eine in der Gesamtgesellschaft fest verankerte Rollenerwartung an die Frau. Sie kann verängstigt und hilflos sein, aber nicht wütend oder gar zornig. Diese Form der Misogynie findet sich sowohl in Teilen der Mehrheitsgesellschaft als auch im rechten Spektrum wieder.

Nun sind die äußeren Umstände geklärt, und siehe da: Auch hier rechtfertigen sie die Wut. Baydars persönliche Daten wurden - wie im Fall der Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız und der hessischen Linken-Fraktionsvorsitzenden Janine Wissler - von einem Dienstcomputer der Polizei abgerufen. In den mit NSU 2.0 unterzeichneten Hassnachrichten werden die drei Frauen sexistisch beschimpft und mit dem Tod bedroht. Die Folgen: Hessens Polizeipräsident Udo Münch ist zurückgetreten und Innenminister Peter Beuth (CDU) hat einen Sonderermittler eingesetzt. Doch das reicht nicht. Es ist Zeit für Selbstreflexion. Das hier zu Tage tretende dienstliche Versagen beinhaltet das Wegschauen und den blinden Korpsgeist. Da darf es nicht bei disziplinarrechtlichen Sanktionen bleiben. Das Schwert des Strafrechts wird gebraucht.

Ein derart eklatanter Datenmissbrauch erschüttert das Vertrauen in den Rechtsstaat. Er lässt scheinbare Gewissheiten wanken. Polizeiliches Versagen tritt inzwischen in einer Häufigkeit auf, die bisher unvorstellbare Fragen aufwirft: Wer dient wem? Und wer schützt hier wen? Das Gewaltmonopol liegt aus guten Gründen beim Staat. Aber das bedeutet zugleich, dass dieser Staat auch kritischen, wütenden Frauen den nötigen Schutz gewährleisten muss.

Stattdessen zeigten die vergangenen Wochen reflexhafte Selbstschutzmechanismen der Polizei- und Sicherheitsbehörden. Das Berliner Antidiskriminierungsgesetz löste bei vielen Innenministern und Polizeigewerkschaftern heftige Kritik aus. Dabei soll es nur die Beweislast erleichtern für Menschen, die wegen ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Herkunft oder sexuellen Orientierung diskriminiert werden.

Nach der Krawallnacht in Stuttgart, die nicht zu entschuldigen ist, bestimmte das Thema "Feindbild Polizei" vollends die Schlagzeilen. Eine polizeikritische taz-Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah rief sofort den Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) als Beschützer auf den Plan. Seehofer kündigte medienwirksam eine Strafanzeige gegen Yaghoobifarah an - bis er von der Kanzlerin zurückgepfiffen wurde. Yaghoobifarah erhielt ernstzunehmende Drohungen.

Rechte Ideologen eint ein Feindbild: die selbstbestimmte Frau

Die Sensibilität Seehofers und vieler anderer, wenn es um den Schutz der Polizei geht, steht in direktem Kontrast zu deren Reaktion auf Gewaltdrohungen gegen Frauen unter mutmaßlicher Beteiligung von Sicherheitskräften. Das Feindbild Frau wird nicht ansatzweise so ernst genommen wie das Feindbild Polizei. Frauen bekommen von staatlicher Seite nicht denselben Rückhalt, den Polizisten erhalten. Dabei trägt die Polizei ein Berufsrisiko, das eine Kabarettistin, Politikerin oder Anwältin im demokratischen Rechtsstaat nicht tragen muss.

Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse ist Skepsis gegenüber der Polizei in den Augen der Betroffenen berechtigt. Der eingreifende Staat mit seinem Sicherheitsapparat hat den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber eine Rechtfertigungspflicht, die er unzureichend erfüllt. In den Behörden löst die Forderung nach Transparenz und Kontrolle häufig Entrüstung aus.

Lang genug waren Opfer rechter Gewalt, etwa die Familien der NSU-Mordopfer, in Erklärungsnot gegenüber Behörden. Statt ständig reflexhaft die Polizei in Schutz zu nehmen, müsste die Politik vehement für den Schutz der Frauen eintreten, die in der Öffentlichkeit stehen. Denn rechte Ideologen eint weltweit ein Feindbild: die selbstbestimmte Frau.

Wenn exponierte Frauen wie Baydar, Başay-Yıldız oder Wissler mit Unterstützung aus den Polizeibehörden heraus Morddrohungen erhalten, wenn sie schlimmste Vergewaltigungsfantasien ertragen müssen, wenn ihren Familien aus Behördenkreisen Gefahr droht, die doch für die Sicherheit der Menschen zuständig sind - wird das demokratische Gemeinwesen unterminiert. Denn wenn Frauen zu ihrem Selbstschutz aufhören müssen, sich gegen rechts zu engagieren, werden sie aus der Öffentlichkeit verdrängt. Dann bringen auch die besten Paritätsgesetze nichts. Weibliche Wut sollte daher anstecken, nicht abschrecken.

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