BR-Symphoniker:Das Leiden muss ans Licht

Konzert des BRSO unter der Leitung on Sir Simon Rattle mit Magdalena Kozena.

Simon Rattle mit Magdalena Kožená und den Symphonikern des Bayerischen Rundfunks in mittelgroßer Besetzung.

(Foto: Astrid Ackermann)

Klassik trotz Corona, aber mit Abstand: Die BR-Symphoniker spielen unter Gastdirigent Simon Rattle vor nur 100 Zuschauern im riesigen Saal Mozart, Mahler, Ravel.

Von Helmut Mauró

Nur hundert Hörer im riesigen Saal des Gasteigs in München - noch grassiert Corona, das Fieber, und auch die dazugehörigen Diskussionen sind von leicht erhöhter Temperatur. Die in mittelgroßer Orchesterbesetzung angetretenen BR-Symphoniker versuchten von all dem abzulenken, preschten vor mit Mozarts feuriger Ouvertüre zu seiner Oper "Le nozze di Figaro".

Für die BR-Musiker ist das ein Fest, aber Gastdirigent Simon Rattle wusste sie immer wieder zu lyrischer Geschmeidigkeit zu zähmen, nicht abzudämpfen und auszubremsen, sondern elegant in eine andere Erzählweise, eine andere, leisere, konzentriertere Sphäre zu geleiten, die diesem Orchester in den letzten Jahren ein wenig abhanden gekommen ist. Auf den noch zu findenden neuen Chefdirigenten wird viel Arbeit warten.

Was Rattle aus dem Moment zauberte, ließ ahnen und hoffen, auch wenn die beinahe didaktische Profilierung der klassischen Dialektik von strenger Dramatik und melodiöser Introvertiertheit beinahe schon wieder altmodisch wirkte - Mozarts Schauspielmusik wurde das Konzept mehr als gerecht.

Solch ein wie schlicht auch immer gestricktes Erzählkonzept schien Gustav Mahlers Rückert-Lieder weitgehend zu fehlen. Magdalena Kožená, die seit sechzehn Jahren in zweiter Ehe mit Simon Rattle verheiratet ist, ließ zunächst kaum jene Intimität erkennen, die man in diesen Liedern riskieren muss. Mahlers Vertonungen sind so ziemlich das Gegenteil von objektiv oder gar neutral, da reicht keine spröde Soprankunst und allgemeinverträgliche Leidenschaft, da muss gelitten werden, da muss das Leiden ans Licht.

Ravels hitziges Flimmern und Flirren wird ein schüttern knöchriges Zittern

Dieses ist aber so komplex emotional verästelt, dass man Grobheit und Schärfe eher außen vor lassen sollte. Kožená neigte zu beidem, in mittlerer Forte-Höhe ist sie am stärksten, einem vollen Bläsersatz hat sie in tieferer Lage nichts entgegen zu setzen, da erstirbt ihr Gesang im Unhörbaren. Eigentlich gelang ihr erst im letzten Lied "Ich bin der Welt abhanden gekommen" jene Zauberberg-Atmosphäre des reizvoll Kränkelnd-Morbiden, des natürlichen Entschwindens, die ein bisschen auch im Saal zu spüren war. Schon die erste Zeile klang so wunderbar erstaunt über sich selbst, stimmlich kraftvoller und deutlicher als zuvor, in der Tiefe noch immer schwächelnd nebulös. Die musikalische Erlösung lieferte ein zart schwebender Streichersatz, in den die Oboe allerdings etwas zu laut hineinfährt und so die Tür dieser Fin-de-Siecle-Nervosität krachend zuschlägt.

Nach einer strammen Bläserfanfare aus Paul Dukas' Ballettmusik "La Péri", ganz nach gusto der BR-Musiker, ein vielleicht sogar erwartbar enttäuschender Ravel. Laut und krachend geht immer mit diesem hochgradig präzisen Orchester, aber inspiriert, subtil dramatisiert, farblich differenziert - das gelingt oft nicht.

Weshalb sich dann eine edle Starre, eine sehr gepflegte Langeweile einstellt. Ravels hitziges Flimmern und Flirren - hier wird's ein schüttern knöchriges Zittern, ein ästhetischer Trümmerhaufen. Und alles sehr stur vorgebracht und korrekt serviert. Es nimmt einem jede Neugier auf das Kommende. Wie schade gerade bei Ravel, der den Hörer in immer neue Klangnischen lockt.

Die exotistische Instrumentation ist bestenfalls irgendwie interessant um ihrer selbst willen, also ganz und gar unspannend. Und erst am Ende des vorletzten Satzes tun sich neue Welten auf, da schaffen es die Musiker doch noch, dynamische Wechsel in Farb- und Lichtüberraschungen umzusetzen, ein schwebend schimmernder Klanghorizont taucht auf und bringt das weit über Bühne und Balkon verstreute Ensemble ein bisschen aus seinen festen Fugen.

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