Bulgarien:Villa am Schwarzmeer-Strand

Bulgarien: Die lange Amtszeit von Boiko Borissow endete 2021 nach seinem Rücktritt. Jetzt wurde er festgenommen.

Die lange Amtszeit von Boiko Borissow endete 2021 nach seinem Rücktritt. Jetzt wurde er festgenommen.

(Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Das Parlament spricht Premier Borissow das Vertrauen aus - die Proteste gegen Korruption und Filz aber gehen unvermindert weiter.

Von Tobias Zick

Die Devise in Bulgarien lautet jetzt: "ziviler Ungehorsam". Nachdem sich am Dienstagmorgen wie erwartet gezeigt hatte, dass die Regierung mit parlamentarischen Mitteln nicht ernsthaft zu erschüttern ist, zogen einige Protestierende zum Flughafen, um ihren Premier Boiko Borissow abzufangen, der auf dem Rückweg vom EU-Sondergipfel in Brüssel war. Dort würden sie ihn, so der erklärte Plan, "bis zum Rücktritt" blockieren. Allerdings kamen sie zu spät; Medienberichten zufolge war Borissow, als die Demonstranten das Terminal erreichten, bereits eine Dreiviertelstunde zuvor gelandet.

Es ist die jüngste Episode einer Protestwelle, wie sie das EU-Mitgliedsland auf dem östlichen Balkan seit 2014 nicht gesehen hat. Damals brachten die Massendemonstrationen eine Mitte-Links-Regierung zu Fall, Auslöser waren Korruptionsvorwürfe und der Plan der Regierenden, einen Oligarchen zum Chef des Nachrichtendienstes zu machen.

Die Wut der Demonstranten auf den "Mafiastaat" wird eine Kabinettsänderung kaum lindern

Der Sieger der damals folgenden Wahl, der selbsterklärte Korruptionsbekämpfer Boiko Borissow, der mit mehrjähriger Unterbrechung bis heute das Land regiert, steht nun selbst im Fokus von Korruptionsvorwürfen und Rücktrittsforderungen. Die oppositionellen Sozialisten hatten vergangene Woche einen Misstrauensantrag gegen die Regierung ins Parlament eingebracht - der am Dienstagmorgen wie erwartet an der Regierungsmehrheit klar scheiterte. Vizepremier Tomislaw Dontschew gab sich erleichtert; eine vorgezogene Wahl hätte "kein Motiv, keinen Sinn und Nutzen" gehabt, erklärte er. Wie es zuvor schon Borissow getan hatte, verwies er auf die Herausforderungen der Corona-Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen. Um all das ungestört zu bewältigen, brauche es schließlich eine stabile Regierung. Zugleich kündigte Dontschew allerdings an, es werde "mit Sicherheit" Veränderungen in der Zusammensetzung des Kabinetts geben.

Doch die Demonstranten, die sich seit nunmehr fast zwei Wochen regelmäßig in Sofia und anderen großen Städten des Landes versammelten, dürften sich mit Personalrochaden in der Regierung kaum besänftigen lassen; ihnen geht es um Grundsätzliches: die Wut auf den, wie manche ihn nennen, "Mafiastaat"; um den offenkundigen Filz von Justiz, Staatsapparat und Geschäftsleuten. Auslöser der Proteste vorletzte Woche war eine Aktion eines ehemaligen Justizministers, die öffentlichkeitswirksam zeigte, dass ein einflussreicher Politiker und Geschäftsmann seine Villa auf öffentlichem Grund an einem Strand an der Schwarzmeerküste offenbar unrechtmäßig errichtet hat und dort sehr umfassenden Schutz von staatlichen Sicherheitskräften genießt. Nachdem sich Staatspräsident Rumen Radev, der den oppositionellen Sozialisten nahesteht und seit langem im Clinch mit dem Premier liegt, auf die Seite der Demonstranten stellte, durchsuchte die Staatsanwaltschaft seine Büros und ließ zwei seiner engen Mitarbeiter verhaften.

Die Rücktrittsforderungen richten sich seither auch gegen Generalstaatswalt Iwan Geschew, der die Razzia beim Präsidenten zu verantworten hat. Geschew weist die Vorwürfe zurück, Justiz und Sicherheitskräfte seien politischer Einflussnahme unterworfen.

Die US-Botschaft in Sofia hat sich hinter die Forderungen der Demonstranten gestellt: "Jede Nation verdient ein Justizsystem, das unparteiisch und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet ist", heißt es in einer Stellungnahme.

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