US-Geschichte:Ulysses S. Grant: Der Befreier

May 30 2019 USA General Ulysses S Grant Full Length Portrait with other Soldiers and Horses at

Ulysses S. Grant war der 18. US-Präsident - hier eine Darstellung vor dem Kapitol in Washington.

(Foto: imago images / ZUMA Press)

Als Soldat kämpfte Ulysses S. Grant im Amerikanischen Bürgerkrieg für das Ende der Sklaverei. Dass nun auch sein Denkmal gestürzt worden ist, zeugt von großem Unwissen. Porträt eines großen Generals und Präsidenten, der vor 135 Jahren starb.

Von Joachim Käppner

Jetzt also Ulysses S. Grant. Linke Aktivisten haben in San Francisco seine Statue umgeworfen. Sie haben unter dem Banner der "Black Lives Matter"-Bewegung das Denkmal eines Mannes geschändet, der mehr zum Sieg über die Sklavenhalter im Amerikanischen Bürgerkrieg 1865 beigetragen hat als jeder andere Mensch, mit Ausnahme des Präsidenten Abraham Lincoln.

Sie haben die Statue eines Mannes in den Staub gekippt, bei dessen Tod 1885 die schwarzen Gemeinden überall im Süden der USA Trauergottesdienste für einen verlorenen Freund abhielten. Sie wussten, wen sie verloren hatten: den Verbündeten, der als General ihre Freiheit und als Präsident ihre Bürgerrechte erkämpft hatte und die rassistischen Terroristen des Ku-Klux-Klan verfolgen und hängen ließ.

Wenn die Sklaverei und der Rassismus die Erbsünde, die Schattenseite der amerikanischen Demokratie sind, dann war Ulysses S. Grant eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der anderen, der besseren Seite, einer, der ihre Werte mit gewaltigem Erfolg verteidigte.

Der afroamerikanische Politiker und Schriftsteller Frederick Douglass würdigte Grant mit den Worten: "Es ist nur gerecht zu sagen: Lincoln hat die Freiheit (der schwarzen Amerikaner) mit dem Federhalter erklärt, Grant hat sie mit dem Schwert erzwungen." Es lag da in San Francisco die Statue des falschen Mannes im Staub.

Es ist eine triste, für diese Aktivistengruppe beschämende Pointe, dass sie dasselbe versucht haben wie vor ihnen die Rechten und Rassisten in den USA: den Ruf, den Namen, das Lebenswerk Grants zu beschmutzen und zu entwerten.

Zu seinen Lebzeiten gelang das kaum, aber schon bald nach seinem Tod zogen ihn die Feinde systematisch durch den Dreck: bei ihnen rangierte er als Säufer, als Schlächter, als Tyrann und vieles mehr an Fake News, was sehr stark an die Fox-News-Propaganda der amerikanischen Rechten heute erinnert.

Der schwarze Autor Frederick Douglass nannte ihn "unseren wachsamen Beschützer"

Grant stieg auch wegen dieses beschädigten Nachrufs niemals in den Olymp mythischer Gründerväter der großen amerikanischen Demokratie auf, zu George Washington, Benjamin Franklin, Thomas Jefferson und eben Abraham Lincoln. Es mag in Washington D. C. eine kolossale Gedenkstätte an Grant erinnern. Doch zumindest seine Präsidentschaft 1869 bis 1877 verkam in der kollektiven Erinnerung zu einem "unfairen Cartoon", so der Historiker Ron Chernow 2017, er galt in gewissen Kreisen als ein Mann, der unfit for president gewesen sei.

Das sagt man heute in Bezug auf den gegenwärtigen Amtsinhaber. Das Aufkommen der Tea-Party-Bewegung, die eifernde Ideologisierung der Republikanischen Partei, der Aufstieg Donald Trumps und sein Einzug ins Weiße Haus im Januar 2017: All das hatte ja zuletzt eine Neubesinnung auf Grant und sein Vermächtnis ausgelöst.

Große Biografien erschienen (Ronald C. White: "American Ulysses"; Ron Chernow: "Grant"), und das Interesse an seiner Person stieg in dem Maße, in dem der aktuell regierende Präsident seine Unfähigkeit offenbarte. Erstmals in jüngerer Zeit geriet dabei wirklich in den Fokus, wie ernst es Grant mit der Gleichberechtigung der Schwarzen war und warum ihn Douglass "unseren wachsamen Beschützer" genannt hatte.

Der schwarze Bürgerrechtler wusste, wovon er sprach. Er war um 1818 in Maryland als Sklave geboren worden und wurde nach der Geburt von der Mutter getrennt, wie ein Objekt, über das man verfügen durfte.

Ron Chernow, der Grants Verhältnis zur schwarzen Community in seiner 1000-seitigen Biografie ausführlich beleuchtet, rühmt ihn als jenen weißen General und Politiker, der half, "vier Millionen Sklaven zu befreien, zu ernähren, ihnen Jobs, Häuser und während des Bürgerkrieges Waffen zu geben und der sie während seiner Präsidentschaft beschirmte und ihnen das amerikanische Bürgerrecht gab". Unter den Umständen der Zeit war vieles davon weit entfernt, perfekt zu sein, aber, so Chernow, "sein nobler Wunsch, diese Menschen zu schützen, wankte niemals."

Und dies war keine einseitige Beziehung: Sobald Schwarze nach dem Bürgerkrieg wählen durften, war Grant ihr Mann, auch mit ihren Stimmen gelangte er zwei Mal ins Weiße Haus. Allein den vielen Weißen des Südens tief verhassten Mann zu wählen war ein Akt der Befreiung.

So ist Grants Andenken nun ein zweites Mal Opfer von Gegnern geworden, die von der Geschichte und speziell der seinen wenig wissen und sie politisch zur selektiven Erinnerung verkürzen und missbrauchen. Bei radikalen Kritikern heute geht es darum, dass Grants Familie, allerdings in Gestalt des Südstaaten-Schwiegervaters, Sklaven besessen hatte. Das also ist Grants Schuld vor der Geschichte - die falsche Frau gewählt zu haben, Julia Dent, eine Liebesheirat?

Es war Grant nicht die Wiege gelegt, einmal das Schicksal der Vereinigten Staaten zu bestimmen: Er wurde 1822 geboren und wuchs mit fünf Geschwistern im elterlichen Holzhaus in Point Pleasant, Ohio, auf; das winzige Gebäude ist noch erhalten. Sein Vater war ein Abolitionist, ein entschiedener Gegner der Sklaverei, die er für eine Sünde gegen Gottes Wort hielt, und verdiente sein Geld als Gerber und Sattler.

In Scheunen voll übel riechendem Gebräu Felle abzuziehen erschien dem jungen Grant, der gerne ritt und Bücher las, als wenig erstrebenswert. Er ging an die Militärakademie Westpoint und schloss 1843 als 21. von 39 Kadetten ab, nur gutes Mittelmaß. Und solches Mittelmaß blieb alles, was in Grants Leben bis 1861 folgte, mit Ausnahme der glücklichen Verbindung zu Julia Boggs Dent, der Schwester eines Kameraden aus der Militärakademie.

Sie war eine der Töchter von Colonel Frederick Dent, der bei St. Louis im Süden eine große Farm besaß, White Haven; ein herrischer Mann, reaktionär und entschlossener Vertreter der Sklaverei. Grant, in St. Louis stationiert, kam 1843 erstmals zu Besuch.

Der Colonel, bei dem er nun zu Gast war, ließ den Hof von Sklaven bewirtschaften. 13, später sogar 30 schwarze Männer und Frauen schufteten auf der Plantage, die ihren Wohlstand der Ausbeutung dieser Menschen verdankte.

Von dem jungen Offizier, den die Tochter, wie der Vater die Sache sah, aus juveniler Torheit anhimmelte, hielt der alte Dent nicht viel. Ihre Cousine Louisa Boggs schrieb später: "Colonel Dent verabscheute ihn ganz offen. In der Familie hieß es immer nur ,die arme Julia', wenn sie von (der späteren) Mrs Grant sprach." Als der Colonel die Sklaverei als Ausdruck göttlicher Ordnung pries, schwieg Grant höflich; er fürchtete, dass Julias Vater der Tochter die Ehe nicht gestatten würde.

So ging der politische Riss, der die USA spaltete, mitten durch die Familien. Grants Eltern verachteten Dent so sehr, dass sie 1848 nicht einmal zur Hochzeit kamen; die Südstaatler erwiderten die Abneigung von Herzen. Glücklicherweise entzog sich das Brautpaar dem familiären Kreuzfeuer, indem es einen eigenen Haushalt gründete.

Sehr viele Jahre und einen Krieg später blickte Julia Grant auf White Haven, den "weißen Hafen", im Licht kindlicher Verklärung zurück, die an die weichgezeichnete Sklavenhaltergesellschaft in "Vom Winde verweht" erinnert: "Es war immer ein lieber schwarzer Onkel da, der mir junge Hasen oder Eichhörnchen als Haustiere brachte."

Sie spielte als Mädchen mit den schwarzen Kindern ohne Bewusstsein für deren Lage und behauptete, die Sklaven dort seien "sehr glücklich gewesen". Als spätere Erbin war die junge Julia Dent potenzielle Sklavenbesitzerin, wozu es aber nicht mehr kam. Ulysses Grant hingegen, der seine weltanschauliche Zurückhaltung nach der Hochzeit fallen ließ, hielt ihren Angehörigen vor: "Ich habe nie verstanden, warum in einer schwarzen Haut ein weniger ehrliches Herz schlagen sollte als in einer weißen Haut."

Für Arbeiten heuerte er absichtlich freie Schwarze an und bezahlte sie ordentlich, was ihm die Sklavenhalterfamilie speziell übel nahm. Julia Dent war es zwar ein Anliegen, die versklavten Menschen auf der elterlichen Plantage gut behandeln, aber sie brauchte eine ganze Weile, um sich von ihrer Herkunft zu lösen. Freilich öffnete sie später das Weiße Haus in Washington für Schwarze und trat weißen Rassenideologen entschieden entgegen.

Ihr junger Haushalt aber wurde noch lange von vier jungen Sklaven geführt, die ihrem Vater "gehörten", wie man damals in der unmenschlichen Sprache der Südstaaten sagte. Es sind solche Dinge, welche die Radikalen in San Francisco nun dazu brachten, ihren Ehemann, der für all das nichts konnte, auf die Liste der gefallenen Helden zu setzen, die man mit Denkmalsturz bestrafen muss.

Die andere Seite ist, dass Julias Liebe und Partnerschaft das Fundament war, aus dem Grant seine enorme Kraft ziehen würde. Sie war eine starke, eigenständige Person und unterstützte ihn im Krieg gegen den Süden in seinem Idealismus und seinen politischen Überzeugungen.

Grant kämpfte tapfer im Mexikanischen Krieg (1846 - 1848) und stieg zum Hauptmann auf. Aber der folgende Dienst auf entlegenen Außenposten in Oregon und Kalifornien zermürbte seine Moral. Er begann, stärker zu trinken. Alkohol blieb seine Nemesis, ein Dämon, den er freilich in entscheidenden Phasen seines Lebens zu bannen verstand. Er verließ das Militär, Versuche als Farmer und Unternehmer blieben jedoch erfolglos. 1860 saß er wieder dort, von wo er einst geflohen war, als Mitarbeiter in der Lederhandlung seines Vaters, zurück bei Gestank und Gebräu.

Dann brach der Bürgerkrieg aus.

1861 verließen die meisten Sklavenhalterstaaten die Union und riefen eine eigene Republik der Konföderierten aus. Abraham Lincoln, der neue US-Präsident, und seine Administration waren entschlossen, die Sezession nicht zu dulden. Sie, weniger die Sklavenfrage selbst, war für viele im Norden der Hauptgrund, die Usurpation mit Gewalt zu beenden.

Mary Robinson, eine schwarze Sklavin in White Haven, berichtete später über eine erbitterte, nächtliche Debatte zwischen dem Colonel und Grant: "Dent war gegen Lincoln und bedrängte Grant, nicht auf Seiten der Unionsarmee zu kämpfen." Grant sah darin Verrat (und später eine Art von Gerechtigkeit darin, dass die meisten von Dents Sklaven schon im ersten Kriegsjahr flüchteten).

Der Colonel wiederum tobte so sehr, wie Louisa Boggs berichtete, "dass er einen heiligen Eid schwor, seinen wertlosen Schwiegersohn wie ein Kaninchen zu erschießen, sollte er es jemals wagen, den Fuß wieder auf sein Land zu setzen".

In der Stunde seines größten Triumphes blieb er ganz gelassen und höflich

Der wertlose Schwiegersohn stieg nun rasch auf in der Unionsarmee. Uneitel, weder an Posten noch an politischen Machtspielen interessiert, besaß er etwas, was den meisten Generälen des Nordens fehlte: einen natürlichen militärischen Verstand. Grant war "das alle überragende militärische Genie des Bürgerkrieges", wie der Militärhistoriker John Keegan schrieb.

Es war vor allem Grants Strategie, den Krieg nicht nur auf den mörderischen Schlachtfeldern des amerikanischen Ostens zu führen, wo 1861/62 eine Art Patt entstand, das dem Süden genügte. Die Konföderierten mussten nur weite Teile ihres riesigen Gebiets verteidigen, um die Sezession zu bewahren.

Grant aber trieb den Krieg im Westen entlang des Mississippi tief in ihr Territorium, der General eroberte in wagemutigen Feldzügen die Festungen am großen Fluss und 1863 auch die Schlüsselstellung Vicksburg. Bald war der Süden in zwei Hälften gespalten, die den Armeen der Union offenstanden. Spätestens jetzt fiel Lincolns Auge auf Grant: "Ich kann auf diesen Mann nicht verzichten. Er kämpft."

Und nun erst erkannte Grant die volle Bedeutung der Sklavenfrage. Geflüchtete Schwarze stießen in Scharen zur Unionsarmee, die keineswegs frei von Rassismus war. Ein Vertrauter Grants, John Eaton, erlebte "Männer, Frauen und Kinder, viele schwer krank und mittellos, manche mit blutenden Wunden von den Entbehrungen ihrer Flucht".

Grant verbot jede schlechte Behandlung dieser Menschen, er zog sie unter Eatons Leitung für den Bau kriegswichtiger Straßen und Eisenbahnen hinzu - und schuf Einheiten schwarzer Soldaten, die dann erbittert gegen ihre früheren Herren kämpften. Grant sah in den Schwarzen gleichwertige Menschen: "Wir geben ihnen eine Muskete in die Hand und machen Soldaten aus ihnen, und dann geben wir ihnen das Wahlrecht und machen sie zu Bürgern des Staates."

Eaton notierte: "Nie zuvor hörte ich jemanden, der über die Zukunft der Schwarzen so entschieden und mit solcher Menschlichkeit sprach, kombiniert mit praktischem Verstand."

1864 machte Lincoln Grant zum Oberbefehlshaber, und doch hielt dieser den Krieg für ein Übel, wenn auch ein notwendiges: "Ich habe nie eine Schlacht mit Begeisterung geführt", sagte er später. Er siegte fast immer, aber nicht 1864 bei Cold Harbor, als er seine Soldaten frontal die konföderierten Befestigungen stürmen ließ, eine für ihn untypisch brachiale Strategie: "Ich habe den letzten Angriff bei Cold Harbor immer bedauert. Wir haben nicht den geringsten Vorteil erreicht für die schweren Verluste, die wir hinnehmen mussten."

Und doch zerbrach Grants Strategie den Widerstand. Während sein enger Freund, General William T. Sherman, tief im Süden auf dem berüchtigten Marsch ans Meer die Plantagen der Sklavenhalter und die Stadt Atlanta niederbrannte, besiegte Grant an der Hauptfront das Idol des Südens, General Robert E. Lee.

Ein Zigarre rauchender, äußerlich unbewegter Grant nahm 1865 im Appomattox Court House die Kapitulation Lees entgegen und schrieb die Bedingungen auf, während der andere in ohnmächtigem Zorn zusah. Dass Grant auf jede Geste des Triumphes verzichtete, Lee aufs Höflichste behandelte und ihm sogar den Degen ließ, machte die Demütigung des Südens nur perfekt.

Grant's Bust

Statue in der New York Hall of Fame.

(Foto: Getty Images)

Diese Demütigung markiert nicht das Ende des Rassismus und der Diskriminierung der Schwarzen in den USA, nicht annähernd. Aber sie markiert das Ende des Versuchs, Rassismus zur Staatsräson zu erklären und in Nordamerika einen mächtigen Apartheidsstaat zu schaffen.

Kurz danach wurde Lincoln von einem weißen Rassisten ermordet, sein inkompetenter Nachfolger sympathisierte heimlich mit der "verlorenen Sache" des nunmehr besetzten Südens. 1869 trat Grant als große Hoffnung der Republikaner in Lincolns Fußstapfen und gewann die Präsidentschaftswahl. Seine Administration wurde durch eine Wirtschaftskrise, den Dauerstreit im Süden, wo der Terror des Ku-Klux-Klan um sich griff, und Skandale einiger Minister erschüttert. Doch verdeckt dies ihre erheblichen Errungenschaften, vor allem den 15. Verfassungszusatz, den Präsident Grant gegen erbitterten Widerstand auch im Norden durchsetzte: Er gab den Schwarzen grundsätzlich das Bürger- und Wahlrecht, was die Bundesstaaten des Südens zu verhindern versucht hatten.

Frederick Douglass, der schwarze Bürgerrechtler, dankte Grant mit dem vielleicht ehrenvollsten Kompliment in dessen an Auszeichnungen so reichem Leben: "Der schwarze Soldat war willkommen in seinem Zelt und der befreite schwarze Mann in seinem Haus."

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