Bauverfahren:Turm im Tanzkleid

Urbachturm

Forschungsobjekt: der Urbachturm bei Stuttgart.

(Foto: ICD_ITKE_Universität Stuttgart)

Bisher lässt sich Holz nur mit schweren Maschinen in eine gewünschte Form biegen. Durch ein neues Verfahren verformt es sich nun selbst - zum Beispiel beim Urbachturm in der Nähe von Stuttgart.

Von Gabriela Beck

Im Remstal östlich von Stuttgart steht zwischen Feldern und Weinbergen ein 14 Meter hoher Turm aus Holz. Er schaut aus wie ein mitten in der Drehung erstarrtes bodenlanges Tanzkleid. Wäre das um sich selbst gewundene Gebilde aus Beton, wäre es nichts Besonderes. Denn flüssiger Beton lässt sich in beinahe jede gewünschte Form gießen und härtet dann aus. Doch das Bauwerk besteht aus Holz. Aus zwölf gekrümmten Brettsperrholzplatten, die sich selbst in diese komplexe Tanzkleid-Form gebogen haben. Nicht durch Zufall, sondern genau so, wie es die Planer vorab berechnet haben. Damit ist der Urbachturm einzigartig.

Forscher der Empa/ETH Zürich und der Universität Stuttgart haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich flache Holzplatten ohne Druck dauerhaft und kontrolliert biegen lassen. Sie nutzen dazu ein Verhalten des Materials, das in der Baubranche sonst als Schwäche gewertet wird: Holzfasern quellen auf, wenn sie Feuchtigkeit - auch aus der Luft - aufnehmen, und schrumpfen beim Trocknen. Bei Holzbauten kann das dazu führen, dass sich zum Beispiel Risse in Balken bilden und sich Parkett aufwölbt. Damit das nicht passiert, wird Holz vor seinem Einsatz am Bau in Kammern getrocknet. So versucht man, spätere Formänderungen möglichst minimal zu halten.

"Wir Architekten haben uns einen Umgang mit Holz angewöhnt, der von einer geometrischen Stabilität ausgeht. Das funktioniert aber nicht", sagt Achim Menges, Direktor des Instituts für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung der Universität Stuttgart. Stattdessen nutzt er die natürlich auftretenden Verformungskräfte von Holz, um sie beim Trocknen in ein geplantes Verhalten zu lenken. Mittels verschiedener Parameter wie Faserstruktur, Faserrichtung oder Feuchtegehalt lässt sich die Krümmung sehr genau digital berechnen.

Holzfasern quellen auf - eine Schwäche des Materials? Wissenschaftler sehen das anders

Um das Material nun so steuern zu können, dass es sich in einem vorgegebenen Radius krümmt, bedienen sich Menges und seine Projektkollegen eines Tricks: Sie kleben zwei Holzplatten so zusammen, dass die Holzfasern kreuzweise zueinander angeordnet sind. Da Holz, wenn es trocknet, quer zur Faserrichtung stärker schrumpft als längs, können sie nun die Krümmung vorab "programmieren". Die eine Schicht zieht an, die andere bremst. Mal mehr, mal weniger, je nach Dicke und Feuchtegehalt der jeweiligen Platte.

Die Elemente des Urbachturms wurden als zweischichtige Fichtenholzplatten in einer industriellen Trockenkammer behandelt, zusammen mit normalem Bauholz. Das bedeutet: Das neue Verfahren kann in den normalen Arbeitsablauf der holzverarbeitenden Industrie integriert werden. Es sind weder neue Sortier- noch Trocknungsanlagen nötig. Das macht es kostengünstig und praktikabel.

Jan Knippers, Leiter des Instituts für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen an der Universität Stuttgart, sieht den Vorteil vor allem darin, das Material durch die Formgebung effektiver nutzen zu können. "Eine ebene Platte, zum Beispiel eine Decke aus Holz oder Beton, herzustellen ist einfach. Dann haben Sie aber auch viel totes Material."

Denn eine Platte ist nur in der Mitte voll beansprucht. Zu den Seiten hin, wo sie auf Mauern oder Stützen aufliegt, wird die Festigkeit des Materials bei Weitem nicht ausgenutzt. Sinnvoll eingesetzt werden könnten die sich selbstformenden Holzbauteile demnach überall dort, wo große Spannweiten und wenig Gewicht gefragt sind - Gewölbedecken oder tonnenförmige Dächer von Hallenbauten wären dafür gut geeignet.

Die Buche wird bisher kaum als Bauholz eingesetzt, doch das könnte sich ändern

Darüber hinaus hat Knippers auch eine globale Perspektive auf den Einsatz von Holz: "Bis jetzt haben wir erfolgreich daran gearbeitet, den Energieverbrauch beim Betrieb des Gebäudes zu senken. Jetzt sollten wir uns auf die Energie konzentrieren, die in den Baumaterialien steckt."

Besonders viel Energie frisst die Herstellung von Zement. Und sie verursacht noch dazu jährlich Milliarden Tonnen des schädlichen Treibhausgases Kohlenstoffdioxid. Indem man bei Geschossbauten Beton, der zu erheblichen Teilen aus Zement besteht, wo es möglich ist durch Holz ersetzt, ließe sich der klimaschädliche Ausstoß von Kohlenstoffdioxid deutlich reduzieren. "Das wäre viel schneller und einfacher zu machen als beispielsweise den Flugverkehr klimafreundlich zu gestalten", sagt Knippers.

Doch auch der Holzbau wird sich mit wärmeren Temperaturen und trockeneren Böden ändern. In den nächsten zwanzig bis dreißig Jahren wird es weniger Nadelhölzer und mehr Laubbäume in unseren Wäldern geben. Wo heute die Fichte das weitverbreitetste Bauholz ist, könnte es bald die Buche sein. Sie ist tragfähig, elastisch und sehr zäh. Aber sie reagiert auch stark auf Feuchtigkeitsänderungen. Dieses Verhalten führt dazu, dass Buchenholz bisher kaum als Bauholz eingesetzt wurde. Bis jetzt. "Buche würde sich sogar noch besser selbst formen", sagt Achim Menges. Und der Urbachturm könnte mit Buchenholz noch schlanker sein. Das Team plant bereits einen neuen Turm, begehbar und über 20 Meter hoch.

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