Europäische Corona-Hilfen:Merkels Kompromiss belohnt Deutschland - und seine Bürger

EU-Sondergipfel zur Bewältigung der Corona-Wirtschaftskrise

Merkel gestikuliert auf dem EU-Sondergipfel zur Corona-Krise in Brüssel.

(Foto: dpa)

Ja, die Bundesrepublik zahlt in der Corona-Krise viel Geld für getroffene Länder wie Italien und Spanien. Aber es gibt eine Gegenleistung: offene Märkte und Türen in Europa.

Kommentar von Cerstin Gammelin, Berlin

Für einen Moment stelle man sich den europäischen Gipfel in Brüssel als eine Europameisterschaft vor - Angela Merkel hätte bei ihrer Rückkehr nach Berlin eine Gratulationsrunde durch die Stadt gebührt. Die Bundeskanzlerin hat als europäische Ratspräsidentin und damit als entscheidende Verhandlerin dafür gesorgt, dass ein Kompromiss unter 27 Nationalstaaten geschlossen worden ist. Und dass sich das Ergebnis zugleich für Deutschland rechnet. Der Erfolg ist nicht in irgendwelchen Zahlen zu bemessen, sondern darin, dass es Merkel gelungen ist, den europäischen Binnenmarkt für die deutsche Wirtschaft und die deutschen Bürger zu erhalten. Jedenfalls fürs Erste.

Natürlich gab es keine Ehrenrunde. Stattdessen einiges an Kritik an dem Ergebnis des Gipfels, die in der ewigen Frage mündet: Zahlt Deutschland nicht zu viel? Wer so fragt, meint die Antwort vorab zu kennen. Die entscheidende Frage aber ist eine ganz andere: Welche Gegenleistung bekommt die Bundesrepublik dafür? Es wird zu leicht vergessen, warum dieser Sondergipfel überhaupt notwendig geworden war. Das Coronavirus hatte zunächst Länder wie Italien, Frankreich und Spanien befallen, bevor es sich hierzulande ausbreitete. Die Bundesregierung bekam vor Augen geführt, was es heißt, wenn dieses Virus auf eine unvorbereitete liberale, freizügige Gesellschaft trifft. Die Bilder von Lkws voller Särge, von erschöpften Pflegekräften, geschlossenen Betrieben, Restaurants, Kindergärten, ausgestorbenen Straßen haben Bund und Länder rechtzeitig alarmiert. Die umsichtige Coronapolitik aller hat dann dazu geführt, dass die Pandemie in Deutschland nicht so wüten konnte wie anderswo.

Das hat ökonomische Auswirkungen, die sich wiederum gut in Zahlen ablesen lassen. Die Konjunkturprognosen laufen darauf hinaus, dass die deutsche Wirtschaft 2020 um sieben Prozent einbrechen wird. Die französische muss mit einem zehnprozentigen Einbruch rechnen, Italien gar mit 14 Prozent. Vielleicht wird es noch schlimmer kommen, weil die Länder mit den Zehntausenden Toten fast doppelt so lange im Lockdown verharrten wie die Bundesrepublik.

Die Bilder und die Zahlen haben der Bundesregierung um Angela Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz klargemacht, dass diese Krise so tief wie keine andere ist. Dass sie den europäischen Zusammenhalt bedroht, den Binnenmarkt, den Euro. Das Coronavirus hat die Risse in den ohnehin wirtschaftlich stark auseinanderdriftenden Staaten so verstärkt, dass ein Auseinanderfallen des europäischen Binnenmarkts in seine Einzelteile, die Nationalstaaten, absehbar war. Dabei ist doch der europäische Binnenmarkt das stärkste Argument für die Gemeinschaft, weil er einst verfeindete Nachbarn verbindet.

Für die exportorientierte deutsche Wirtschaft und die daran hängenden Arbeitsplätze wäre das Ende des freien Handels und Wandels ein Desaster; mehr als ein Drittel der deutschen Waren gehen in Staaten der Euro-Zone, ein weiteres Drittel in den Rest Europas. Und wären die Bundesbürger noch willkommen bei den Nachbarn, wenn man nicht zumindest einige von deren Covid-19-Kranken in leer stehenden deutschen Krankenbetten gepflegt hätte? Wenn Deutschland für sich das weltgrößte nationale Corona-Hilfspaket aufgelegt hätte - und Kanzlerin Merkel trotzdem die ein Jahrzehnt lang gepflegte Politik der harten Auflagen gegenüber den hilfsbedürftigen europäischen Nachbarn fortgesetzt hätte? Wohl kaum.

Wenig glaubwürdig wäre das auch gewesen, weil die Bundesregierung gleichzeitig mit ihren nationalen Corona-Hilfen bewiesen hat, dass es jetzt nicht die Zeit ist für das Motto "Geld gegen Reformen". Die 1000 Milliarden Euro, die Merkel daheim als Kredite, Zuschüsse, Garantien und Bürgschaften hat mobilisieren lassen, dienen dazu, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen zu erhalten, bis das Virus beherrschbar geworden ist.

EU-Mitglieder geben nie alles Geld aus dem Haushalt aus

Es war überfällig, dass das, was in Deutschland recht und billig ist, nun auch für Europa gelten darf. Der Sondergipfel hat beschlossen, dass 750 Milliarden Euro als Zuschüsse oder niedrig verzinste Kredite an besonders betroffene Staaten gehen. Das Geld soll dort helfen, das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zu erhalten - und die Märkte offen zu halten. Das ist Voraussetzung dafür, dass weiter deutsche Autos gekauft und deutsche Touristen willkommen geheißen werden.

Die Klagen darüber, dass dafür im eigentlichen EU-Haushalt gekürzt worden ist oder Deutschland jetzt für andere Staaten die Schulden zu finanzieren hat, sind wohlfeil. Zur Wahrheit gehört, dass die Europäer bisher nie alles Geld ausgegeben haben, das im Haushalt vorhanden war; auch jetzt sind rund 260 Milliarden Euro übrig. Und, zweitens, ist es mitnichten so, dass die reichen Länder den schwächeren Geldgeschenke überreichen. Ja, Deutschland zahlt jetzt mehr. Dafür bekommt es aber eine Gegenleistung: offene Märkte und offene Türen in Europa. Mehr geht nicht.

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