Rückumwandlung zur Moschee:"Ich habe früher heimlich in der Hagia Sophia gebetet"

First Prayers Held At Reconverted Hagia Sophia Mosque After Status Change

Am Freitag wurde das erste Freitagsgebet seit 86 Jahren in der Hagia Sophia abgehalten.

(Foto: Getty Images)

Der pensionierte Lehrer İsmail Kandemir hat mit seinem Verein für die Rückumwandlung der Hagia Sophia gekämpft. Er sagt: Viele Museumsbesucher hätten die Würde des Ortes nicht respektiert.

Interview von Tomas Avenarius

Mit einer Klage vor Gericht hat der pensionierte Mathematiklehrer İsmail Kandemir, 75, Geschichte geschrieben. Zwar ist die Rückumwandlung der Hagia Sophia eine politische Entscheidung von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan, doch es ist Kandemir, der ihm den Weg geebnet hat. Mit seinem Verein zur Umwandlung ehemaliger Kirchen kämpft der Strenggläubige seit Jahren für sein Ziel. Mehrere Museen - etwa im Istanbuler Chora-Kloster - werden seinetwegen wieder als Gebetshäuser genutzt. Seine Klage, an deren Ende das Oberste Türkische Verwaltungsgericht der Regierung die Entscheidung freistellte, ist auch Kandemirs Werk.

SZ: Die Hagia Sophia in Istanbul ist nach 86 Jahren kein Museum mehr, sie wird seit diesem Freitag wieder als Moschee genutzt. Wie fühlen Sie sich? Als Held?

İsmail Kandemir: Ich bin sehr, sehr glücklich. Vor lauter Glück fliege ich wie ein Vogel.

Sie haben Jahre nur für diese Sache gekämpft, haben mit Ihrem Verein gegen das Vermächtnis des legendären Staatsgründers Atatürk angekämpft. Warum war Ihnen das so wichtig? Es gibt doch genügend Moscheen in Istanbul.

Das ist eine lange Geschichte. Ich habe früher heimlich in der Hagia Sophia gebetet, zusammen mit einem Freund. Damals, es war Mitte der Sechzigerjahre, sind wir ausschließlich zum Beten nach Istanbul gekommen. Zum Beten nicht in irgendeiner der Moscheen, sondern zum Beten in der Hagia Sophia.

Das war streng verboten.

Ja, das war gefährlich. Damals war es bei hoher Strafandrohung verboten, an diesem Ort zu beten. Ich erinnere mich, dass ein anderer Gläubiger 1966 im Museumsgarten aus dem Koran rezitiert hatte. Allein dafür wurde er zu 16 Jahren Haft verurteilt! Andere Bürger vor mir hatten auch versucht, die Hagia Sophia in eine Moschee umzuwandeln. Einer von ihnen, Osman Yüksel Serdengeçti, stand Mitte der Vierzigerjahre vor Gericht. Der Staatsanwalt warf ihm vor, die Beziehungen der Türkei zu Griechenland zu beschädigen. Serdengeçti fragte nur zurück: "Sind Sie der Anwalt der Griechen?"

Wie haben Sie und Ihr Freund das angestellt mit dem Beten im Museum?

Wir sind in das Gebäude gegangen. Dann hat der eine in einer dunklen Ecke gebetet, währen der andere Wache stand, damit die Museumswärter uns nicht entdeckten. Danach betete der andere.

Rückumwandlung zur Moschee: Der 75-jährige pensionierte Mathematiklehrer İsmail Kandemir hat Geschichte mit geschrieben.

Der 75-jährige pensionierte Mathematiklehrer İsmail Kandemir hat Geschichte mit geschrieben.

(Foto: Sabah archive)

Und dann?

Wenn wir fertig waren, sind wir hinunter zum Hafen gegangen und mit der Fähre in unsere Heimatstadt Trabzon gefahren. Das haben wir einige Male gemacht. Donnerstags nach Istanbul, Freitag in der Hagia Sophia zum Beten, danach zurück auf das Schiff. Am Sonntagmorgen waren wir in Trabzon.

Sie haben sich einen Lebenstraum erfüllt. Aber wem dient es, wenn die Hagia Sophia als frühere Kirche, als Moschee und dann als Museum nun wieder als ein islamisches Gebetshaus genutzt wird?

Als einer der US-Präsidenten in Istanbul zu Besuch war - ich glaube George Bush -, da sollte zu seinen Ehren in der Hagia Sophia ein Konzert veranstaltet werden. Bushs Berater warnten ihn jedoch, und er war dann nicht mehr bereit, in einem Gotteshaus Musik zu hören. Deshalb fand das Konzert im Garten des Topkapı-Palastes statt. Der Amerikaner zeigte Sensibilität. Viele Museumsbesucher respektieren die Würde dieses Ortes aber nicht. Sie haben nicht die Sensibilität, die man haben muss. Wenn die Hagia Sophia wieder eine Moschee ist, werden alle den nötigen Respekt zeigen.

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