Bafin:Milliardenklage gegen die Finanzaufsicht

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Die Finanzaufsicht bekommt juristischen Ärger wegen des Wirecard-Falls: Mehrere Kanzleien wollen die Behörde auf Schadenersatz verklagen - die erste Klage liegt jetzt bei Gericht.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Zehntausende Anleger haben teils hohe Summen verloren, ungezählte Profi-Investoren wurden getäuscht und zahlreiche Kreditgeber um ihr Geld gebracht: Im Fall Wirecard hofft eine Vielzahl von Geschädigten darauf, noch etwas zurückzubekommen. Bei dem insolventen Konzern gibt es aber wohl nur noch wenig zu holen: Weder die Mittel aus der Insolvenzmasse noch die Vermögen der früheren Manager, gegen die wegen mehrerer schwerer Delikte ermittelt wird, werden zur Entschädigung ausreichen.

Der Tübinger Rechtsanwalt Andreas Tilp versucht deshalb jetzt auf einem anderen Weg Schadenersatz zu erstreiten. Am Donnerstagabend hat er am Landgericht Frankfurt eine Klage gegen die Finanzaufsicht Bafin eingereicht, die den Staat im Erfolgsfall Milliarden kosten könnte. Nachdem bereits mehrere Kanzleien Klagen gegen die Bafin angekündigt haben, reicht Tilp als Erster eine ein. Zugleich hat er eine Musterfeststellungsklage gegen die Bafin beantragt, um im Namen von Tausenden Anlegern Schadenersatz zu erstreiten - was mit Blick auf das noch selten erprobte Instrument juristisches Neuland ist: Bislang gab es noch kein Musterverfahren gegen Behörden.

Klagefreudig: Rechtsanwalt Andreas Tilp. (Foto: Ronny Hartmann/AFP)

Tilp wirft der Bafin jahrelangen Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit Wirecard vor und will auf diesem Wege eine sonst unwahrscheinliche Amtshaftung durchsetzen. Die Behörde habe zum Einen zumindest leichtfertig ihre gesetzlichen Pflichten verletzt, weil sie nicht früh genug dem Verdacht nachgegangen sei, dass Wirecard seine Bilanzen frisiert, argumentiert der Anlegeranwalt. Demnach hätte die Bafin viel früher gegen Wirecard wegen möglicher Marktmanipulation ermitteln müssen, findet Tilp. Hätte sie ordnungsgemäß ermittelt, so die Theorie, wäre der Bilanzbetrug Mitte Februar 2019 öffentlich bekannt gewesen, was vielen Anlegern Verluste erspart hätte. Zum Zweiten habe die Bafin die Öffentlichkeit und den Kapitalmarkt nicht richtig informiert, als sie dann am 15. Februar 2019 zunächst eine Untersuchung bei der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) in Auftrag gegeben hatte.

Der als "Bilanzpolizei" bekannte, privatrechtlich organisierte Verein kontrollierte bislang im Staatsauftrag Bilanzen. Die Bafin argumentiert, sie habe erst die Untersuchung der DPR abwarten müssen, um tätig werden zu dürfen - denn für die Wirecard AG als Technologiekonzern war die Finanzaufsicht nicht direkt zuständig. Nach dem DPR-Auftrag und Hinweisen an das Bundesfinanzministerium aber informierte die Bafin die Öffentlichkeit lediglich über ihre Ermittlungen wegen des Verdachts der Marktmanipulation gegen Spekulanten; Mitte Februar 2019 erwirkte die Behörde ein europaweites Verbot von Leerverkäufen der Wirecard-Aktie.

Allerdings darf die Bafin laut Gesetz nur dann die DPR beauftragen, wenn ihr "konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß" gegen Bilanzierungsregeln vorliegen. "Damit hat die Bafin den Markt öffentlich einseitig, unvollständig und irreführend informiert", sagt Maximilian Weiss, Kanzleikollege von Tilp. Daraus leitet er einen Amtshaftungsanspruch ab.

Die Bafin hält die Klage für unbegründet. Die Behörde teile "die von der Kanzlei Tilp geäußerte Rechtsansicht ausdrücklich nicht", hieß es am Freitag auf Anfrage. Die Bafin sei sämtlichen Hinweisen pflichtgemäß nachgegangen. "Amtshaftungsansprüche von Dritten, wie Anlegern oder Kunden von beaufsichtigten Unternehmen sind gegenüber der Bafin gesetzlich ausgeschlossen", teilt die Bafin in ihrer Stellungnahme mit. Ein Musterverfahren sei allein schon deshalb nicht möglich, weil die Behörde nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes falle.

Amtshaftungsklagen gegen die Bafin hatten bislang tatsächlich stets wenig Aussicht auf Erfolg. Nach einem BGH-Urteil aus dem Jahr 2005 greift das gesetzliche Haftungsprivileg allerdings in Fällen von Amtsmissbrauch möglicherweise nicht. Genau darauf bauen die Tilp-Anwälte ihre Klage auf.

© SZ vom 25.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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