Kinder und Medien:Online-Sucht nimmt während Corona zu

Smartphone Generation Jugendliche Handy-Nutzer, Hannover, 04.10.2018 Hannover Niedersachsen Germany, Deutschland societ

In jedem zweiten befragten Haushalt gaben Eltern an, den Medienkonsum ihrer Kinder nicht zu kontrollieren.

(Foto: Bo Van Wyk /imago)

Laut einer Studie verbringen Kinder und Jugendliche deutlich mehr Zeit im Netz. Die Gründe dafür seien unter anderem die Pflege sozialer Kontakte und Stressabbau.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die Online-Sucht unter Jugendlichen droht durch die Corona-Krise zuzunehmen. Das geht aus einer Studie hervor, die der Krankenversicherer DAK Gesundheit am Mittwoch in Berlin vorgelegt hat. Suchtexperten des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf hatten darin die Gaming- und Social-Media-Gewohnheiten von Kindern und Jugendlichen zwischen zehn und 17 Jahren untersucht - und zwar einmal im vorigen September und ein zweites Mal auf dem Höhepunkt der ersten Welle im April.

Ergebnis: Allein die Zeit, die regelmäßige Nutzer mit Spielen im Internet verbrachten, nahm während der Kontaktbeschränkungen an Werktagen um 75 Prozent zu, von 80 auf knapp 140 Minuten. Soziale Medien nutzten sie demnach statt knapp zwei nun mehr als drei Stunden.

Häufig sei es dabei um die Pflege sozialer Kontakte gegangen, heißt es in der Studie; beim vermehrten Gaming zudem darum, der Realität zu entfliehen und Stress abzubauen. "Das sind erste Warnsignale, dass sich die Computerspielsucht durch Corona ausweiten könnte", heißt es in dem Report. Die Forscher der Uniklinik waren auch der Frage nachgegangen, inwieweit Eltern der Internet-Nutzung vor und während der Pandemie Grenzen setzten. Doch die Regeln wurden nicht strenger, sondern eher laxer.

Berufstätige hätten oft keinen anderen Weg gesehen, "als die Kinder vor dem Tablet zu parken"

"Dass auch unter Corona keine Verbesserung der Regelstrukturen stattgefunden hat, finde ich erschreckend", sagte Rainer Thomasius, Leiter des Suchtbereichs an der Hamburger Uniklinik. So gebe es in jedem zweiten der befragten Haushalte keine zeitlichen Grenzen, ein Drittel kümmere sich nicht um die Inhalte. "Hier ist dringender Handlungsbedarf in präventiver Hinsicht", sagte Thomasius. Daniela Ludwig (CSU), Drogenbeauftragte der Bundesregierung, sieht das ähnlich. Allerdings nahm sie Eltern in Schutz, gerade in Zeiten der Kontaktbeschränkungen. Berufstätige hätten oft keinen anderen Weg gesehen, "als die Kinder vor dem Tablet zu parken", sagte sie. In vielen Familien sei die Frage des Medienkonsums ein "Megathema".

Zumal die Zahlen nach Auffassung der Experten auch ohne Corona-Effekt bedenklich hoch sind. So stuften sie schon nach der Erhebung im September die Gaming-Gewohnheiten bei einer halben Million Jugendlichen als "riskant" ein, die Zahlen für den Konsum sozialer Medien lagen nur leicht darunter. Bei rund drei Prozent der Zehn- bis 17-Jährigen stießen sie auf eine "pathologische Nutzung". Dies betrifft rund 150 000 Kinder und Jugendliche.

Hilfsangebote für Internetsucht geplant

Hilfe soll es nun ausgerechnet online geben. So stellte die Drogenbeauftragte am Mittwoch die Kampagne "Familie. Freunde. Follower" vor, die Tipps für den Umgang mit Internet- und Computersucht geben soll. Auch die Uniklinik Hamburg bietet eine Suchthilfe im Internet, und mit Ompris geht am 1. August ein Angebot an den Start, das Internetsüchtigen Therapiegespräche per Webcam anbietet; dies aber vor allem für Erwachsene.

Die DAK wiederum testet in fünf Bundesländern, ob sich Suchtverhalten bei regulären Jugend-Vorsorgeuntersuchungen feststellen lässt. Schließlich beginne Mediensucht früher als "stoffliche" Sucht, sagt Sigrid Peter, Vizechefin des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. "Und die Gruppe der Medienabhängigen wächst von Jahr zu Jahr."

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